Fußball-Europacup-Endspiele in Wien? Ja, Fußball-Europacup-Finalspiele in Wien! Das, was heutzutage undenkbar erscheint, war in früheren Jahrzehnten durchaus möglich, nämlich dass es im guten, alten Wiener Praterstadion, das seit 1993 den Namen von Ernst Happel trägt, zu überaus brisanten Finalspielen auf der europäischen Fußballbühne kam.
Welcome in VIENNA
Wien war vor über 35 Jahren – nach 1964 und 1970 – zum dritten Mal der Austragungsort eines europäischen Endspiels. Am 27. Mai 1964 bezwang Inter Mailand vor 72.000 Zuschauern in Wien die „Königlichen“ von Real Madrid im Endspiel des Europapokals der Landesmeister (die heutige Champions League) mit 3 : 1. Und sechs Jahre später kam es am 29. April 1970 zum Finale im Wiener Prater zwischen Manchester City und Gornik Zabrze. Lediglich 8.000 Besucher erlebten hier im Europapokal der Pokalsieger ein 2 : 1 der Engländer. Und nun, 17 Jahre später, am 27. Mai 1987 war Wien erneut der Austragungsort um die begehrteste Trophäe im Rahmen des europäischen Klubfußballs.
FC Bayern München versus FC Porto
Die Unterschiede für das Endspiel von Wien 1987 hätten unterschiedlicher nicht sein können. Einerseits der „große“ FC Bayern München, der zum damaligen Zeitpunkt den Europapokal der Landesmeister in den Jahren 1974, 1975 und 1976 bereits dreimal gewinnen konnte, darüber hinaus 1967 auch den Europapokal der Pokalsieger nach München holte und in der heimischen Meisterschaft 1986/87 drauf und dran war, dem 1. FC Nürnberg die bis zu diesem Zeitpunkt haltende Rekordmeisterschaft mit dem 10. Gewonnenen Meistertitel in der Geschichte des deutschen Klubfußballs abzujagen – heutzutage sind die Bayern zehnmal en suite Deutscher Meister – und auf der anderen Seite der „kleine“ Futebol Clube do Porto, aus dem Norden Portugals stammend und bisher lediglich mit 9 nationalen Meistertiteln und 5 Cupsiegen auf der Iberischen Halbinsel aufgefallen.
Grußworte des Bürgermeisters
„Wien freut sich, heuer für die Austragung des Finalspiels im Europapokal der Landesmeister auserwählt worden zu sein. Der Fußballsport hat in dieser Stadt bekanntlich große Tradition und das Wiener Praterstadion war schon oft Schauplatz hervorragender Kämpfe. Dem Geist dieser Stadt entspricht es, dass diese Kämpfe stets sportlich verliefen, nicht nur auf dem Spielfeld. Fußball, dieser wunderbare Kampfsport, der Millionen Menschen in aller Welt begeistert, soll nicht nur Unterhaltung bieten, er sollte auch völkerverbindend sein. Und das Wiener Stadion, das für uns Wiener und Österreicher aufgrund seiner Geschichte mehr bedeutet, als nur Sportarena zu sein, möge auch in Hinkunft seiner Rolle gerecht werden, nämlich das österreichische Zentrum sportlich-fairer Begegnungen auf nationaler und internationaler Ebene zu sein!“, so der Wiener Bürgermeister Dr. Helmut Zilk im Rahmen einer Presseaussendung drei Tage vor dem Finale.
