Am 10. Dezember 1948 wurde die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen beschlossen, die allen Menschen Freiheit, Gleichheit, Solidarität und den Schutz vor Diskriminierung zusichert. Das Haus der Geschichte Österreich (hdgö) feiert den „Tag der Menschenrechte“ heuer mit einem besonderen Fokus auf die Gleichberechtigung aller Geschlechter.
Seit es Reisepässe gibt, wird das Merkmal Geschlecht in diesen Dokumenten festgehalten – die Kategorien weiblich oder männlich sind dabei Standard. In Österreich ist es daher auch ein Reisepass, der 2018 symbolisch eine Revolution sichtbar machte: Alex Jürgen erhielt den ersten österreichischen Reisepass mit dem Geschlechtseintrag X für Trans- oder Intergeschlechtlichkeit. Erkämpft wurde dieser mit einer Klage 2018 vor dem Verfassungsgerichtshof, der seine Entscheidung mit dem Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention – dem Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens – begründete. Intergeschlechtliche Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht eindeutig „männlich“ oder „weiblich“ ist, haben daher ein Recht auf eine ihrer Geschlechtlichkeit entsprechende Eintragung in Dokumenten oder in Urkunden. Die Entscheidung setzte einen Meilenstein für die Gleichstellung von intergeschlechtlichen Menschen in Österreich.
„Zu zeigen, wie „Gleiche Rechte“ erreicht werden, ist unserem Haus ein großes Anliegen. Wir haben daher eine Reihe von Angeboten entwickelt, etwa Themenführungen oder einen Audio-Themenweg zur Geschichte von Grund- und Menschenrechten. In unseren Ausstellungen machen wir bewusst auf die Kämpfe von marginalisierten Gruppen um Sichtbarkeit, Anerkennung und Gleichberechtigung aufmerksam“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. „In unserer jüngsten Ausstellung „Heimat großer Töchter“ widmen wir uns dem Engagement von Menschen, die oftmals unbemerkt entscheidende Fortschritte für Gleichstellung bewirken. Der vermeintlich unscheinbare Pass mit dem ersten „X“ ist ein Beweis dafür, dass es möglich ist, auch als einzelne Person die Verhältnisse zu verändern und Menschenrechte durchzusetzen“.
Reisepässe und Geschlechtergrenzen, damals und heute
Reisedokumente waren ursprünglich Privilegien, die eine sichere Reise ermöglichen sollten. Im 19. Jahrhundert wurden mobile Menschen zunehmend als Gefahr gesehen und die Bedeutung einer eindeutigen, behördlichen Identifikation nahm zu. Seit es Reisepässe gibt, ist das Geschlecht ein entscheidender Eintrag. Die ersten Reisepässe der Republik Österreich waren nur auf Männer zugeschnitten: Das Formular sah ein Feld für den „Name des Inhabers“ (männlich) vor, gefolgt von „begleitet von seiner Frau“.
Schon in der Vergangenheit hatte die Wahl solcher geschlechtsspezifischen Formulierungen hohe Symbolkraft: „Wenn Frauen, ob verheiratet oder nicht, selbst reisen wollten, wies sie das Formular des Reisepasses immer als Abweichlerinnen aus: Die Beamten mussten erst den Vordruck durchstreichen und „Inhaberin“ handschriftlich ergänzen“, erzählt hdgö-Kurator Stefan Benedik. Menschen, die Geschlechtergrenzen überschritten, wurden als dubios betrachtet. Dazu zählen selbständig reisende Frauen, ebenso wie Soldatinnen oder eben Personen, die nicht eindeutig einer Geschlechtergruppe angehören, sich also nicht als Mann oder Frau verstehen.
„Dabei hat es diese Menschen immer schon gegeben, sie durften nur nicht sichtbar werden. Sie wurden amtlich reglementiert, gesellschaftlich tabuisiert, politisch unterdrückt oder medizinisch oft gegen ihre Zustimmung operiert“, sagt Stefan Benedik. „Die Klage vor dem Verfassungsgerichtshof schaffte Sichtbarkeit für eine Gruppe, die behördlich und gesellschaftlich sehr lange nicht anerkannt war. Alex Jürgen ist hier ein Meilenstein gelungen.“
Mehr zu Intergeschlechtlichkeit und der Geschichte von Alex Jürgen erzählt Kurator Stefan Benedik im Podcast „Im Museum“ und im neuen Blogbeitrag auf der hdgö-Webseite. Der erste österreichische Reisepass mit einem „X“ ist in der aktuellen Ausstellung „Heimat großer Töchter“ im Foyer des hdgö ausgestellt. Auch im neuesten Video des hdgö dreht sich alles rund um das Thema Gleichstellung und den Forderungen intergeschlechtlicher Menschen: „#nachgefragt“ bei Leo Söldner vom Verein Intergeschlechtliche Menschen Österreich.
Quelle: Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ – Foto: © Lorenz Paulus
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Das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ)
Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das HdGÖ in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung. Viele Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.