IG-Passivhaus-Ost-PK-in-Wien115. November 2011

18 geförderte mehrgeschoßige Wohnbauten mit 1.500 Wohnungen, vier Studen¬tenwohnheime mit 650 Plätzen und zahlreiche private Einfamilienhäuser in Passivhaus-Standard hieven Wien zu einem Vorreiter in Sachen Energieeffizienz im Wohnungsneubau empor. Weitere 20 Projekte mit insgesamt 2.500 Wohnungen stehen vor Baubeginn oder sind in Planung. Auf dieser Grundlage will die „IG Passivhaus Ost“ Wien als Welthauptstadt des Passivhauses etablieren. In absoluten Zahlen ist Wien das bereits. Für DI Johannes Kislinger, Obmann der IG Passivhaus Ost, nimmt die Bundeshauptstadt in Fragen energieeffizienten Bauens eine Sonderstellung unter allen europäischen Metropolen ein: „In absoluten Zahlen ist Wien bereits Passivhaus-Welthauptstadt. Die Besonderheit sind die vielen energetisch ausgezeichneten, großvolumigen Wohnbau¬projekte. In allen Stadterweiterungsgebieten setzt Wien auf Passivhaus-Standard – wie bei der Seestadt Aspern oder Eurogate im 3. Bezirk/Landstraße. Damit ist das Passivhaus in der Breite angekommen, es ist State-of-the-art im Wohnungsneubau.“ Damit will er aber nicht eine bestimmte Technologie festschreiben. Der IG Passivhaus Ost geht es um eine Denkhaltung, die eine ständige Weiterentwicklung nicht nur ermöglicht, sondern geradezu herausfordert. Die Bauwirtschaft ist grundsätzlich ein Wirtschaftszweig mit hohem Ressourcenverbrauch. Deshalb ist sie auch besonders in der Pflicht, mit allen Ressourcen sorgsam umzugehen – vom Baustoff über die Errichtung von Gebäuden bis zu deren Nutzung und letztlich auch im Rückbau.

Passivhäuser machen Wohnen leistbarer
Vizebürgermeisterin Mag. Maria Vassilakou, als amtsführende Stadträtin verantwortlich für Stadtentwicklung, Verkehr, Klimaschutz, Energieplanung und Bürgerbeteiligung, unterstreicht die Bedeutung energieeffizienten Wohnbaus und verweist auf das rot-grüne Regierungsübereinkommen und den Stadtentwicklungsplan STEP 2015: „Wien zieht immer mehr Menschen an. Bis 2035 wird die Stadt über 2 Millionen Einwohner haben. Es ist unsere Aufgabe, möglichst gesunden, leistbaren und ökologischen Wohnraum für alle Wiener bereitzustellen.“ Auch das Thema Energieeffizienz von Gebäuden ist im rot-grünen Regierungsprogramm festgeschrieben.

A 4518081Vor allem im Bereich der Büro- und Gewerbegebäude soll Energieeffizienz stärker betont, das Hochhaus¬konzept durch klare Energie- und Stromeffizienzziele ergänzt werden, ergänzt sie. Ein großes Potential zur Steigerung der Energieeffizienz liegt in der schonenden Erneuerung historischer Stadtgebiete und traditioneller Siedlungsachsen – wie etwa des Wientals, des Gürtels und der Inneren Stadt. Der überwiegende Anteil der Gebäude in diesen Zonen ist älter als 50 Jahre und birgt ganz besonders hinsichtlich ihrer energetischen Qualität große Möglichkeiten. Durch thermische Sanierung inklusive Fenstertausch kann der Energieverbrauch solcher Gebäude um bis zu 70 Prozent reduziert und die Wohnqualität gleichzeitig spürbar erhöht werden, wie anhand mehrerer Projekte bereits nachgewiesen ist. „Da die Heizkosten einer Wohnung für die Leistbarkeit eine wichtige Rolle spielen, müssen wir dem Thema Energieeffizienz im Neubau und in der Sanierung großen Stellenwert einräumen “, so die Vizebürgermeisterin. Neben Flächenwidmungsplänen, Förderungen und Vergaberichtlinien braucht es dafür verantwortungsbewusste Planer und qualifizierte Gewerbebetriebe. Deshalb ist es ein wesentliches Ziel der IG Passivhaus Ost, noch mehr Planende und Ausführende als Mitglieder zu gewinnen, den Informationsaustausch zu intensivieren, weitere Schulungen anzubieten und damit einen hohen Qualitätsstandard sicherzustellen. Johannes Kislinger: „Beim Passivhaus müssen gute Planung und hochwertige Ausführung Hand in Hand gehen. Die Bautechnik hat sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt, aber wir sind natürlich nie zufrieden. Wir wollen immer noch besser werden.“

