Rückblende: Man schrieb das Jahr 1981, unmittelbar vor Weihnachten. Eine Schulklasse hatte eine Deutsch-Arbeit zu fabulieren: „Sinnend geh´ ich durch die Straßen, alles sieht so festlich aus!“ lautete die Vorgabe der Lehrkraft, die in großen Lettern auf der grünen Tafel der 2.A Klasse der Hauptschule Leonding, einer kleinen Stadtgemeinde in Oberösterreich, sehr nahe vor den Toren der Landeshauptstadt Linz gelegen, geschrieben stand.
Also machte sich auch der Verfasser dieser Zeilen auf, um seine Eindrücke dieses Thema betreffend von Hand zu Papier zu bringen. Zuerst ein wenig zögerlich, doch dann umso mehr, schneller und impulsiver. Wie von Geisterhand geführt kritzelte die Füllfeder die Gedanken ins Heft und als die Schulstunde zu Ende ging, ward der Jüngling mit seinem Schul-Aufsatz bei weitem noch nicht fertig.
Er brachte zu Papier, dass er – der damals kaum 12jährige – es als überaus traurig empfinde, dass das Weihnachtsfest nur mehr von Kommerz geprägt sei. Unmittelbar nach Allerheiligen tauchen hier und dort und da die ersten Girlanden, Strohsterne, Straßenbeleuchtungskörper, aufblasbare Weihnachtsmänner und noch vieles andere mehr allerorts auf. Die Menschen werden hektischer, ruheloser, stressgeplagter und gehen beschämend und gar nicht friedvoll miteinander um. Man denke dabei nur an den Straßenverkehr. Der Jüngling gemahnte in seiner Schularbeit zur Einsicht und erinnerte dabei an das Märchen „Das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzchen“ von Hans Christian Andersen, das in der Weihnachtszeit barfuß im Schnee an einer Straßenecke kauernd nichts anderes besaß, außer einem kleinen Stoß Zündhölzer. Und mit jedem Zündholz, das sie entfachte, um sich daran ein bisserl zu erwärmen, erblickte die Kleine im Lichterglanz der Flamme ihre Großmutter, die bereits vor Jahren von ihr gegangen war.
Die Leute aber hasteten an ihr vorüber. Sie bemerkten nicht, wie da ein kleines Wesen mit den nackten Füßchen im Schnee saß und fror. Erfror. Am nächsten Morgen, als die Menschen zur Kirche strömten, entdeckten sie den kleinen Knäuel Mensch, der zusammengekauert in einer dunklen Ecke lag. Vor sich einen Berg von abgebrannten Zündhölzern. Tot. Aber mit einem wunderbar warmen Lächeln auf den Lippen. Bei näherer Betrachtung konnte man feststellen, dass das kleine Mädchen zufrieden war. Sie war nun in einer anderen, in einer besseren Welt. Und – sie war bei ihrer Großmama.
Nach dem Hinweis auf dieses Märchen, das genau genommen graue Realität war und ist, wies der junge Schreiberling darauf hin, dass man sich viel mehr auf den eigentlichen Wert des Weihnachtsfestes besinnen sollte. Das Fest der Liebe, der Nächstenliebe, der Familie. Heute steht nur mehr die Geschäftigkeit im Vordergrund. Zu sehr hat der rollende Rubel, der sich vom Schilling in den Euro verwandelte, den eigentlichen Sinn des Weihnachtsfestes verdrängt, ja beinahe abgelöst.
Die Glocke bimmelte und er musste das Schularbeiten-Heft abgeben. Dabei war seine Arbeit bei weitem noch nicht fertig. So gelangte er kurz angebunden zu einem Schluss, denn die gestrengen Blicke der Frau Fachlehrerin trafen ihn. Er gab ab und entschwand in die Weihnachtsferien.
Als der junge Schüler nach den „Heiligen Drei Königen“ anhand der Rückkehr in die Klasse seine Deutsch-Arbeit in Händen hielt, getraute er seinen Augen nicht zu glauben: – 4 (minus Genügend) stand in feuerroter Schrift unter seine Arbeit gemalt. An sich hätte er ein „Nicht genügend” verdient gehabt, konnte es aber nicht bekommen, da er das Thema nicht verfehlt hatte. Da er aber alles zu negativ und viel zu krass geschildert hatte, verpasste ihm die Lehrkraft, gemäß eigener Aussage, diese für sie pädagogisch betrachtet verdiente Note …
Und heute, gut 40 Jahre später, hat sich doch kaum etwas verändert. Die Zeiten blieben die gleichen. Daher starten wir doch allesamt den Versuch, uns der wahren Sinnhaftigkeit des Weihnachtsfestes zu erinnern, denn … es ist noch nicht zu spät.
Quelle: Redaktion www.oepb.at
Das Mädchen mit den Schwefelhölzern – Lesung