Als „Goldene Elf“ wurde jene Ungarische Nationalmannschaft der Jahre 1950 bis 1956 bezeichnet, die vom 4. Juni 1950 an bis zur unerwarteten Finalniederlage gegen Deutschland am 4. Juli 1954 in Bern anlässlich der Fussball-Weltmeisterschaft in der Schweiz vier Jahre lang ungeschlagen blieb. In der Vorrunde der WM deklassierte Ungarn am 20. Juni 1954 die deutsche Elf noch mit 8 : 3 – im alles entscheidenden Endspiel hatte die DFB-Auswahl bei Regenwetter das bessere Stollenwerk auf den Schuhen aus dem Hause mit den drei Streifen von Adolf Dassler in Herzogenaurach aufgeschraubt. Im Bild die „Golderne Elf“ der Ungarn vor dem Finale am 4. Juli 1954. Von links: Kapitän Ferenc Puskás, Torhüter Gyula Grosics, Gyula Lóránt, Nándor Hidegkuti, József Bozsik, József Zakariás, Mihály Lantos, Jenő Buzánszky, Mihály Tóth, Sándor Kocsis sowie Zoltán Czibor. Foto: privat / oepb
Die Ordnung der Welt – Ein Traum

Von Péter Esterházy

Das habe ich mehrfach geträumt, aber das zählt nicht.
Dann gelang es mir endlich, einen Timetunnel zu entwerfen.
Oder zu finden, oder mir auszuborgen.
Damit war ich sofort am richtigen Ort,
Bern, Wankdorf-Stadion, 1954;

Es nahte die 84. Minute, von da an könnte jeder weitererzählen,
mit der Stimme von Herbert Zimmermann.
„Schäfer nach innen geflankt. Kopfball! Abgewehrt!
Aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen.
Rahn schießt.“

Er hätte geschossen. Aber schon stand ich (unsichtbar) neben ihm,
und als er zum Schuss ausholte, schubste ich den Ball etwas weiter,
der landete bei Lantos, dann weiter bei Bozsik.
Da schaut Bozsik hoch, sieht alles,
Kocsis legt los,
Czibor tanzt,
Hidegkuti geht einen Schritt zurück,
Puskás weiß bereits alles.

Endlich geschieht, was geschehen muss.
Das kleine Ungarn gewinnt 3 : 2.
Die Ordnung der Welt ist wiederhergestellt.

Anmerkung: Nachdem Ungarn mit dem abseitsverdächtigen Tor von Puskás die Weltmeisterschaft erwartungsgemäß gewonnen hatte, nahm die politische Unzufriedenheit in Ungarn keine entscheidende Wendung, die Diktatur hatte sich verhärtet, die 56er-Revolution war ausgeblieben, Rákosi blieb an der Macht, es gab keinerlei Kádár-Aera und keinen Gulaschkommunismus. Wieder mussten die Deutschen ihre blonden germanischen Köpfe senken, sie sagten nicht „Wir sind wieder wer“, das Wirtschaftswunder war ins Stocken geraten, und auch den Amerikanern war die Lust vergangen, sie ließen es zu, dass die Russen ganz Deutschland in eine DDR verwandelten.

Das ist jetzt die Lage. Der Autor dieser Zeilen sitzt im Gefängnis (sodass er offenbar nicht der Autor dieser Zeilen sein kann, diese Zeilen kann es nur geben, wenn es diese Zeilen nicht gibt), im unmenschlichen Gefängnis der kommunistischen Diktatur ist aus ihm selbstverständlich kein Schriftsteller geworden, nichts ist aus ihm geworden, genauer genommen aber schon, ein Mensch, un homme: ein namenloser Überlebender. Vor kurzem erst hat man ihn blutig zusammengeschlagen. Keuchend liegt er jetzt in der Dunkelheit. Er sieht das Gesicht von Puskás vor sich, siegreich leuchtend, und er denkt an die Ordnung der Welt. Wir müssen ihn uns als einen glücklichen Menschen vorstellen.

Über den Autor

Der ungarische Schriftsteller Graf Péter Esterházy de Galántha (* 14. April 1950, † 14. Juli 2016) lebte und wirkte in Budapest. Seine Familie entstammte ungarischer Adeliger, die unter dem kommunistischen Regime unterdrückt und enteignet wurde. Er studierte Mathematik. Ab 1978 war er ein freier Schriftsteller. Zu seinem Hauptwerk zählte „Harmonia Caelestis“. Dabei handelte es sich um ein vielgestaltiges ungarisches und europäisches Panorama anhand der umfangreichen und traditionsreichen Geschichte seiner Familie. Esterházy erhielt auch zahlreiche Auszeichnungen, unter anderem 1999 den Österreichischen Staatspreis für europäische Literatur. 2004 kam der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels hinzu. Márton Esterházy, sein um sechs Jahre jüngerer Bruder, spielte in der Ungarischen Nationalmannschaft, die in der Qualifikation für die Fußball-Weltmeisterschaft 1986 in Mexiko der ÖFB-Auswahl keine Chance ließ.


Quelle: Redaktion www.oepb.at

Lesen Sie noch mehr über den ÖFB bei uns bitte hier;

www.oefb.at

Und über die Österreichische Fußball-Bundesliga bei uns bitte hier;

www.bundesliga.at

Back to Top