Buch-Cover: Manfred Fock / Der Letzte Spieltag. Ein Bericht, 1996. Scan: oepb
Buch-Cover: Manfred Fock / Der Letzte Spieltag. Ein Bericht, 1996. Foto-Scan:
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Es gibt Momente im Leben, die bleiben unwiderruflich haften. Man erinnert sich gerne daran zurück und nichts und niemand kann diesen einen, diesen einzigen Augenblick aus dem Langzeit-Gedächtnis löschen. Welche Erlebnisse für jeden Einzelnen am schönsten und am erinnerungswürdigsten sind, dies bleibt jedem von uns selbst überlassen. Als Anhänger und Fan der wohl schönsten Nebensache der Welt hat man da schon mehrere Möglichkeiten, die im Gedächtnis eines wahren Fußball-Fans für immer haften bleiben. Für Außenstehende ist dieser Umstand aber auch manchmal einfach nur zum Kopf schütteln …

Es war an einem Samstag, Mitte Dezember 1999. In Österreich ruhte bereits der Ball, also zog man wieder einmal los, um in der Weißwurstmetropole Fußball live zu erleben. Nicht aber der FC Bayern München ist hier gemeint, nein, die „60er (Anm.: TSV 1860 München) waren es, die es dem Verfasser angetan hatten.

Ein Mitstreiter für den Spontan-Trip war alsbald gefunden und so zog man mit dessen Karre sehr zeitig früh des Morgens aus Linz/Donau los, um München als ganzes wieder einmal so richtig zu inhalieren. Nach einer kurzweiligen Autobahnanreise über Salzburg durch Eis und Schnee erreichte man die bayrische Landeshauptstadt am frühen Vormittag. Noch ehe es allerdings zum wohlmundenden Leberkäse (Anm.: der Bayer sagt Fleischkäs´ dazu) auf den Viktualienmarkt, zum Hinunterspülen von eben diesem musste auch immer wieder ein Besuch entweder im Mathäser-Bräu oder im Hofbräuhaus herhalten, ging, parkte man wie selbstverständlich den fahrbaren Untersatz in der Schwanthalerstraße auf Höhe des SPORT BOCK ein.

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Die Löwen-Fans schwelgen nach wie vor in freudiger Erinnerung. Foto: oepb

Eine Stippvisite in der Ludwigsvorstadt musste stets sein, denn in besagtem Sport-Geschäft konnte man nicht nur Nike– und Asics-Böcke – New Balance waren damals noch nicht so großartig vertreten – käuflich erwerben, sondern auch Ausschau nach Fan-Devotionalien und Fußball–Artikeln jeglicher Provenienz halten. Da wurde einfach mit Freaks, die der gleichen Zunft frönen, unvoreingenommen geplaudert, man bewarb sich mit seinem Fan-Klub bei anstehenden Hallen- und/oder Kleinfeld-Turnieren, tauschte Adressen (e-mails gab es damals noch nicht) aus und schmökerte in diversen Fan-Zines (Anm.: dabei handelte es sich um kleine Druckwerke, die von Fußballfans für Fussballfans mit der Blickrichtung auf den eigenen Verein bezogen aufgelegt wurden). Beim SPORT BOCK fand man einfach alles – aus England, Italien, Österreich, Deutschland und so weiter, da der gute Betreiber vieles auf Kommission völlig unbürokratisch auflegte und so damit auch den diversen Fan-Klubs eine Verkaufs-Plattform günstig anbot.

Und an jenem Vormittag stach dem Verfasser folgendes Büchlein ins Auge, das sofort sein Interesse weckte: Manfred Fock / Der letzte Spieltag / Ein Bericht“.

Bei Betrachtung des schwarz-weißen Buchdeckels war sofort klar, dass es sich nur um die Münchner Löwen (Anm.: TSV 1860 München) handeln könne. Da war die unverwüstliche Stadion-Aufschrift STÄDT. STADION AN DER GRÜNWALDERSTR. zu lesen. Ergo: es dreht sich um die 60er. DM 20,- (heute € 10,-) waren rasch zur Hand und das kleine 80seitige Din A5-Druckwerk wechselte den Besitzer.

