
An sich ist es mühsam, immer wieder die „gute alte Zeit“ zu bemühen, denn wie meinte schon der österreichische Schriftsteller und Vordenker Karl Kraus, dass es die “gute, alte Zeit” ohnehin nie gegeben hat, aber Zeitzeugen – und das wiederum bringt die munter voranschreitende Zeit eben mit sich – werden naturgemäß weniger und die Generation von heute erfreut sich an Retro und findet „oldschool“ cool. Grund genug also, um an längst Vergangenes zu erinnern und den jungen – bleiben wir beim Fußballsport – Sportplatzbesuchern Erzählungen und Gedanken von früher nahezubringen.
“Käuze und Originale” – frei nach Feuilletonist Friedrich Torberg in seiner unvergleichlichen Tante Jolesch beschrieben – auf den österreichischen Fußballplatz bezogen, gab es hierzulande schließlich zuhauf und wenn das eigene Team einmal ein klassisches sportliches Tief aufzuweisen hatte, dann ging man schon alleine der Originale wegen auf den Sportplatz und / oder ins Stadion. Man kannte sich und man schätzte sich in der “guten, alten Zeit” der Nationalliga und der späteren 1. Division im Fußballlandl Österreich.

In Linz beispielsweise, beim SK VÖEST Linz – und natürlich auch beim LASK – wurde bis zum Kehraus der Saison 1984/85 die Stadionuhr, die sich am Ende des weiten Stehplatzrundes außerhalb des Areals auf einer abschüssigen Wiese befand, stets von Hand bedient. Also nicht was die jeweiligen 45 Minuten pro Halbzeit anlangte, aber der aktuelle Spielstand wurde immer mit aktuellen Ziffern-Tafeln versehen und damit bekannt gegeben, je nachdem, wie eben gerade die Tore gefallen waren. Es ist unsinnig zu erwähnen, dass 0 : 0-Resultate für die Herren dort eben mit keiner Arbeit verbunden waren. Ab und an passierten torlose Remis im Linzer Stadion in den 1970er und 1980er Jahren, Gott Lob jedoch nicht allzu oft.
Dem Verfasser dieser Zeilen ist noch ein Erlebnis in lebhafter Erinnerung, und zwar der allerletzte Dienst, den die alte Stadionuhr im Linzer Stadion auf der Gugl versah. Man schrieb Freitag, den 7. Juni 1985. Der SK VÖEST Linz benötigte im letzten Saisonspiel gegen den bereits abgestiegenen FavAC – immerhin ausgestattet mit Robert und Josef Sara, Dietmar Constantini, Peter Stöger, Alberto Martinez und trainiert von Adolf Blutsch – noch mindestens ein Unentschieden, um im Jahr darauf in der neuen 12er Liga vertreten zu sein. Ein Remis gegen ein bereits abgestiegenes Team sollte keine allzu große sportliche Mühe darstellen. Und so war es auch, denn nach 14 Minuten stand es bereits 3 : 0. Harald Zeilinger, Georg Zellhofer und Günther Vidreis lauteten die Torschützen. „Jetzt dürf´ma nur noch ein Tor machen, denn ich habe bloß vier Taferln dabei!“, erzählte Walter Friedl von der Stadionuhr, der als junger Uhren-Wart gemeinsam mit seinem Vater an jenem Frühlings-Abend der Ordner-Staffel des SK VÖEST angehörte.

Kurz nach der Pause fiel das 4 : 0, abermals durch Günther Vidreis. „Mist, ich habe zuwenig Taferln mit!“, echauffierte sich Friedl jun. über sich selbst. Das 5 : 0 in der 57. Spielminute (Harald Zeilinger war erneut erfolgreich) brachte ihn schließlich in die Bredouille. Er müsste in Richtung Hofstetter-Kantine in die Mitte des Stehplatzbereiches marschieren und weitere Taferln nachfassen, dürfe aber seinen Posten an der Uhr nicht verlassen. Friedl jun. zog dennoch los und man rief ihm nach, er solle doch gleich mehrere Ziffern und Zahlen mitnehmen, denn an jenem Tag schien treffermäßig alles möglich zu sein. Und so war es auch, mit der Zahl „5“ unter dem Arm stapfte er zurück an seinen Platz an der Stadionuhr, bloß hieß der Spielstand inzwischen bereits 6 : 0 durch Günther Haizinger. Unter dem allgemeinen Jubel des lautstarken SK VÖEST-Anhangs ob dieses Schützenfestes ging unter, dass das exakte Endresultat von 6 : 0 erst weit nach Spielschluss auf der Uhr quasi schwarz auf weiß zu lesen war. Die alte Stadionuhr hatte ausgedient, ab August 1985 kam die monströse Anzeigetafel hinter dem Tor stehend zum Einsatz, wenngleich deren offizielle Premiere erst beim Länderspiel Österreich gegen Jugoslawien (0 : 3) am 16. Oktober 1985 stattfand.

