ÖSTERREICH und die DDR bezogen im alles entscheidenden WM-Qualifikationsspiel am 15. November 1989 Aufstellung. Die beiden Hymnen, musikalisch perfekt dargeboten von der damaligen ÖMV-Werkskapelle erklangen im weiten Prater-Oval. Foto: © oepb

“Toni Polster noch einmal, es war so wunderschön, Toni, Toni noch einmal, wir wollen Tore seh´n!”, so hallte es vor nunmehr 33 Jahren, am 15. November 1989 gegen 19 Uhr durch das Wiener Praterstadion.

Doch zuvor war alles anders;

1989 feierte nicht nur die DDR – die Deutsche Demokratische Republik – ihre Sternstunde mit der, anhand des Berliner Mauerfalls vom 9. November 1989 gestatteten Ausreise für sämtliche Ost-Bürger bürokratielos nach überallhin, auch Österreich hatte gegen die strammen Fußball-Mannen der DDR mit einem heroischen 3 : 0 (Pausenstand 2 : 0)-Erfolg (s)eine Sternstunde, in der man sich quasi am letzten Spieltag der WM-Gruppe 3 mit diesem vollen Erfolg für die Fußball-Weltmeisterschaft 1990 in Italien qualifizieren konnte.

Dabei war die spielerische causa an jenem Mittwoch Abend im Wiener Prater im Vorfeld gar nicht so klar, die Sache schien keine „gmahte Wiesn“ zu sein. Österreich verlor eine Runde zuvor am Bosporus gegen die Türkei im Ali-Sami-Yen-Stadion zu Istanbul sang- und klanglos mit 0 : 3, die Türken saßen den Österreichern am letzten Spieltag sportlich gehörig im Nacken und auch die DDR war noch sehr gut im Rennen. UdSSR – 9 Punkte (2 Punkte Regel für den Sieg), Türkei, DDR und Österreich allesamt 7 Punkte, wobei Österreich mit 6 : 9 auch noch die schlechteste Tor-Differenz aufwies. Es ging also um alles in den Begegnungen UdSSR vs. Türkei und Österreich vs. DDR. Die ursprüngliche Anstoßzeit von 19.30 Uhr wurde auf 18 Uhr vorverlegt, gleichzeitiger Beginn in Simferopol, als auch in Wien. Und – die Bilanz gegen die Ost-Deutschen war auch alles andere als positiv: 4 Remis und 1 Niederlage aus Österreichischer Sicht – bis dato.

Dennoch war die österreichische Fußball-Seele guter Dinge und frohen Mutes und der Wiener Prater an jenem sonnigen und bunten Herbst-Nachmittag anhand der Hauptallee in zahlloses rot-weiß-rotes Tuch gehüllt. Unter den tausenden Fußball-Fans waren auch gut und gerne 4.000 DDR-Bürger anwesend, die in vier Sonder-Zügen aus Berlin, Dresden und Leipzig, als auch mit dem Privat-PKW angereist waren. „Go Trabi go“ – über die offenen Grenzen in die österreichische Bundeshauptstadt. Dermaßen viele Sachsenring-Trabanten wie damals gab es nie mehr wieder in Wien zu bestaunen. Der ÖFB unter Alfred „Gigi“ Ludwig leistete dazu ganze Arbeit. Es wurden für die Ost-Deutschen nicht nur ruck zuck 100 Schilling (€ 7.-) Tickets aufgelegt, auch im benachbarten Ferry Dusika-Stadion konnten jene Besucher, die keine Karte mehr ergatterten, auf einer Großbild-Leinwand das Match verfolgen. Public Viewing demnach bereits 1989, auch, wenn es in einer Halle war.

Cover – mit Teamspieler Andreas Ogris – des offiziellen Matchprogramms des ÖFB an jenem Tag. Sammlung: oepb

Anton „Toni“ Polster war der Buhmann! Was bei Länderspielen in Linz gegen Ungarn im September 1988 begann (Pfeifkonzert beim Exekutieren eines Strafstoßes, Polster scheiterte, 0 : 0 der Endstand), setzte sich in Salzburg im August 1989 fort. Österreich bezwang in der WM-Qualifikation Island mit 2 : 1, ohne „Reservist“ Toni Polster. Teamchef Josef Hickersberger brachte ihn erst gleich gar nicht und setzte auf den Ex-Salzburger Heimo Pfeifenberger als Lokalmatador. Im Vorfeld bei den Testspielen in Anif (2.500 Besucher, 6 : 0 für das Team, 2 Polster-Tore) als auch Kuchl (1.500 Zuschauer, 17 : 0-Erfolg, 1 Polster-Tor) setzte es für den erfolgreichen FC Sevilla-Legionär unverständlicherweise stets Pfiffe und unflätige Buhrufe.

Wir drehen das Flutlicht an und führen 1 : 0, um mit 2 : 1 zu gewinnen!“, so Teamchef Josef Hickersberger im Vorfeld bei der Abschluss-Pressekonferenz auf die Frage eines DDR-Journalisten nach dem Endresultat.

