Wiener Fußballkultur 1920-1965
10. September 2008

eleganzWien war im Fußball anders. Hier wies das moderne Spektakel über die im Regelfall getroffene Gleichsetzung mit dem Freizeitverhalten der Arbeiterschaft weit hinaus. Fußball in Österreich war ein ausschließlich urbanes Phänomen, Ausdruck einer zutiefst städtischen Kultur, einzigartig auch in der selbstverständlichen Integration der jüdischen Sportvereine oder jüdischer Sportler, auch in der Verbindung von Gesellschaftsleben, Sportcafés, Kulturbetrieb und Fußball. Zehntausende Wiener zogen an den Wochenenden zu den neu errichteten Plätzen und in die Stadien, wenn die Wiener Clubs ihre Gegner nicht nur in anderen Wiener Stadtbezirken fanden, sondern auch in den großen Städten des benachbarten Auslandes, vornehmlich in Prag, Budapest, Bologna oder Mailand. Die großen Städte der alten Habsburgermonarchie bildeten die Hochburgen des kontinentaleuropäischen Fußballs. Fußball wurde von Hugo Meisl, dem Trainer des Wunderteams, transnational in einer europäischen Dimension gedacht. Der Mitropacup war eine Vorform der heutigen Champions League. Diese Ära setzte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs ein, als der Fußball zum Massensport wurde. Fußballer wurden als Stars gehandelt, die Clubs bekamen Fangemeinden. Rund um den Fußball entwickelte sich ein geschäftiger Betrieb. Im Wien der 1920iger Jahre etablierte sich der Profifußball. Akteure wie Matthias Sindelar, Josef Uridil, Karl Sesta, Willi Hahnemann und Franz ,Bimbo´ Binder gehörten wie später Ernst Happel, Gerhard Hanappi, Erich Hof oder Ernst Ocwirk zu den weltbesten ihres Faches.

In den 1920iger und 30iger Jahren zählte Wien zum fußballerischen Aushängeschild des europäischen Klubfußballs. Die so genannte ,Wiener Schule´ galt als elegante wie auch erfolgreiche Spielkunst. Der große Nachbar Deutschland wurde vermehrt besiegt, die Zuschauermassen strömten auf die Hohe Warte und später ins Wiener Stadion und in den zahlreichen Cafés der Stadt diskutierten die Intellektuellen über Spielverläufe, Mannschaftsaufstellungen, Spielzüge und dergleichen. Mit dem Einmarsch der Deutschen Truppen im März 1938 setzten die Nationalsozialisten jedoch der hohen Wiener Fußballkultur ein jähes und gewaltsames Ende. Der Einmarsch Hitlers brachte die Liquidierung der ,Hakoah´ und eine totale Umkrempelung des Organisationsgefüges. An der Oberfläche wurde aber anfangs weiter Kontinuität gezeigt. Die ,Ostmark´-Vereine feierten große Erfolge, was tiefe Irritation seitens der NS-Instanzen zur Folge hatte. Die einzige antifaschistische Massendemonstration im Wien zur Zeit der NS-Herrschaft (der gleichwohl überwiegend antipreußische Motive unterlegt waren), entzündete sich am Fußball. Nach 1945 gab es zwar noch einige Erfolge zu verzeichnen, etwa der 3. Platz bei der WM 1954 in der Schweiz, aber sehr bald begann der Niedergang des österreichischen und insbesondere des Wiener Fußballs. Die große Zeit des Wiener Fußballs fand ihr Ende mit Abschluss des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Sieg im Spiel gegen Deutschland in Córdoba im Juni 1978 ist ein später Nachhall der großen Zeit des österreichischen Fußballs.

Im Gleichklang zu diesem hier geschilderten wirklich tollen Buch gab es auch eine Ausstellung im Wiener Rathaus, die im Zuge der Fußball-Europameisterschaft von 5. Juni bis 29. August 2008 stattgefunden hatte. Dazu noch einige Zitate bekannter Größen von einst:

,Sie machten mit dem Ball so flüssige Konversation, dass der Gegner gar nicht zu Wort kam, und wussten im richtigen Moment den wuchtigsten und klassischsten aller Szenenabschlüsse hinzuschmettern: das Goal. Sie produzierten eine Mischung aus edelstem Burgtheaterpathos und elegantester Josefstädter Kammerkomödie. Es war jener unnachahmliche Stil, der weithin als ,Wiener Schule´ bekannt ist.´
Friedrich Torberg, Schriftsteller, Matthias Sindelar-Verehrer und bekennender und glühender Anhänger der Wiener Austria;

,Wenn wir vor Spielen auf dem Kahlenberg zusammenkamen, pflegte uns der Teamchef Walter Nausch stets ,scharf´ zu machen auf das Spiel. In seiner Art forderte er uns auf, hinunterzuschauen auf die Wienerstadt: ,Für die Stadt da unten, für das Land, für die Menschen müsst ihr spielen. Ihr wisst, was das zu bedeuten hat.´ Wir waren davon jedes Mal derart beeindruckt, dass wir auf der Stelle hinunter wollten ins Stadion, um den Gegner kompromisslos niederzukämpfen und niederzuspielen.
Ernst Ocwirk, Ex-Internationaler und Teamkapitän;

,Vereinsfanatismus hat die Urkraft einer Lawine, deren Gewalt von winzigen Lächerlichkeiten, von Zufällen ausgelöst werden kann. Vereinsfanatismus macht in Wien aus milden Familienvätern Monumente der Intoleranz, aus freundlichen Blindschleichen unberechenbare Giftschlangen, aus biederen Rechtsanwälten Kidnapper der Sportmoral, aus harten Politikern zitternde Idealisten, Fußball übt demnach in dieser Stadt eine zersetzende, festigende, demoralisierende und charakterstärkende Wirkung aus.´
Kurt Jeschko, Schriftsteller;

Die Eleganz des runden Leders. Wiener Fußball 1920-1965.
Von Wolfgang Maderthaner,
Alfred Pfoser und Roman Horak in Zusammenarbeit mit der Wienbibliothek.
224 Seiten, Hardcover, zum Preis von EUR 19,80 ISBN 978-3-89533-614-0

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