Weitere „Dienste am Kunden“ – bleiben wir beim SK VÖEST – waren kleine Verkaufstische im Eingangsbereich, anhand dieser man sich mit Vereins-Devotionalien eindecken konnte. Da gab es Klub-Abzeichen in Form von Anstecknadeln, Pickerl und Abziehbilder mit SK VÖEST-Emblem, aber auch kleine blau-weiße Plastikwimpel zu kaufen. Die Herren, die dort saßen, hatten stets einen listigen Spruch parat und man kam nicht umhin, ihnen nichts von dem weiß gedeckten Tisch abzukaufen. Oft und oft waren diese Tische leer, quasi ausverkauft, und man musste – gerade als Kind – geduldig bis zum nächsten Heimspiel warten, um Nadeln und Wimpel nachfassen zu können. Das war, wenn man so will, der Beginn des Merchandising.
Weiters stand bei Winter und Wetter mit einem Bauchladen ausgestattet immer ein Ordner weit vor dem Stehplatzeingang auf halber Höhe des Zugang-Weges. Auch wenn die Zuschauerkulisse beim SK VÖEST manchmal ausbaufähig war, so stand dieser Herr in Hut und Mantel adjustiert samt seinem Vorverkaufs-Bauchladen immer dort und empfing das Fußballfan-Fußvolk, das den weiten Weg von der O-Bus-Linie 45 Haltestelle „Ziegeleistraße / Stadion“ quer über den nur schütter besetzten PKW-Parkplatz herauf zur Roseggerstraße schlenderte. Ein Karten-(heute nennt man das Ticket)kauf bei ihm hatte den Vorteil, sofort ins Stadion gehen zu können und sich nicht mehr umständlich und langwierig bei den Kassen anstellen zu müssen. Wenn, wie erwähnt, die Kulisse ohnehin nur 1.500 Besucher ausmachte, wäre eine etwaige Wartezeit an den Stehplatz-Kassen ohnehin ausgeblieben. Und dennoch, der Herr in Hut und Mantel – kein Mensch weiß heute mehr, wie er geheißen hat – versah jahrelang Dienst beim SK VÖEST samt seinem legendären Bauchladen. Diesen Service gab es beim LASK übrigens nicht. Da hieß es Schlange stehen an den Stehplatz-Kassen.

Ähnlich verhielt es sich natürlich auch in Wien samt Umland. Am Sportclub-Platz agierten Pensionisten, die, nachdem man die große drehbare Eisentür zur gedeckten Tribüne passiert hatte, immer genau wissen wollten, wo man denn sitze. Diese Platzanweiser, vergleichbar mit einem Billeteur im Theater, geleiteten die Sportplatz-Besucher dann zu den jeweiligen Sitzplätzen, die auf alten nummerierten Holzbänken angesiedelt waren. Stets mit weißen Stofftaschentüchern ausgestattet, wurden diese „gefundenen“ Plätze dann ein bisserl umständlich abgestaubt und die Herren erhofften sich durch diese unaufgeforderte Dienstleistung einen kleinen Schmattes zur schmalen Pensions-Auffettung.
Auf der Hohen Warte warteten im Eingangsbereich vor gut 40 Jahren auch immer wieder freundliche Pensionisten, die stets mit einem Schmäh auf den Lippen die Stadion-Besucher begrüßten. Da diese älteren Herren oftmals auch nicht mehr allzu gut mit ihrem Augenlicht gesegnet waren, wurde dieser Umstand von den Jugendlichen schamlos ausgenützt, um mit Kinderkarten die Hohe Warte zu betreten, wenngleich aufgrund des fortgeschrittenen Teenager-Alters bereits eine Jugendlichen-Karte vonnöten gewesen wäre. Es ist demnach kein Wunder, dass die Vienna, der älteste Fußballverein Österreichs, im Laufe der Geschichte stets leere Kassen aufzuweisen hatte.