Das Städtische Stadion an der Grünwalder Strasse - der 60iger sagt auch, München Giasing dazu - aus der Luft. Foto: oepb
Das Städtische Stadion an der Grünwalder Strasse – der 60iger sagt auch “Giasing” dazu – aus der Luft. Foto: oepb

Manfred Fock war 10 Jahre jung, als die Löwen ihre wohl beste Zeit hatten. 1963 Gründungsmitglied der heute bekannten Deutschen Fußball-Bundesliga, 1964 DFB-Pokalsieger, 1965 erst im Londoner Europapokal der Pokalsieger-Endspiel an West Ham United gescheitert und 1965/66 endlich Deutscher Fußball-Meister, um im Jahr darauf immerhin auch noch Vize-Meister zu werden. Diese Jahre hatten viele Väter, allen voran aber auch den Wiener Trainer mit spitzer Zunge, Max Merkel. Der Vater ging mit dem Buch-Autor oftmals hin, ins „Städtische Stadion an der Grünwalder Straße“ auf Giesings Höhen. Während der Herr Papa in der „Stehhalle“ (Anm.: überdachte Gegengerade, Stehplätze soweit das Auge reichte) dem Dargebotenen mit zigtausend anderen frönte, kraxelte der Filiuis unten am Zaun herum und verdiente sich „ ein paar Markln“ mit dem Einsammeln der leeren Bierflaschen. 10 Pfenninge gab es pro Stück und da die guten Dinger einen Bügelverschluss hatten, konnte er an jedem seiner kleinen Fingerchen eine leer getrunkene Flasche zurücktragen. Die 60er tranken viel und hatten Durst – beim Spiel. Und das Jahr 1965/66 war ein weiß-blaues Jahr.

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Bis heute hat sich die Stadion-Ansicht kaum verändert. Foto: oepb

1996, 30 Jahre später, erschien dieses Werk und Autor Manfred Fock erinnert sich in diesem Buch an seine Fußballer-Kindheit.

Wie alles begann, wie er überhaupt zum Fußball kam, wie in Giesing ohnehin nur 60er waren und die anderen, die Roten vom FC Bayern, die gab es zwar auch, aber die stiegen ohnehin erst 1965 auf und wer waren schon die Bayern? Alles war Weiß-Blau und Heimspiele glichen Völkerwanderungen.

Das Stadion wurde oftmals zu klein und der Olympiapark samt Olympiastadion, die ihre feierliche Einweihung 1972 zu den Olympischen Sommerspielen von München erhielten, waren bei weitem noch nicht fertig gestellt. Die 60er waren drauf und dran, Meister zu werden, aber es war ein hartes Stück Arbeit, denn die Konkurrenz war groß.

Fock schildert von seinen persönlichen Erlebnissen, die sich in das Gedächtnis eines Kindes gebrannt hatten. Wie die Konkurrenz um die Flaschenrückgabe im Stadion stets größer wurde und er bereits als Kind lernen musste, was es heißt sich durchzusetzen im Leben. Wie er selbst im Park Fußball spielte und wie aus diesen Partien mit Freunden die Löwen natürlich stets als Sieger hervorgingen. Wie er sich auf die Heimspiele freute, da es meist Siege gab und er auch sein Taschengeld stets aufzubessern vermochte, denn es wurde immer viel getrunken vom Löwen-Anhang. Und dann urplötzlich der Tag der Tage – der 28. Mai 1966. Der Himmel weinte über der Stadt und keiner wusste so recht warum. Die Löwen können heute Deutscher Meiser werden, das ist doch wahrlich kein Grund zur Traurigkeit. Nichts desto trotz verhieß der Wetterbericht für Pfingsten ein verregnetes Wochenende mit 4 bis 13 Grad Celsius.

Es brodelte in Giesing. Heute schien alles früher loszugehen. Die Biergärten waren trotz Regen früher gefüllt, die Menschen brachen vorzeitiger zum Stadion auf und alles war irgendwie anders. 44.000 Besucher, so die offizielle Zuschauerzahl von Vereinsseite, bevölkerten das Stadion an der Grünwalderstraße. Mit dem Hamburger SV gastierte ein Team aus dem Tabellenmittelmaß in München. Und die Löwen gewannen am vorletzten Spieltag bei der stärksten Konkurrenz aus Dortmund mit 2 : 0. Doch die Borussia gab sich noch nicht geschlagen, man war noch nicht durch.

