Der junge Johann Studnicka (* 1883, † 1967) hier im Dress des Wiener Athletiksport-Club / kurz WAC, war Österreichs erster Rekord-Nationalspieler sowie Rekord-Torschütze des ÖFB. Foto: Sammlung oepb

Begibt man sich in Österreich auf Spurensuche zu den fußballerischen Anfängen der heimischen Nationalmannschaft, so taucht man ein in eine Welt, die in grauer Vorzeit einmal allgegenwärtig war. Ja, man kann diese Zeit durchaus auch als „Steinzeit des Fußballsports in Österreich“ bezeichnen. Und gerade deswegen ist unser heutiger Blick zurück überaus interessant und fesselnd zugleich. Spannend wohl eher nicht, denn spannend verliefen ohnehin so einige der bis heute insgesamt 815 Wettkämpfe und Länderspiele (Stand: 12. Oktober 2022) einer Österreichischen Fußball-Nationalmannschaft im Laufe ihrer 120-jährigen Geschichte.

Blick auf den WAC-Platz in der Rustenschacherallee 9 in der Wiener Leopoldstadt. Hier fing auf den Tag genau vor 120 Jahren die Österreichische Fußball-Länderspielgeschichte an. Foto: Sammlung oepb

Johann Studnicka – genannt „Jan“ oder der „G´stutzte“

Beginnt man beim Vorläufer des heutigen ÖFB, so kommt man um einen Mann nicht herum: Johann Studnicka, der von den Wiener Fußballfreunden gerne auch „Jan“ oder einfach nur „Der G´stutzte“ ob seines eher kleinen Körperwuchses gerufen wurde. Und Studnicka kam nicht etwa von der Vienna oder den Cricketern, sondern vom WAC. Der First Vienna Football Club, als auch der Vienna Cricket and Football-Club erblickten beide im August 1894 das fußballerische Licht der Welt, wobei hier die blau-gelbe Vienna aus Döbling (22. August 1894) um einen Tag älter ist, als die blau-schwarzen Cricketer aus dem Prater. In diese muntere Zeit der Vereinsgründungen hinein gesellte sich 1896 auch der Wiener Athletiksport-Club, der zuerst ein reiner „Athletic Sportclub“ war. Am 14. Oktober 1897 kam auch die Fußballsektion des Wiener AC / kurz WAC – und in keinster Weise mit dem Wolfsberger AC zu verwechseln – hinzu. Und eben dieser dritten Kraft in Wien entstammte besagter Studnicka. Den kleinen Johann trieb es bereits als Kind immer wieder auf die riesigen Praterwiesen und er blickte bewundernd zu den kickenden Engländern der Cricketer auf. Als eines schönen Tages vermehrt darauf Wert gelegt wurde, eine Mannschaft ohne Einfluss der Engländer zu stellen, die einzig und allein aus Österreichern und Wienern bestand, war für ihn die Zeit reif geworden. Studnicka gehörte der Gassenmannschaft „Jugendhort“ an, die quasi 1 : 1 in die Kampfmannschaft des Wiener AC inkludiert wurde. Und die Zeit für den Vollblutfußballer Johann Studnicka (* 12. Oktober 1883) war nun gekommen. Begonnen als Verteidiger, avancierte der kleine, aber kräftige Studnicka im Laufe der Jahre zum besten Stürmer seiner Zeit. Er galt als drahtiger Aktiver, wirbelte seine Gegenspieler stets geschickt durcheinander und „schraubte“ seine Bälle immer wieder in das Tor des Gegners. Zahlreiche Knieverletzungen konnten ihn nicht stoppen und die Spielweise des „G´stutzten“ war eine Sensation gewesen damals.