Und in der Südstadt war als Pendant zum „Schöfix“ ein Verkäufer, der auch ein letztes Wiener Original darstellte, aktiv. Schöfix bevölkerte die eine Seite hinter dem Tor im Bundesstadion Südstadt, ausgestattet mit Trommel, Megaphon und lautstarkem Organ. Schöfix allein machte die Stimmung und die damals stets meist nur 1.000 Zuschauer bei den Admira/Wacker-Heimspielen hatten mit ihm ihren hellen Spaß. Auf der anderen Stadionseite kurvte ein mit einem weißen Arbeitsmantel bekleideter Wiener samt seinem Einkaufswagerl ebenfalls lauthals rufend durch die kärglich besetzten Stehplatz-Ränge: „Bier, Chips, Knacker, Limonade, Mini Fritts!“, wurde er – ohne Megaphon wohlgemerkt – nie müde, dies immer wieder den Besuchern zuzurufen. Dass diese beiden Originale, also Schöfix und „Weißkittel“ lauter waren, als die übrigen 1.000 Südstadtbesucher zusammen, muss hier nicht weiter erwähnt werden.
Und auch Favoriten hatte einiges zu bieten. Das Ehepaar Monika und Hans Brosch galt jahrelang als treue Seele vom Horr-Platz. Von einem Stadion und einer Arena war man seinerzeit Lichtjahre entfernt. Er, der Hansl, immer ein bisserl grantig, war zuständig für schlichtweg alles im violett-weißen Areal: Vom Linienziehen, Rasen mähen, Steckdosen wechseln und Corner-Fahnen setzen bis hin zum zeitigen Aufsperren für den ORF-Übertragungswagen vor den jeweiligen Heimspielen des FK Austria Wien. Mit einer stoischen Ruhe ausgestattet kam Hansl Brosch all diesen Arbeiten nach, allerdings immer ein bisserl mit einem grimmigen „Hamur“ unterwegs. Gattin Monika schupfte das Buffet. Ihre Kantine war blitzsauber, sie stets mit einem blütenweißen Arbeitsmantel unterwegs und die Wurstsemmerln samt Gurkerl schmeckten vorzüglich. Auch das Bier wurde beinahe schaumlos eingeschenkt, somit war mehr im Becher und die Unterhaltung immer freundlich und zuvorkommend. Einziges Manko des sympathischen Paares war – sie verrechneten sich beinahe immer. Und das zu eigenen Ungunsten. Warum? Die Austria war sportlich top in jenen frühen 1980er Jahren. Die Heimspiele wurden beinahe alle gewonnen und auch mit Toren geizten die violetten Edel-Zangler nicht. Bloß Zuschauer kamen keine. Immer, wenn man sich durch einen attraktiven Gegner mehr also die obligatorischen 2.500/3.000 Besucher am Horr-Platz erwartete, geschah nichts. Was zur Folge hatte, dass Monika Brosch immer mehr anrichtete, als sie dann im Spiel ausrichten – sprich verkaufen – konnte. Es kam nicht selten vor, dass ihre Ware nach dem Match zu Schleuderpreisen an den letzten Fan verschachert wurde und man für den Nachhauseweg eine wunderbare Wegzehrung mitbekam.

Auch die Stadionsprecher damals waren noch nicht solche Schreihälse wie heutzutage und gerade deswegen erinnert man sich gerne an sie. „Wir begrüßen die Mannschaft von VÖEST Linz ohne Smogalarm und mit der guten Luft vom Wienerwald!“, so der Vorgänger von Andy Marek beim SK RAPID Wien im August 1986. Oder aber im Linzer Stadion beim LASK jahrelang die gleiche Leier: „Einen schönen (egal wie das Wetter war) Samstagnachmittag, meine geschätzten Damen und Herren zum heutigen Bundesliga-Heimspiel gegen … (wen auch immer) wünsche ich Ihnen im Namen des Präsidiums des LASK und heiße Sie im Linzer Stadion ganz herzlich willkommen!“ Jahrein, jahraus die gleiche Prozedur, selbst beim Linzer Derby keine größeren Emotionen von Seiten des LASK-Stadionsprechers. Nach dem zweiten LASK-Heimspiel war man als Stadion-Pilger textsicher, was die zu erwartende Begrüßung anlangt. Jeder der anwesenden Besucher hätte in die Rolle des LASK-Stadionsprechers – wir sprechen hier von den 1970er und 1980er Jahren – schlüpfen können. Und um nochmals die Hohe Warte zu bemühen, dort hieß es vor jedem Vienna-Heimspiel lautstark über die Mikrophone: „5.000 Schilling für das erste Tor von (Rank Xerox, McDonalds, Fernwärme, oder wie auch immer der Verein gerade hieß) Vienna, gesponsert von der Fahrschule (soundso) am Schlickplatz!“ Die Herrschaften dort mussten auf Rosen gebettet gewesen sein, denn alle 14 Tage 5.000 Schilling (ca. € 363,-) für das erste Tor der Vienna zu spenden war wahrhaft spendabel und à la bonne heure. Und auch Erich Götzinger, bekannt als Fernsehsprecher aus dem ORF, der in früheren Zeiten die ÖFB-Länderspiele im Wiener Praterstadion – Ernst Happel war noch am Leben, folglich hieß der Prater noch Prater – als Stadionsprecher begleitete, heute nennt man das moderieren, war um keinen Deut schlechter, als dies später jahrelang Andy Marek zelebrierte. Die Zeiten waren eben andere.
Übrigens: wenn die Partie einmal nicht das hielt, was man sich von ihr im Vorfeld versprochen hatte, wenn also das Match so gegen Mitte der zweiten Halbzeit saft- und kraftlos vor sich hinplätscherte, dann galt es auf der Linzer Gugl immer noch einen Höhepunkt abzuwarten. Und dieser lautete: „Für die Presse: 2.000!“ Mit dieser kurz- und schmerzlos abgehaltenen, jedoch immens wichtigen Durchsage war allen klar, dass eben 2.000 Zuschauer an jenem Tage live vor Ort im Linzer Stadion zugegen waren.