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Wo geht der Weg der Löwen hin, was bringt die Zukunft? Derzeit nur sportliches Mittelmaß in Liga 3. Foto: oepb

In Frankfurt führte zur Halbzeit die Eintracht gegen den BVB mit 3 : 1. Dortmund war so gut wie aus dem Titel-Rennen und kassierte in Hälfte Zwei noch einen Treffer. Der TSV hatte in Giesing bereits in der 5. Spielminute durch Rudi Brunnenmeier vorgelegt, selbst der hanseatische Ausgleich durch „Uns Uwe“ Seeler in Minute 77 brachte lediglich Ergebnis-Korrektur mit sich. Aus, Ende, vorbei – es brachen alle Dämme und just mit dem Schlusspfiff stellte auch der Himmel sein stetes Weinen ein und die Sonne strahlte mit dem frisch gebackenen Champion in weiß-blau um die Wette.

Manfred Fock war reich. Reich an Erfahrung und reich an Taschengeld. 50 Mark (€ 25,-) an Pfandrückgabe-Geld verdiente er an jenem Tag im Jahre 1966. So viel wie nie zuvor und auch nie mehr wieder danach. Und zu allem Überfluss war sein Team auch noch Deutscher Fußball-Meister geworden. Das Herz des Kindes schlug wahre Purzelbäume.

Die Lektüre dieses Buches lässt den geneigten Leser sich an Zeiten erinnern, in denen es zwar ernst zur Sache ging, die aber herüberreichend bis in die 1970er und frühen 1980er Jahre das Erlebnis Stadion-Besuch noch als solches darstellte. In denen zwar auch geschimpft wurde und man vieles oft besser wusste, wo es aber teilweise doch auch gesitteter und gemütlicher zuging denn heutzutage. Der Autor lässt die Leserschar teilhaben an seinen für ihn unwiederbringlichen Kindheits-Erlebnissen, die geprägt waren vom Fußball und dem TSV von 1860 München. 30 Jahre später, 1996, begab sich Manfred Fock auf Spurensuche in seinem alten Bezirk und musste dabei feststellen, dass sich naturgemäß vieles geändert hatte. Aber, die Löwen spielten Bundesliga, Beletage in Deutschland, damals, vor 23 Jahren.

Trotz heuriger Tristesse in Liga 2 - erst am vorletzten Spieltag wurde die Klasse gehalten - pilgerten 397.100 Besucher zu den Löwen. Ein beachtlicher Schnitt von 23.359 Zuschauern pro Spiel. Foto: oepb
Der TSV 1860 München steht nach zwei Relegationsspielen gegen den 1. FC Saarbrücken als Aufsteiger in die 3. Liga fest. München-Giesing steht am 27. Mai 2018 wieder einmal Kopf. Foto: oepb

Am 28. Mai 2016 jährte sich somit der Gewinn der Meisterschaft für die Löwen zum 50. Mal. Der Klub, der nach 1966 sogar aufgrund von Lizenzentzug zweimal bis in die Bayernliga hinab gereicht wurde, agiert heute in Deutschlands 3. Liga. Im Vorjahr hatte man als Aufsteiger in eben diese Liga eine überdruchschnittlich gute Saison gespielt, heuer sieht es nach dem plötzlichen Abgang von Löwen-Dompteur Daniel Bierofka nach purem Abstiegskampf aus. Die Münchner Löwen bieten ihren zahlreichen Anhängern eben immer wieder wahre Achterbahnfahrten der Gefühle durch die Fußball-Gezeiten – und das eben bereits seit Jahrzehnten.

Der 1. FC Kaiserslautern war am Samstag, 18. Dezember 1999 ab 15.30 Uhr vor 27.000 Zuschauern im Münchner Olympiastadion für die Löwen kein Stolperstein. Martin Max (4. Minute) und Thomas Häßler (75. Minute) stellten den Löwen-2 : 1-Sieg sicher, der zwischenzeitliche Ausgleich durch Youri Djorkaeff nach 15 Minuten war nicht spielentscheidend. Die 60er überwinterten auf Platz 4 in der Bundesliga, 7 Zähler hinter Tabellenführer Bayern München und verfügten im Herbst 1999 über einen Zuschauer-Schnitt von 35.311 pro Heimspiel.

Den Mitreise-Kumpel von einst, den gibt es nicht mehr und selbst der SPORT BOCK, als auch Mathäser Bräu haben die Schotten dicht gemacht. München ist um zwei Attraktionen ärmer geworden.

Quelle: oepb

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