ÖFB heißt die Mannschaften willkommen
„Das neue Wiener Stadion schreibt Fußballgeschichte“ – hieß es selbstbewusst anlässlich der Wiedereröffnung nach dem Umbau am 29. Oktober 1986. Der Abend machte die Feststellung zum Ereignis. Vize-Weltmeister Deutschland wurde von einer entfesselnd aufspielenden Österreichischen Nationalmannschaft mit 4 : 1 besiegt. Das nächste geschichtsträchtige Datum ist der 27. Mai 1987. Zum zweiten Mal ist Österreich und Wien Gastland für das Finale im Europapokal der Landesmeister und zum dritten Mal der Finalort eines Endspiels auf der europäischen Fußballbühne. Die UEFA hat dieses populäre Pokalfinale nun wieder nach Wien vergeben, weil das neue Wiener Stadion wohl eines der schönsten Stadien der Welt ist und weil sich die UEFA von der Organisationskraft des ÖFB und der Kompetenz der Wiener Sicherheitsbehörden überzeugen konnte. Fußballeuropa blickt wieder auf Österreich. Ein kleiner Grund, auch ein bisserl stolz zu sein.“, so der ÖFB-Präsident Beppo Mauhart in seiner Grußansprache.
Austria Memphis gegen Bayern München
Der FK Austria Wien, der in den 1980er Jahren offiziell Austria Memphis hieß, traf in Sachen Europapokal der Landesmeister zweimal in Serie – jeweils in der 2. Runde – auf die Münchner Bayern und schied ebenso zweimal in Serie aus. Zuerst 1985/86 nach einem 2 : 4 von München (über 20.000 Veilchen-Fans bevölkerten damals die Nordkurve des Olympiastadions) und einem 3 : 3 in Wien, sowie im Jahr darauf 1986/87 abermals zuerst in München mit 0 : 2 und einem 1 : 1 in Wien. Was dann im Mai 1987 kurz vor dem Finale den mit seinen 26 Jahren bereits damals schon nicht auf den Mund gefallenen Lothar Matthäus (FC Bayern München) zu folgender Wortspende veranlasste: „Wenn wir Porto schlagen, ist das auch ein Sieg für die Austria, die ja dann gegen den Europacupsieger ausgeschieden wären!“
Toni Polster mit Roland Wohlfahrt
Der Paradestürmer der Bayern der damaligen Jahre, der 34-jährige Dieter Hoeneß, der jüngere Bruder des Managers Uli Hoeneß, beendete zum Ende der Saison 1986/87 seine Karriere. Was den Sturmpartner im Münchner Angriff Roland Wohlfahrt im Bayern-Magazin zu der Feststellung veranlasste: „Toni Polster wäre der ideale Nachfolger für Dieter Hoeneß!“ Und auch Max Merkel polterte, dass er es nicht verstehen könne, warum die Bayern Toni Polster, der am Weg zum „Goldenen Schuh 1986/87“ war und quasi vor der Münchner Haustüre in Wien erfolgreich Fußball spielt, nicht verpflichten wollen. Dies blieb seinerzeit ein Geheimnis der Entscheidungsträger von der Säbener Straße.
Bayern im Horr-Stadion – Porto in Wiener Neudorf
Auch in Sachen Unterbringung merkte man den „kleinen aber feinen“ Unterschied. Während der FC Porto am Montagabend um 19.20 Uhr in Schwechat landete und kurze Zeit später in Wiener Neudorf ein abendliches Training absolvierte, im City-Club Vösendorf untergebracht war, logierte die Bayern im Marriott in der Wiener Innenstadt und trainierten im Franz Horr-Stadion, der Heimstätte des zuvor im Europapokal zweimal in Serie geschassten FK Austria Wien. Und man posaunte, dass man die Wiener lieben würde und dass der Prater eine herrliche und genau geeignete Spielstätte für dieses Finale sei. Man wollte sich aus Münchner Sicht die Wiener Fußballfreunde gewinnbringend „einbratn“.
