Der zweite Band der Triologie von Autor Herbert Lackner ist ein Buch über Flüchtlinge. Flüchtlinge, die sich über Gebirgszüge schleppten, die auf klapprigen Kähnen über die Weltmeere fuhren, an Grenzzäunen scheiterten, in Städten verzweifelt um Aus- und Einreisepapiere kämpften, die von ihren Kindern getrennt wurden, ihre Eltern auf der Flucht verloren und manchmal in jenes Land zurückgeschickt wurden, aus dem sie eben geflohen waren und wo sie der sichere Tod erwartete. Szenen, wie sie sich heute an den Rändern des zunehmend befestigten Europa ereignen, auf der Balkanroute oder im Mittelmeer, spielten sich damals in der Mitte des Kontinents ab. Erstmals wird die Flucht der Dichter und Denker vor den Nazis nicht in einzelnen Biografien dargestellt, sondern so, wie sie tatsächlich war: ein Davonhetzen vor Gestapo und SS – bis ein völlig unbekannter amerikanischer Journalist in einer spektakulären Aktion einen wichtigen Teil der europäischen Kulturwelt rettete.
Eine Flüchtlingsgeschichte
bei der man alle Akteure kennt. Sie waren weltberühmte Schriftsteller und gefeierte Dirigenten, Nobelpreisträger, Universitätsprofessoren, Juden und Christen, Politiker und Zeitungsredakteure, die ein gemeinsames Schicksal einte: Die Nationalsozialisten wollten sie ermorden. Im Juni 1940 organisiert Thomas Mann in New York eine beispiellose Rettungsaktion für verfolgte Dichter und Denker in Europa. Ausgestattet mit viel Geld und einer Liste mit 200 Namen wird der junge, exzentrische Amerikaner Varian Fry nach Lissabon geschickt, um diese Vertreter der geistigen Elite aus Europa zu schleusen. Unter den Flüchtlingen sind Franz Werfel und seine Frau Alma Mahler-Werfel, Alfred Polgar, Heinrich Golo, und Erika Mann, Hermann Leopoldi, Anna Seghers, Robert Stolz, Friedrich Torberg, Karl Farkas, Stefan Zweig, Joseph Roth, Billy Wilder und viele andere mehr …
oepb-Rezension:
Hierbei handelt es sich nun um das zweite geschriebene Buch der Trilogie, quasi die Fortsetzung von „Als die Nacht sich senkte“. Aufgrund der Machtergreifung der Nazis 1933 setzte eine wahre Fluchtbewegung aus Deutschland ein, die mit der Ausdehnung des Machtbereichs auf halb Europa dramatisch zunahm. In den Biografien zahlreicher deutscher Schriftsteller und Künstler sind die Stationen ihres Exils beschrieben. Die Geschichte dieser Flüchtlingsbewegungen und so vieler prominenter Flüchtlingsschicksale wird vom Autor Herbert Lackner perfekt aufgezeigt. Wohin sich denn retten vor den Nazi-Schergen, vor Internierungs- oder Konzentrationslagern? Es ist der Fluchtweg über Lissabon, wo sich der „fast gesamte europäische Intellekt“ (Thomas Mann) zu einem oft über Jahre gemeinsam beschrittenen Lebensweg aufgrund derselben Zwischenstationen wie Paris und Marseille zusammenfindet. Der Leser folgt den vertriebenen, berühmten Persönlichkeiten auf ihrer qualvollen „Schicksalsreise“ (Alfred Döblin) und erlebt hautnah mit, wie sie diese Extremsituation (Hannah Arendt: „Wir haben unser Zuhause […] unseren Beruf […] unsere Sprache verloren“) immer wieder meistern. Bei ihrem Überlebenskampf, beispielsweise als „feindliche Ausländer“ in Frankreich dieser „Fremdenpsychose“ (Lisa Fittko) ausgeliefert, lässt sie der Autor als Flüchtende oder rückblickend als Überlebende oft selbst zu Wort kommen. Ihre teilweise unglaublichen, mit Galgenhumor durchzogenen Schilderungen fügt er mit biografischen Details so zusammen, dass eine beeindruckende zusammenhängende Gesamtdarstellung dieser Fluchtbewegung entstanden ist. Sie liefert zugleich ein einzigartiges, beklemmendes Stimmungsbild von den Fluchtgefährten.
„Ich denke an das grenzenlose Elend, das ich in den letzten Monaten gesehen habe“. (Alfred Polgar) Viele von ihnen und mit ihnen auch Hunderte Normalsterbliche schaffen, nicht zuletzt nach einem zermürbenden Kampf um die Papiere (Ausreisevisum aus Frankreich, Durchreisevisa für Spanien und Portugal, Einreisevisum für die USA, Schiffsticket), die Flucht nach Amerika. „Hätte ich mich nicht vor den anderen geniert – ich hätte den Boden Amerikas geküßt.“ (Alma Mahler-Werfel) Mit der bravourösen Hilfe von dort und dem unbändigen Überlebenswillen dieser Menschen, z. B. beim „Passionsweg“ (Alfred Polgar) über die Pyrenäen, gelingt das scheinbar Unmögliche.
Es wäre – gerade heutzutage – immens wichtig, dass viele Menschen dieses Buch unserer jüngeren europäischen Vergangenheit lesen. Es darf und sollte nie vergessen werden, was vor noch gar nicht allzu langer Zeit in einer sogenannten Zivilisation geschah und was wirklich passiert ist. Denn nur wer die Geschichte und seine Vergangenheit kennt, der hat auch eine Zukunft. Eine Zukunft, die ein Miteinander aller Couleurs auf unserem wunderbaren blauen Planeten lebenswert macht. Gratulation an Autor Herbert Lackner. Mit dem zweiten Band seiner Trilogie warf er bereits den ersten Stein dazu in die richtige Richtung.
Die Flucht der Dichter und Denker
Wie Europas Künstler und Wissenschaftler den Nazis entkamen
Von Herbert Lackner
208 Seiten, gebunden mit zahlreichen s/w Abbildungen
Zum Preis von € 22,95
ISBN 978-3-8000-7680-2
Erschienen bei ueberreuter
www.ueberreuter.at
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