Byung-Chul Han – Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin – zeichnet die pathologische Landschaft unserer Gesellschaft, zu der neuronale Erkrankungen wie Depression, Aufmerksamkeitsdefizit-Syndrom, Borderline oder Burnout gehören. Er beschreibt sie als Infarkte, die im Gegensatz zu Infektionen nicht durch die Negativität des immunologisch Anderen, sondern durch ein Übermaß an Positivität bedingt sind. So entziehen sie sich jeder immunologischen Technik der Prophylaxe und Abwehr. Han´s Analyse mündet in die Vision einer Gesellschaft, die er Müdigkeitsgesellschaft nennt.
Diese hier geschilderte Hörbuch-CD trifft eine Reihe von Befindlichkeiten zur Reizüberflutung und Leistungsgesellschaft, die der Sache nach nicht unbedingt originell, aber sehr wohl intellektuell anregend und amüsant seziert werden.
Gesellschaftsanalysen ermüden oft, weil Zahlen aneinander gereiht werden und letztendlich doch nichts ausgesagt wird. Byung-Chul Han, der Philosophie-Professor aus Karlsruhe, hat eine grundsätzliche Analyse vorgenommen. Er ist ein Kreuz- und Querdenker und hält sich nicht an die gewohnten Regeln der Wissenschaft. Er wirft seine Wut in die Waagschale. Und diese Wut richtet sich auf die Leistungsgesellschaft. Seine These ist sehr eindeutig. Das Ich ist nicht bedroht, sondern schlichtweg überlastet. Die medizinische Diagnose für viele Erkrankungen im 21. Jahrhundert ist an autoaggressiven Krankheiten ausgerichtet. Der moderne Mensch wird durch einen Infarkt nieder gestreckt. Antibiotika helfen bei diesen Diagnosen nicht mehr. Dieser Leistungsdruck ergibt sich aus der Sorge ums Überleben. Könnte die Fähigkeit zur Aufmerksamkeit noch Abhilfe schaffen, so verlieren die Menschen die Fähigkeit zum Ausdruck.
Byung-Chul Han arbeitet sich an Hannah Arendt und Peter Handke ab, um seine These zu differenzieren. Wer das Hörbuch gehört hat, der verändert seine Lust an der Müdigkeit, er wird gerne müde sein, das aber nicht aus Erschöpfung. Und das Gerede vom Burnout wirkt dann wie eine zynische Persiflage.
Über den Autor:
Byung-Chul Han, geb.1959 in Seoul, Südkorea, ist Autor und Essayist, sowie Professor für Philosophie und Kulturwissenschaft an der Universität der Künste Berlin. Er studierte in Freiburg im Breisgau und München Philosophie, Deutsche Literatur und Katholische Theologie. Er wurde 1994 promoviert und habilitierte sich 2000. Seither ist er Privatdozent am Philosophischen Seminar der Universität Basel.
Hörbeispiel:
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