Zum sage und schreibe 300. Mal kreuzen am kommenden Samstag in der Wiener Stadt der SK RAPID und der FK Austria die sportlichen Klingen. Dieser Wiener Bruderkampf in Sachen Fußball ist somit auf dem Kontinent schier einzigartig und geschichtsträchtig – lediglich das Old Firm-Derby zu Glasgow zwischen den Rangers und Celtic weist eine noch längere Spiel-Tradition auf.
War es allerdings in der Urzeit des österreichischen Fußballs beinahe ein Spiel wie jedes andere, wenn die Amateure (Vorgänger der Austria) auf RAPID trafen – dies vor allen Dingen auch deshalb, da der österreichische Liga-Fußball gänzlich aus Wiener Vereinen bestanden hatte und somit jede Partie quasi ein Derby war – so entwickelte sich dieser Vergleichskampf später zu dem so genannten großen Wiener Derby, da die einstigen Mitstreiter entweder gänzlich in der Versenkung verschwunden oder aber in Fusionen aufgegangen sind (Admira, Hakoah, WAC, Wacker …) oder sportliche Abstiege und damit einher kommende Abstriche zu vermelden hatten (Sportclub, VIENNA, Simmering, FAC …) Geblieben ist demnach RAPID gegen Austria, das über all die Jahre nichts an seinem Reiz, dem Enthusiasmus und einer gesunder Rivalität bei allem sportlichen Respekt für den Gegner eingebüßt hat.
Interessant ist auch bis in die heutige Zeit hinein die jeweilige weltanschauliche Zugehörigkeit der Anhänger, Gönner und Freude beider Vereine. RAPID verbucht bis heute für sich, das Team der so genannten kleinen Leute zu sein. Man verkörpert die Arbeiterklasse und legt nach wie vor großen Wert auf Kampfgeist, Moral und bedingungslosen Einsatz. Die Heimat der Grün-Weißen war, ist – und wird es vermutlich auch immer sein – Wien-Hütteldorf im Westen der Millionenmetropole an der Donau. Andererseits als Pendant, die Violetten, die als Austrianer stets betuchte Gönner, Geschäftsleute und honorige Herrschaften als ihr Anhänger-Klientel bezeichnen konnten. Die Austria-Freunde wollten nicht nur Siege sehen, ihr Team musste den Fußball mit der feinen Klinge zelebrieren. Die violette Anhängerschaft war immer erst dann restlos zufrieden, wenn der Ball zwar im Tor, aber auch der gegnerische Torhüter, sowie die halbe Truppe schwindelig gespielt worden war. Was sich über die Jahrzehnte auch immer wieder hingezogen hatte.
Der Schmäh und die gegenseitigen Häkeleien untereinander gingen aber nie ganz verloren. Trafen sich die Spieler in früheren Zeiten aus beiden Lagern zum Kartenspielen in den zahlreichen Kaffeehäusern der Stadt oder beim Heurigen, so endete dies vor einem Derby abrupt und man ging sich aus dem Weg. Der Derby-Verlierer war insofern arm dran, indem er nach dem Spiel die Cafés mied, um sich den Hohn und Spott zu ersparen. Nach einer Woche war alles vergessen und man war wieder gut Kumpel und Freund. Dies ging auch soweit, dass die RAPIDler Ernst Happel und Alfred Körner zum Erz-Violetten Ernst Ocwirk und dessen Tankstelle fuhren, um dort ihre Motorräder auffüllen zu lassen. Später klingelte das Veilchen Andreas Ogris in der Nacht vor dem Spiel den Grünen Reinhard Kienast aus dem Bett, um ihn zu fragen, ob er auch nicht schlafen könne … Der besonnene und ruhige Erich Obermayr, ein wahrer Sir seiner Zunft, steht mit 51 gespielten Derbys dem jetzigen RAPID-Trainer Peter Schöttel gegenüber, der es auf immerhin 48 gespielte Bruderduelle gebracht hatte. 1950 gewann RAPID gegen die Austria mit 7 : 5, das bis heute als das trefferreichste Derby gilt. 1961 strömten 64.000 Zuschauer zu diesem Match in den Prater und die seinerzeit noch durchgeführte Einnahmenteilung bescherte beiden Klubs je 300.000 Schilling (21.800 Euro). Der höchste Veilchensieg datiert von 1969 mit einem 6 : 0, die Grünen gewannen während des Zweiten Weltkrieges 1942 mit 10 : 1.
Kurios zu erwähnen sei auch noch das Spieljahr 1989/90. Auf beiden Seiten hielten neue Trainer Einzug, die gleichzeitig das Vereinstrikot mit dem Trainer-Jackett tauschten – Hans Krankl bei RAPID und Herbert Prohaska bei der Austria. Die vier Derby-Derbyergebnisse lauteten aus Sicht RAPIDs: 4 : 1, 5 : 2, 6 : 3 und 0 : 0. Das fünfte Derby in diesem Jahr war gleichzeitig das 56. ÖFB-Pokalfinale. Im Mai 1990 stand man sich im Prater erneut gegenüber und RAPID führte zur 90. Minute 1 : 0. Dass nach diesem, seinem Tor der Norweger Jan Age Fjörtoft den Pokal allerdings bereits gestreichelt hatte, rief den umtriebigen Andreas Ogris auf den Plan, dessen Freistoß-Granate in der Nachspielzeit den Ausgleich beschert hatte. In der Verlängerung ging RAPID körperlich ein und die Violetten scorten noch zweimal. Mit dem einzigen Derbysieg in der gesamten Spielzeit aus violetter Sicht holte man allerdings auch gleich den Titel des ÖFB-Pokals. Ähnliches passierte 1974. Hans Krankl erlegte den violetten Widersacher am 12. April quasi im Alleingang mit 4 : 0, wobei der Goaleador sämtliche Tore erledigte. Die Austria nahm jedoch am 17. April mit 6 : 2 und am 22. Mai mit 4 : 1 grimmige Revanche und kam im ÖFB-Cup über die Hürde RAPID souverän hinweg.
Als weiteres Novum gilt in der heutigen Zeit, dass RAPID im Prater als Heimverein auftritt, galt doch gerade das Areal um und im Prater-Stadion von den 1950iger bis in die späten 1980ier Jahre als die Heimstätte der Austria. Am kommenden Samstag pilgert demnach der geneigte Violette nun quasi zu einem Auswärtsspiel in den 2. Bezirk und der RAPID-Anhänger ist ob der Verlegung des Spielortes auch nicht glücklich. Und dennoch sind beide Mannschaften heiß auf dieses Spiel. Die Austria gewann ihr Auftaktspiel mit 2 : 0 gegen Ried und ließ Mut und Wille um den Kampf um die Meisterschaft erkennen. RAPID tat sich beim 0 : 0 in Wiener Neustadt schon etwas schwerer. Aus objektiver Betrachtungsweise ist die Austria leicht zu favorisieren, wenngleich die alte Leier stets Gültigkeit besitzt, dass es im Derby keinen Favoriten gibt und auch „Hausherren“ bereits verstorben sind. Und genau das macht den Reiz des Derbys, aber auch eines jeden anderen Fußballspieles aus – man weiß nie wie es endet und man beginnt stets bei 0 : 0.
Anstoss ist am Samstag, 18. Feber 2012 um 18.30 Uhr im Ernst Happel-Stadion in Wien.