Studierende als Marken-Botschafter des Passivhauses
Wie erfolgreich das Zusammenspiel von Bauherr, Planer und Gewerbe funktionieren kann, zeigt eine Reihe von Passivhaus-Leuchtturmprojekten der OeAD Wohnraum¬verwaltungs GmbH. Die OeAD-WV, eine 100%-Tochter der OeAD-GmbH, verwaltet in Wien zurzeit 2.350 Heimplätze, österreich¬weit in allen Universitätsstädten 3.550. Diese OeAD-Gästehäuser stehen internationalen Studierenden und Gastforschern der Universitäten, Fachhochschulen und Pädagogischen Hochschulen zur Verfügung. Bei einer durchschnittlichen Aufenthaltsdauer von vier Monaten beherbergt die Oead-WV somit etwas mehr als 10.000 internationale Gäste pro Jahr. Diese Zahl hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt, seit dem EU-Beitritt Österreichs 1995 sogar mehr als verdreifacht. „Mit dem 2011 errichteten OeAD-Gästehaus in der Gasgasse im 15. Wiener Gemeinde¬bezirk/Rudolfsheim-Fünfhaus verfügen wir über fünf Häuser mit mehr als 800 Heimplätzen in Passivhaus-Standard, vier davon allein in Wien“, erklärt Mag. Günther Jedliczka, Geschäftsführer der OeAD Wohnraumverwaltungs GmbH und Vorstandsmitglied der IG Passivhaus Ost. „Bei den bereits erwähnten vier Monaten Aufenthaltsdauer haben 2.500 internationale Studierende und Gastforscher die Möglichkeit, ein Passivhaus ganz persönlich zu erleben.

WBV-GPA / OEJAB / Feierliche Eröffung des Studierenden-Wohnheims Greenhouse / Sonnenalle 41 / 1230 Wien / © Marianne Weiss / www.weissphotography.atSie alle gehen an ihre Heimat-Universitäten zurück und sind damit wichtige Markenbotschafter für das Passivhaus. Da diese Gäste nur in den wenigsten Fällen mit den Besonderheiten eines Passivhauses vertraut sind, erhalten sie zu Beginn einen Informationsfolder. Darin erklärt die OeAd-WV GmbH einerseits die Idee des Passivhauses, seine Energieeffizienz und räumt mit Vorurteilen wie beispielsweise dem der nicht-öffenbaren Fenster auf, andererseits erklärt sie den Umgang mit dem Gebäude – die selbstregulierende Wohnraumlüftung, das Abschalten der Heizung bei geöffneten Fenstern (kein Passivhausspezifikum) und den sinnvollen Umgang mit außenliegendem Sonnenschutz. Mit der 2011 gegründeten, weltweit einzigartigen Sommeruniversität „Green Building Solution“ tragt die OeAD-WV GmbH darüber hinaus auch in Ausbildung und Lehre zur Weiterentwicklung und Verbreitung der Passivhaus-Standards bei. Günther Jedliczka: „Wir nützen alle unsere Möglichkeiten, um Wien als Weltstadt des Passivhauses zu positionieren.“ Mit dem intensiven Einsatz von Photovoltaikanlagen wie im Wohnheim Gasgasse will sein Unternehmen künftig auch mehr Energie selbst produzieren und so langfristig das Ziel des Nullenergie- oder sogar Energie-Plus-Hauses verwirklichen.”