Johann „Jan“ Studnicka (* 1883, † 1967) wurde von den Wiener Fußballfreunden auch gerne als „Der G´stutzte“ tituliert. Seine O-Beine halfen dem „Erfinder des Dribblings“ dabei, wenn er den Ball mit Effet in Richtung gegnerisches Tor zwirbelte. Diese Aufnahme stammt von 1918. Foto: Sammlung oepb

Städtespiel und Regelkunde

Nachdem im Oktober 1898 in Wien das „Comité zur Veranstaltung von Fußballspielen“ gegründet wurde, kam die erste Wiener Auswahl am 18. Dezember des gleichen Jahres auf der „Athletiksport Club“-Anlage im Prater gegen ein Team, bestehend aus in Wien lebender Engländer, die gemeinhin den Fußballsport ja erfunden hatten, „nur“ mit 1 : 4 unter die Räder. 2.500 Besucher verfolgten am heute noch existierenden WAC-Platz in der Rustenschacherallee in der Leopoldstadt diese Begegnung. Ein Jahr später, 1899, wurden die ersten Prüfungen für die Schiedsrichter verpflichtend vorgeschrieben. Am 3. November 1899 stieg das erste Städtespiel zwischen Wien und Berlin, mit einem 0 : 2 als Endstand. 1900 wurde nicht nur das erste Regelbuch aufgelegt, auch die „Österreichische Fußball-Union“, der Vorläufer des heute bekannten ÖFB, wurde gegründet.

Der „Pratersportplatz“ des Wiener AC zu Wien II besteht heute noch. Foto: © oepb – September 2009

Österreich und Wien im Jahre 1902

Das damalige Österreich ist mit jenem von heute nicht zu vergleichen. In Wien – und das bereits seit 1848 – regierte Kaiser Franz Joseph I. einen Vielvölkerstaat. Seine Proklamation, dafür Sorge zu tragen, „…dass es mir gelingen werde, alle Stämme der Monarchie zu einem großen Staatskörper zu vereinigen.“, ging bis zum Ausbruch des „Großen Krieges“ im Jahre 1914 einigermaßen gut. Mit dem Beginn des Ersten Weltkriegs am 28. Juli 1914 zerfiel Österreich-Ungarn, das mit seinen knapp 53 Millionen Einwohnern nach dem Russischen und dem Deutschen Reich als drittgrößter Staat Europas galt. Und da man 1902 von der Österreichisch-Ungarischen Monarchie als Staatsform sprach, ist es also auch nicht weiter verwunderlich, dass es in Sachen Fußballsport zu den sogenannten Städtespielen innerhalb dieser Monarchie kam.

Der Platz hat zwar im Laufe der letzten 15 Jahre sein Aussehen immer ein bisserl verändert … Foto: © oepb – September 2009

Sonntag, 12. Oktober 1902

Sechs Jahre zuvor, 1896, erschien bereits in der Tageszeitung „Neues Wiener Tagblatt“ erstmals eine eigene Sportrubrik. Und diese Sportrubrik verrät am 12. Oktober 1902: „Wien gegen Budapest, Sportplatz 3 Uhr“ Mit dem Sportplatz war nicht die repräsentative Praterrennbahn gemeint, sondern der WAC-Platz. Und in eben diesem „Neuen Wiener Tagblatt“ konnte man tags darauf, am 13. Oktober 1902 folgendes lesen:

Fußball
Wiener gegen Budapester Team
Wien siegt 5 : 0

Bei günstigem Wetter und gutem Besuch wurde gestern auf dem Sportplatz des W.A.C. das Match der repräsentativen Mannschaften von Budapest und Wien ausgetragen. Die Budapester waren mit zahlreichen Ersatzleuten gekommen und zeigten große Aufopferung, Schnelligkeit, aber eine armselige Kombination. In diesem Grunde leistete die Wiener Mannschaft geradezu glänzende Leistungen, obzwar die Deckung nicht ganz den Erwartungen entsprach. Die beiden Mannschaften bedrängten einander ziemlich gleichmäßig, wobei sich auf Seite des Wiener Teams gutes Schussvermögen geltend machte; bei den Ungarn ragte die Verteidigung durch ihre Leistungen hervor, allein sie war nicht im Stande die flinken und geschickten gegnerischen Stürmer in Schach zu halten. Der überlegene Sieg war somit eine selbstverständliche Sache.    