25.000 : 15.000 und eine geplante Bayern-Siegesfeier um 23 Uhr
„Wir hätten das Wiener Praterstadion mit 100.000 Zuschauern auch ganz allein füllen können.“, frohlockte Bayern-Präsident Fritz Scherer und Lothar Matthäus wusste bereits im Vorfeld zu berichten, dass er in Wien für seine Bayern ein Heimspiel erwarten würde. Diese Erwartungshaltung wurde am Dienstag, einen Tag vor dem großen Finale noch unterstrichen, als plötzlich der FC Porto 4.600 Eintrittskarten zurückgab. Da diese Tickets nicht mehr in den freien Verkauf gelangten, war das Praterstadion am Finaltag mit 55.600 Zuschauern nicht ausverkauft. 60.200 Personen hätten Einlass erhalten. Und auch der Bayerische Rundfunk plante eine Live-Übertragung der zu erwarteten FC Bayern-Siegesfeier mit 450 geladenen Gästen aus dem Hotel Marriott. Dies alles ließ die Portugiesen kalt: Einerseits die Tatsache, dass man die zurückgegebenen Karten bezahlen müsse und andererseits die terminisierte FC Bayern-Siegesfeier. Man erinnerte auf Seiten Portos daran, dass Portugal gerade nach Kriegsende im Mai 1945 unzählige Kinder aus Österreich auf Ferien einlud. Dies, so hoffte man, würde das Wiener Publikum nun im Zuge der Anfeuerung für das portugiesische Team nicht vergessen haben.
Mittwoch, 27. Mai 1987, Praterstadion Wien, 20.15 Uhr
Alles war angerichtet: das erwähnte abendliche Bankett im Wiener Ringstraßen-Hotel „Marriott“ gebucht, ebenso der bereits damals schon traditionelle Empfang am „Tag danach“ am Münchner Marienplatz, die Feierlichkeiten und Festansprachen. Und doch wurde aus dem vermeintlichen Triumphzug ein Trauermarsch, denn in nur zwei Minuten war alles vorbei …
Die Bayern spielten in den blau-gelben Siegerhosen, aber der FC Porto jubelte. Die Bayern tanzten als Favorit in Wien an, doch den Walzer zelebrierten die Portugiesen. Die Bayern verloren nach 1982 zum zweiten Mal ein Endspiel (0 : 1 gegen Aston Villa), der FC Porto gewann sein erstes großes Finale. Und die europäische Fußballwelt staunte und freute sich, dass die „Fußballspieler“ in einem der spannendsten Endspiele der letzten Jahre über die „Fußballroboter“ triumphierten. Dies war deshalb möglich, da der FC Porto in der zweiten Spielhälfte beim Stand von 0 : 1 die Scheu vor dem großen Gegner abgelegt hatte und nun mit herzerfrischendem Angriffsspiel, gepaart mit Einfallsreichtum und den sich eigenen bietenden technischen Möglichkeiten das Spiel zur vollkommenen Entfaltung brachte.
1 : 0 – Halbzeit – 1 : 1, 1 : 2
Vorerst verlief alles programmgemäß. Die Bayern beherrschten das Geschehen und den zurückhaltenden Gegner, der seinerseits nur auf Torsicherung bedacht war. Ledglich der pfeilschnelle Paulo Futre sorgte hin und wieder für Abwechslung in der Bayern-Hintermannschaft. Und der, mit dem auf Seiten der Bayern niemand gerechnet hatte, nämlich Ludwig „Wiggerl“ Kögl, dem Mann für alle Fälle, gelang in der 25. Minute das 1 : 0. Die Bayern verabsäumten es jedoch, das Ergebnis auszubauen und bauten nach dem Seitenwechsel ab. Hier roch der Drache aus Porto Lunte und spie Feuer. Die Blau-Weißen kamen immer mehr auf und der Ausgleich zum 1 : 1, einem herrlichen Fersler, die Deutschen Kollegen sagen „Hacke“ dazu, gelang Rabah Madjer in der 78. Minute das 1 : 1. Dem natürlich nicht genug, versetzte nur zwei Minuten später der nach der Halbzeit eingewechselte Juary Jorge dos Santos mit einem satten Treffer zum 1 : 2 aus Sicht der Bayern dem taumelden Münchner Riesen den finalen Schuss. Der belgische Nationalkeeper im Tor der Münchner, Jean-Marie Pfaff hatte keine Chance.