Guenther-Stoellberger-Gf-ARWAG4ARWAG mit sechs Jahren Erfahrung im Passivhaus-Standard
Das erste der von der OeAD beauftragten Studentenheime wurde 2005 in der Molkereistraße im 2. Wiener Gemeindebezirk/Leopoldstadt von der ARWAG errichtet. Es bietet Wohnplätze für 278 Gäste und deren Feedback ist sehr positiv. Da es sich um ein Pilotprojekt handelte, wurden Bauphase und Betrieb von einer intensiven Evaluierung begleitet, die Ergebnisse fließen in Nachfolgeprojekte ein. Eines dieser Nachfolgeprojekte ist der „Wohnpark Lissagasse“ in Wien 3, den die ARWAG Anfang 2012 an seine 150 Mieter übergeben wird. Dieses in Passivhaus-Standard ausgeführte Objekt wird über zentrale Lüftungsgeräte mit Fernwärmeeinbringung versorgt. Örtliche Nachheizmöglichkeiten sind über Infrarotstrahler gegeben. Ein weltweites Novum der Passivhaus-Bauweise ist die vorgehängte Metallfassade mit mineralischer Dämmung und Außenjalousiekästen. In der Molkereistraße hat man auf dezentrale Kleinlüftungsgeräte, örtliche Nachheizelemente mit Fernwärmeversorgung, Fundamentabsorber und eine Vollwärmeschutzfassade aus EPS mit Schiebeläden gesetzt. „Allein an diesen beiden Projekten sehen wir, dass es sehr unterschiedliche technische Ansätze in der Passivhaus-Bauweise gibt,“ erklärt DI Günther Stöllberger, technischer Geschäftsführer der ARWAG Bauträger GmbH. Zur Vorbereitung hat die ARWAG den künftigen Mietern schon bei Vertragsabschluss eine eigens entwickelte Passivhausfibel übergeben, die die technische Funktionsweise des Passivhauses und die richtige Handhabung der Wohnung für einen optimalen Wohnkomfort erläutert.
Das dritte Passivhaus der ARWAG ist im Stadium der Bauvorbereitung: ein möbliertes Appartementhaus mit 96 Wohneinheiten in Wien 12. „Unsere bisherigen Erfahrungen zeigen, dass großvolumiger Wohnbau in Passivhaus-Bauweise geringfügig teurer ist als Niedrigenergie-Häuser“, so Stöllberger. „Voraussetzung ist die stadtplanerische Möglichkeit zur Errichtung von kompakten, großen Baukörpern ohne Kubaturverlust und eine effektive Planung und Ausführung durch erfahrene Fachleute.“ Soweit die Passivhaus-Strategie von Stadtplanung und Wohnbauförderung entsprechend unterstützt wird, wird auch die ARWAG den Weg der Passivhausbauweise weitergehen – richtet Günther Stöllberger seinen Appell an die Wiener Stadtregierung.