In den Stehplatz-Sektoren C und D am 3. Rang des Wiener Praterstadions versammelten sich damals die Hardcore-Fans von AUSTRIA, RAPID und anderen Fan-Gruppen aus den Bundesländern, um die Nationalmannschaft einträchtig und lautstark zu unterstützen. Sammlung: oepb

Mittwoch, 15. November 1989, 17.50 Uhr: Stadionsprecher und ORF-Kommentator Erich Götzinger verlautbarte beide Teams, bei Toni Polster erntete er ein gellendes schier nicht enden wollendes Pfeifkonzert! Unglaublich dieser Zustand, selbst heute noch! Die Hymnen waren verklungen, das Match 1:52 Minuten alt und es klingelte erstmals im Kasten der DDR! Kein Geringerer als der Buhmann himself traf zum so wichtigen und frühen 1 : 0. Der Teamchef sollte also Recht behalten mit der frühen Führung. Matthias Lindner wurde zweimal düpiert, der zu Hilfe eilende Matthias Döschner kam zu spät, Dirk Heyne im Tor hatte keine Chance. Riesen-Jubel im weiten Oval. Jene, die zuerst noch bitterböse gepfiffen hatten, schwenkten nun freudig erregt ihre rot-weiß-roten Fähnchen. In dieser Tonart ging es weiter. Christian Keglevits wird im Strafraum gelegt, no na Toni Polster tritt zur Elfmeter-Exekution an und trifft zum 2 : 0 nach 22 Minuten! Freude, lautstarker Jubel und Applaus allerorts. Kurze Zeit später ein Innehalten: Robert Pecl unterläuft ein folgenschwerer Fehler, den Ernst Aigner am durchbrechenden Andreas Thom nur mehr mit einem Foul im Strafraum „korrigieren“ kann, Elfmeter für die DDR. Rico Steinmann legt sich den Ball zurecht. „Wann da Bubi den hoit wird´s a denkwürdige Partie.“, raunte ein älterer (vermutlich LASK-Anhänger, denn nur dort hieß Klaus Lindenberger seit jeher „Bubi“) Herr seinem Nachbarn am Stehplatz im 3. Rang zu. Darauf dieser: „Is es die net eh scho?“ Wie dem auch sei, der Jung-Star des FC Karl-Marx-Stadt tritt an, trifft das Leder, das sich zu einem halbhohen Schuss nach links (vom Schützen aus gesehen) entwickelt und Klaus Lindenberger, der die Ecke errät, pariert.

Nach diesen 30 Minuten war alles anders: „Toni, Toni“ und „Lindi, Lindi“-Sprechchöre für den Goalgetter und den Elfmeter-Helden. Und es folgte eine weitere Premiere. Das, was beim Qualifikations-Spiel im September des gleichen Jahres gegen die UdSSR (0 : 0 der Endstand) noch nicht ganz so geklappt hatte, funktionierte nun wie am Schnürchen. Die „La ola“-Welle feierte eine glanzvolle Wien-Premiere und drehte mehrmals und nicht enden wollend ihre Runden durch das weite Rund. Die DDR schien geschlagen zu sein, und dennoch heißt es achtgeben, denn es folgte ja noch eine zweite Spielhälfte. Was macht die UdSSR gegen die Türkei? Es steht 0 : 0 zur Halbzeit. Österreich wäre nach 45 Minuten für die WM 1990 qualifiziert, jedoch fix ist nix, es geht noch eine ganze Halbzeit lang und sollte die Türkei mit nur 1 : 0 gewinnen, reisen sie nach Italien, der besseren Tordifferenz wegen.

Die Stimmung im Praterstadion war hervorragend, die Pfiffe gegen Toni Polster scheinbar vergessen und die Zuschauern frisch, fröhlich und heiter.

In der 61. Minute hatte Toni Polster noch einmal seinen ganz großen Auftritt. Lokomotive LeipzigAkteur Matthias Lindner ausgetrickst, Dirk Heyne vom 1. FC Magdeburg in die vom Keeper aus gesehene falsche Ecke verladen, satter Schuss, 3 : 0 für Österreich! Ein Wahnsinn! Polster übersprang im Eifer die Werbe-Balustrade, sprintete entlang der Laufbahn vor die Ränge F und A und ließ seinen ganzen aufgestauten Frust über das Österreichische Fußball-Publikum vom Stapel. Man konnte ihn nur allzugut verstehen.

Der Jubel und „Loa ola“ schwappte fröhlich weiter und als es dann um 19.24 Uhr hieß, dass die UdSSR in Form von Oleg Protassow gegen die Türkei zum 1 : 0 einschoss, schien das Praterstadion-Freudenfass komplett überzulaufen. Die letzten Spielzüge glichen einer Kür, die Pflicht ward getan.