100 versus 80.000
Am nächsten Tag, das Marriott-Bankett am Abend zuvor glich einem Leichenschmaus, dennoch bestärkten sich die Bayern selbst, in dem man frohlockte, es natürlich 1987/88 abermals versuchen zu wollen, empfingen keine 100 Fußballfans die Verlierer von Wien am Flughafen Riem. Ganz anders die Situation im Norden Portugals. 10.000 Menschen bereiteten nach der Landung am Donnerstag gegen 4 Uhr früh ihren Helden aus Vienna schon am Flughafen einen lautstarken Empfang. Im Estádio das Antas warteten dann 80.000 Anhänger, ohne Match wohlgemerkt, um ihre Idole frisch in den nächsten Morgen hinein feiern zu können. Der zu Freudentränen gerührte Klub-Präsident Pinto da Costa versicherte, die Prämie pro Spieler auf 350.000 Schilling (ca. € 25.400,00) pro Mann und Nase zu erhöhen und selbst aus Lissabon von Seiten der Benfica- und der Sporting-Anhänger kamen Glückwünsche. Schier ganz Portugal war aus dem Häuschen.
Zufriedener ÖFB – zufriedene Exekutive
Und auch von Seiten des Veranstalters ÖFB gab es nur positive Stimmung. Neben einem Reingewinn von 1 Million Schilling (ca. € 72.600,00) für den Verband hat Österreich und Wien gerade betreffend Tourismus und Fremdenverkehr Werbung in eigener Sache gemacht. „Wien hat sich als Sportstadt einmal mehr bestätigt und auch der Wiener Polizei gehört großes Lob gezollt. Ein großes Finale wurde ohne gröberen Beanstandungen auch von Seiten der Sicherheit wohlwollend über die Bühne gebracht. Wien hat sich damit qualifiziert, abermals den Zuschlag für solch ein Endspiel zu erhalten.“, so ein hochzufriedener UEFA-Präsident Jacques Georges im Rahmen seines Resümees. Und auch die Wiener Polizei zog nach dem Spiel zufrieden Bilanz. 1.300 Beamte standen im Einsatz, die 31 Verhaftungen vornehmen mussten. Einige Auslagenscheiben gingen zu Bruch und ein PKW wurde umgeworfen. Im Großen und Ganzen ein reibungsloser Ablauf eines Fußballspieles dieser Größenordnung, so damals der Tenor der aus- und durchführenden Organe.
Die Welt des Fußballs dreht sich weiter
Lothar Matthäus fand vor den geladenen Bankett-Gästen nach dem Spiel folgende Worte: „Dieses 1 : 2 wird Risse geben. Die Niederlage kann aber auch stark machen, ja, sie muss uns zusammenschweißen. Wir dürfen uns jetzt nicht selbst zerfleischen.“ Die Bayern, 1987 noch Deutscher Meister, mussten 1988 dem SV Werder Bremen in der Meisterschaft den Vortritt lassen und konnten sich erst wieder 2001 mit dem Gewinn der Champions League den höchsten Titel im europäischen Klubfußball sichern. Und der FC Porto holte sich nach 1987 im Jahre 2004 zum zweiten Mal den höchsten Titel mit der gewonnenen Champions League. Wien erlebte 1987 einen würdigen und vor allen Dingen verdienten Europapokal-Sieger der Landesmeister und richtete 1990 und 1995 abermals im Prater, dem späteren Ernst Happel-Stadion solch ein großes Finale aus. Vor über 35 Jahren jedoch schien wieder einmal für den Goliath alles angerichtet zu sein, um im Anschluss daran dennoch gegen den David den Kürzeren zu ziehen. Und genau das ist es doch, was den Fußballsport so unverwechselbar und herzerfrischend am Leben hält. Bis in unsere heutige Zeit hinein!
Quelle: Redaktion www.oepb.at