Michael-Pech-Vorstand-OSW-Foto-Newald5ÖSW sieht Passivhaus-Standard als Wettbewerbsvorteil
Auf mehrjährige Erfahrung mit Passivhäusern kann sich auch das Österreichische Siedlungswerk Gemeinnützige Wohnungsaktiengesellschaft ÖSW berufen. Im Auftrag der OeAD-WV GmbH errichtete das ÖSW mit dem Studentenwohnheim in der Kandlgasse 30 das erste mehrgeschoßige Passivhaus im 7. Wiener Gemeindebezirk/Neubau und wurde dafür 2008 mit dem Klimaschutzpreis KLIP 7 ausgezeichnet. Im Frühjahr 2011 hat das Kärntner Siedlungswerk, eine Tochtergesellschaft des ÖSW, ein mehrgeschoßiges, großvolumiges Passivhaus mit 62 Wohnungen übergeben. Dazu Dipl. Ing. Michael PECH, Mitglied des Vorstands des ÖSW, der die Umsetzung des Passivhaus-Standards im geförderten Wohnbau sehr unterstützt: „Bei diesem Projekt handelt es sich um das erste mehrgeschoßige Passivhaus Kärntens.“ Die Errichtung des dritten mehrgeschoßigen Wohngebäudes in Passivhaus-Standard wird demnächst in Angriff genommen: ein nutzerfreundliches, so genanntes „Passivkomforthaus“, das im Rahmen des Projektes EUROGATE in Wien verwirklicht wird. Die kompakte Baukörperform mit den abgerundeten Gebäudeecken und die optimierten Fensterflächen werden maßgeblich zur Minimierung der Wärmeverluste beitragen. Michael Pech: „Mit der Umsetzung des Passivkomforthauses soll ein wesentlicher Beitrag zur Akzeptanz des Passivhaus-Standards im mehrgeschoßigen Wohnbau geleistet werden. Das ÖSW stellt mit diesem Projekt einmal mehr seine ökologische Verantwortung unter Beweis.“ Die größten Vorteile für die Bewohner sieht er im Bereich der Lebens- und Wohnqualität in einem Passivhaus. Die Tatsache, dass keine Kältestrahlung von Fenstern und Wänden ausgeht und die Temperatur im Raum gleichmäßig verteilt ist, sorgt für Behaglichkeit und Wohlgefühl. Ausgereifte Filtersysteme stellen sehr hohe Raumluft¬qualität sicher, da Pollen und Feinstaub aus der Raumluft entfernt werden. Bei all diesen Vorzügen dürfe man auf die Kostenwahrheit nicht vergessen, so Pech weiter: „Die Errichtung eines Passivkomforthauses ist etwas kostspieliger als die eines herkömmlichen Gebäudes. Auch die Instandhaltung wie zum Beispiel die Reinigung der Lüftungsanlage und die Erneuerung der Lüftungsfilter ist etwas kostenintensiver. Dem gegenüber stehen erhebliche Kosteneinsparungen bei der Raumwärme.“ Im Vergleich zu einem Haus aus den 1950er Jahren bietet das Passivhaus eine Heizkostenersparnis von bis zu 90 Prozent, verglichen mit einem heute üblichen Niedrigenergiehaus ist von einer Einsparung von zwei Drittel auszugehen. Das ÖSW hat die Kosten genau verglichen, so Michael Pech: „Bei einer durchschnittlichen Wohnungsgröße von 75 Quadratmetern beträgt die Heizkosten¬ersparnis zirka 20 Euro pro Monat. Unter Berücksichtigung der Kosten für die Warmwassererzeugung, die ja gleich bleiben, ergibt sich, aufgrund des steigenden Energiebedarfs, im Gesamtenergieaufwand eine Kostenersparnis von rund 50 Prozent beim Passivhaus.“ Die hohe Qualität des sozialen Wohnbaus in Wien findet seit den 1920er-Jahren Anerkennung in ganz Europa. Waren es damals Projekte wie der Karl-Marx-Hof, die vielen Familien erstmals leistbares Wohnen zur Verfügung stellten, sind es heute und morgen die mehrgeschoßigen Wohnbauten in Passivhaus-Standard, die international Interesse wecken. „Wir haben engagierte Bauträger, ausgebildete und erfahrene Planer und Gewerbebetriebe – wir können Wien zur Welthauptstadt des Passivhauses machen und setzen auf volle Unterstützung aus dem Rathaus. Wenn wir stolz darauf sind, dass die Wiener Wohnbaupolitik soziale Spannungen wie in anderen europäischen Hauptstädten verhindert, wollen wir auch stolz darauf sein, dass wir ökologische Vorreiter sind. Im großvolumigen Passivhaus trifft beides zusammen.“, so DI Michael Pech.

Und noch ein paar Zahlen:
Österreich verfügt derzeit über 8.500 Objekte mit 6 Mio. Quadratmetern, EU-weit sind es 32.000 Objekte mit 14 Mio. Quadratmetern. Führende Länder in der EU sind neben Österreich noch Deutschland, die Schweiz und mit großem Abstand Belgien und Italien (Südtirol). In der Anzahl der Objekte in Österreich dominiert nach wie vor das Einfamilienhaus. Nimmt man die Nutzflächen als Vergleichswert, liegt das Einfamilienhaus aber bei lediglich 15 Prozent. Der Trend geht also eindeutig in Richtung großvolumiger Objekte. Der Kostenvergleich zwischen Niedrigenergie- und Passivhaus beträgt 0-8 Prozent an Mehrkosten beim Passivhaus. Dies dann, wenn die Heizung ergänzend zur Wohnraumlüftung eingebaut wird.

Die IG Passivhaus ist eine unabhängige Interessenvertretung für die Verbreitung des Passivhaus-Standards in Österreich. Mittlerweile sind österreichweit mehr als 15.000 Wohneinheiten in Passivhaus-Standard ausgeführt, 5.000 weitere Wohnungen sind in Bau. Mit 6 Millionen Quadratmetern Passivhausfläche in Österreich werden bereits 100.000 t CO2-Emissionen gegenüber konventionellen Gebäuden eingespart. Österreich setzt damit sehr erfolgreich die künftigen Anforderungen der neuen EU-Gebäuderichtlinie um.

www.igpassivhaus.at

 

Back to Top