… dennoch kann man nach wie vor dort die vorherrschende Österreichische Fußballgeschichte inhalieren. Foto: © oepb – November 2013

Städtespiel avanciert zu Länderspiel

Jenes Städtespiel zwischen Wien und Budapest, das in Summe bis 1908 vorab zehnmal in Serie ausgetragen wurde, ehe die jeweiligen Gegner von Österreich nun nicht mehr „nur“ Ungarn, sondern England und Deutschland und ab 1912 auch Niederlande, Norwegen und Italien hießen, galt 1902 als das erste Länderspiel auf dem Kontinent. Mit der Verbandsgründung des ÖFB am 18. März 1904 fanden diese Städtespiele Aufnahme in die offizielle Reihung der ÖFB-Länderspiel-Statistik. Und unser „g´stutzter“ Freund Johann „Jan“ Studnicka ging als erster Goalgetter in die rot-weiß-rote Länderspielgeschichte ein. Drei Tore gegen die Ungarn gelangen ihm in diesem Ur-Länderspiel des Jahres 1902, Österreich siegte bekanntlich am WAC-Platz im Prater vor 500 Besuchern mit 5 : 0, und Studnicka sollte noch bis zum Ende seiner aktiven Laufbahn zahlreiche Volltreffer folgen lassen. Bis zum 9. Mai 1918 – einem 5 : 1 Österreichs über die Schweiz – absolvierte Studnicka in Summe 28 Länderspiele mit 17 Toren. Er war somit der erste Österreichische Rekord-Internationale und ebenso auch Rekord-Torschütze, dem bei seinem Länderspiel-Debüt am 19. Geburtstag gleich drei Volltreffer gelungen waren. Aber auch die beiden anderen rot-weiß-roten Torschützen Josef Taurer und August Huber an jenem 12. Oktober 1902 sollten hier Erwähnung finden. Der „G´stutzte“ mit seinen „gedrechselten“ O-Beinen, der zweifelsfrei als der erste Fußballstar in Österreich galt, arbeitete nach seiner Laufbahn als Abteilungsleiter im Sporthaus Westend in der Mariahilferstraße und war bis zu seinem Ableben am 18. Oktober 1967 gerngesehener Gast am WAC-Platz, für den er zwischen 1902 und 1920 aktiv war. Nach seiner Zeit beim Prater-Klub trainierte er zwei Jahre die Vienna, ging auch in die Schweiz zum FC Zürich und ließ seine Trainer-Laufbahn beim SpC Rudolfshügel Mitte der 1920er Jahre ausklingen.  

Der WAC-Platz heute. Rechts das Spielfeld, links die Tennis-Plätze. Foto: © oepb – Mai 2022

120-jährige ÖFB-Bilanz

Der ÖFB blickt heute auf eine 120-jährige Länderspielgeschichte zurück, die in diesen zwölf Jahrzehnten wahrlich sämtliche Höhen und Tiefen mit sich brachte. Die Bilanz von 815 A-Länderspielen ist nach wie vor positiv: 339 Siege, 174 Unentschieden, 302 Niederlagen bei einer Tordifferenz von 1.437 : 1.271. Ein großes Erbe, das nicht vertan werden sollte!

Blick auf das Spielfeld am WAC-Platz. Die alte Stehterrasse wurde inzwischen abgetragen. Foto: © oepb – Mai 2022

Quelle: Redaktion ww.oepb.at

Lesen Sie noch mehr über den ÖFB – wie gewohnt – bei uns bitte hier;

www.oefb.at

Und über die Bundesliga bitte hier;

www.bundesliga.at

Ein Hauch von Melancholie: Am 19. Dezember 1978 bestritt der FK Austria Wien ein Freundschaftsspiel gegen den Wiener-Liga Klub WAFL-Neuchrist und gewann mit 11 : 1. Seit jener Zeit findet fußballtechnisch am WAC-Platz kein profihafter Ballkontakt mehr statt. Foto: © oepb – November 2013
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