Warum Josef Hickersberger seinen Tor- und Erfolgsgaranten an jenem Abend – und nicht nur da – Toni Polster nicht vorzeitig vom Platz nahm, um ihm eventuelle Begeisterungs-Stürme des Publikums zu gönnen, kann hier nicht beantwortet werden. Fakt war jedoch, dass Oleg Protassow noch einmal traf, die UdSSR gegen die Türkei mit 2 : 0 und Österreich gegen die DDR mit 3 : 0 gewann. Diese beiden siegreichen Nationen reisten im Juni 1990 zur Fußball-WM nach Italien.

Als der polnische Referee Piotr Werner pünktlich um 19.45 Uhr abpfiff, lag sich ein ganzes Stadion in den Armen. Tausende und abertausende Zuschauer feierten ihre Fußball-Nation und vergessen schienen sämtliche Unmutsäußerungen und Pfiffe gegen den damals 25jährigen Anton “Toni” Polster. Dieser sprintete nach Spielschluss auch gleich in die Kabine und war für lange Zeit nicht mehr gesehen. Auch die Ehrenrunde, die die Nationalmannschaft im Stadion mit Nachzügler Christian Keglevits „Ich hatte keine Kraft mehr und war total kaputt“ vollzog, fand ohne den Hattrick-Helden statt. Diesem gelangen an jenem denkwürdigen Abend in Wien erstmals drei Tore in der Nationalmannschaft, so viele in einem Spiel waren zuvor zuletzt 1977 Hans Krankl gegen Malta geglückt (6 an der Zahl) und in Summe traf Polster in der WM-Qualifikation fünfmal – bei 9 Toren der ÖFB-Auswahl insgesamt.

Die Nationalmannschaft der DDR um Teamchef Eduard “Ede” Geyer – der im übrigen noch heute sagt, dass die Mauer um eine Woche zu früh gefallen ist – meinte, dass seine Spieler gedanklich ob ihrer sportlichen Zukunft abgelenkt waren und nicht mehr 100%ig bei der Sache. Wäre die Mauer später gefallen, wer weiß, wie das Match seiner Ansicht nach ausgegangen wäre. Dem entgegnet heute Rico Steinmann wie folgt: “Wir waren zwar die DDR mit einer jungen und hungrigen Mannschaft, aber Österreich hatte den Toni Polster!” Fußballerisch gesehen wurde die 40-jährige DDR an jenem Abend irgendwie auch zur Geschichte, wenngleich sie erst ein Jahr später im Rahmen einer Außerordentlichen DFV-Verbandstagung ausgelöscht wurde. Am 20. November 1990 vollzog sich im Neuen Rathaus in Leipzig einer der vorletzten formellen Schritte auf dem Weg zur deutschen Fußballeinheit.

Die zahlreichen Schlachtenbummler aus der DDR verhielten sich vorbildhaft und mustergültig, es kam zu keinen nennenswerten Auseinandersetzungen oder gar Ausschreitungen. Auch die Wiener Polizei war positiv überrascht, von einem derart ruhigen Fußball-Abend trotz aller Begeisterungsstürme und vorhandener Euphorie.

Die Österreichische Fußball-Nationalmannschaft bei ihrer Ehrenrunde nach Spielschluss. Vorne weg von links: Andreas Ogris, Manfred Zsak, Heimo Pfeifenberger, dahinter mit nackten Oberkörper Robert Pecl, neben ihm Alfred Hörtnagl, weiter rechts Anton Pfeffer, sowie Teamkeeper Klaus Lindenberger (gelbes Trikot). Dahinter noch Manfred Linzmaier, Peter Artner sowie Andreas Herzog (in die Hände klatschend). Bildmitte weiter hinten mit rot-weiß-rotem Kapperl und Fahne adjustiert Christian Keglevits, der völlig ausgelaugt war und nur noch müde hinterher trotten konnte. Nicht im Bild dabei war Toni Polster. Zu tief saß sein Schmerz aufgrund der zahlreichen Pfiffe gegen ihn zu Beginn des Spiels. Foto: © oepb

Irgendwann trat dann auch Toni Polster vor die Mikrophone und sprach in seiner wohlerzogenen und ihn sympathisch bekannt gemachten Art „Von seinem schönsten Tag in seiner ganzen bisherigen Karriere.“ Und auf die Frage, warum er die Ehrenrunde schwänzte, meinte er absolut verständlich: „Ich wollte und konnte mich nicht bei den Leuten bedanken, die mich eineinhalb Stunden vorher gnadenlos ausgepfiffen hatten! Und ich möchte jetzt auch kein Volksheld sein, das brauche ich nicht. Man soll mich nur korrekt behandeln.“, sprach´s und verschwand mit Freundin Lisi an der Hand im Dunkeln der Nacht des Wiener Prater-Geländes.

Quelle: Redaktion www.oepb.at

www.tonipolster.at

Lesen Sie noch mehr über den ÖFB bei uns bitte hier;

www.oefb.at

Back to Top