Und noch eine lustige Episode darf hier nicht unerwähnt bleiben, passiert am 24. Juli 1987. Ein Linzer Stadtderby stand an, der SK VÖEST empfing in der 2. Runde der Saison 1987/88 den LASK. Die Begegnung stand irgendwann in der ersten Spielhälfte, als sich plötzlich Blitz und Donner dazugesellten. Die Gugl war im Stehplatzbereich damals noch ohne Dach und die gut 7.000 Menschen am unüberdachten Stehplatz dachten jetzt wohl gehörig eine auf´s Dach zu bekommen. Doch weit gefehlt, es blitzte und krachte zwar gewaltig, der Himmel war zappenduster, ein Sommergewitter zeichnete sich ab, aber Regen setzte keiner ein. Dieses himmlische Getöse nahm der jahrzehntelange Stadionsprecher des SK VÖEST, Wolfgang Bankowsky zum willkommenen Anlass, die Zuschauer im Stehplatzbereich freundlich, aber doch bestimmt dazu aufzufordern, das Abfeuern von Feuerwerks- und Knallkörpern gefälligst zu unterlassen. Plaudertaschen-„Banky“, nie um ein Wort oder einen Kommentar verlegen, leistete sich diesen Fauxpas und erntete damit helles Gelächter.
Last but not least und gerade auch auf sie sollte man anhand dieser Erzählung nicht vergessen – die Herrschaften, die in den WC-Anlagen auf den Wiener Fußballplätzen Dienst versahen. Da standen alte, ausrangierte Sessel im Ein- und Ausgangbereich zu den sanitären Anlagen, auf denen wiederum kleine Körberl platziert waren, in die man nach der Notdurftverrichtung Münzen hineinwerfen hätte sollen. Die Damen und Herren dort, meist Wiener Pensionisten (gegendert wurde damals noch nicht) betrachteten einen mit Argusaugen, ob denn nach getaner Tat nicht doch eine kleine Schilling-Münze für sie abfiel. Sollte sich vorher – ob des schlechten Spiels des Lieblingsvereins, oder weil eben das letzte Bier ungenießbar war – gerade einer übergeben haben, so hatte man als Nachfolger am „Häusl“ Pech, aber sonst waren die Anlagen in einem guten, meist auch geruchlosen Zustand.
Apropos „Häuslfrau“: Sehen Sie hier bitte den herrlichen und einzigartigen Helmut Qualtinger in mehreren Paraderollen;
Nun, die Zeiten haben sich geändert und diese echten Originale gibt es leider nicht mehr. Wie überhaupt auch die alten Sportplätze und Stadien immer weniger werden. Heute nennt man alles eine Arena, man druckt sich die Karten, pardon, die Tickets bequem zu Hause selbst aus, marschiert zum Eingang, lässt sich von einem meist der deutschen Sprache nicht mächtigen Security-Heini abtasten und gelangt nach erfolgter, sexueller Nötigung ins Stadion … “Arena”, ja, ich weiß. Es ändern sich eben die Zeiten, die Weiber und das Bier, nicht aber die Liebe zum Fußballsport, die ist und bleibt unauslöschlich.
Anmerkung:
Mit dem Abgang vor drei Jahren von Andy Marek bei RAPID schied nun wohl das letzte Original dahin. Man kann über die Art und Weise der Stadion-Moderation von Marek, die dieser zwischen 1992/93 und 2019/20 betrieb, naturgemäß geteilter Meinung sein, man sollte aber an dieser Stelle auch nicht vergessen, dass er bei den Hütteldorfern ein Tausendsassa war, der sich im und beim Verein um alles kümmerte. Auch für die Fans war er Anlaufstelle, Seelenklempner und ab und zu auch deren Sprachrohr. Und dennoch verhielt es sich bei ihm so, wie seinerzeit bei Hans Krankl: Man liebte ihn, oder man hasste ihn, aber völlig Wurscht war weder der „Hansi“ noch in diesem Fall eben der Andy Marek niemandem.
Quelle: Redaktion www.oepb.at
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