Und so sah sie aus, vor 70 Jahren, die gute „alte“ neue Pummerin im Jahre 1952. Foto: United States Information Service (USIS), Linz, 24.4.1952, ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung

Im April 1952 wird die neue Pummerin in einem inszenierten Triumphzug von Oberösterreich aus über Melk nach Wien gebracht. Zum 70. Jahrestag der berühmten Glocke im wiedereröffneten Dom erzählt eine Web-Ausstellung des Hauses der Geschichte Österreich (hdgö) unbekannte oder vergessene Geschichte rund um den Wiederaufbau. Mit zahlreichen historischen Fotos beleuchtet sie, wie der Dom und seine Pummerin zu zentralen Symbolen Österreichs als Nation wurden. Die digitale Ausstellung ist hier zu sehen.

Am 12. April 1945 bricht im Stephansdom ein Feuer aus. Funkenflug von den benachbarten Gebäuden hatte den Dachstuhl in Brand gesetzt. Das Fehlen von Löschwasser und der vom NS-Regime befohlene Abzug der Wiener Feuerwehr verhindert eine Eindämmung des Brandes. Die Zerstörung des Daches bringt große Teile des Gewölbes zum Einsturz und verursacht massive Schäden im Innenraum. Die große Glocke, genannt Pummerin, stürzt in die Tiefen und zerbricht am Boden des Gotteshauses. Der „Mythos Stephansdom“ beginnt schon in diesen Tagen – mit ikonischen Fotografien vom Moment des Brandes.

Bild mit dem originalen Titel „Der Schatten des Turmes“. Foto: Lucca Chmel, Wien, 1945, ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung

Bei einem genauen Blick auf den Wiederaufbau des Stephansdoms werden bislang unbekannte oder in Vergessenheit geratene Geschichten sichtbar. Etwa von der jungen Architektin, die in den ersten Monaten den Wiederaufbau leitete, von KünstlerInnen, die wegen ihrer Mitgliedschaft zur NSDAP zum Schutträumen verpflichtet waren oder von Denkmalschutzexperten, die gegen die Verwendung des „unwürdigen“ Materials Stahl für den Dachstuhl kämpften – vergebens. Im April 1952 wird die neu gegossene Pummerin in einem „Triumphzug“ durch Österreich transportiert, der Tag der Weihe ist gleichzeitig die Wiedereröffnung des gesamten Doms. In 17 Kapiteln erzählt die Web-Ausstellung, wie aus dem Wiener Wahrzeichen ein gesamtstaatliches Symbol wird.
 
70 Jahre nach dem Glocken-Festzug von Oberösterreich nach Wien ist der „C-Ton“ der Pummerin längst fixer Bestandteil im Baukasten österreichischer Identitätssymbole. Während etwa das politische Konzept der Neutralität wie zuletzt schon mehrfach in Diskussion geraten ist, blieb die Pummerin der unumstrittene Klang Österreichs“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. Dompfarrer Toni Faber begrüßt die digitale Ausstellung und sagt: „Pummerin und Stephansdom sind in der Zweiten Republik zu wahrhaftigen Säulen des Österreichischen geworden. Sie begleiten uns durch den Alltag, in schweren Stunden sind sie aber auch Fluchtpunkt und Hoffnungssymbol.

Blick in das Innere des Stephansdoms im Sommer 1945. Foto: Lucca Chmel, Wien, 1945, Archiv der Dombauhütte St. Stephan/ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung

Stark, spezialisiert, weiblich: Frauenpower für Dom und Glocke

Frauen spielen eine wichtige Rolle beim Wiederaufbau des Stephansdoms, in vermeintlichen „Männerberufen” ebenso wie in leitenden Funktionen. Die Web-Ausstellung geht ihren in Vergessenheit geratenen Geschichten nach. Die Fotografin Lucca Chmel dokumentiert in spektakulären, aus extremen Perspektiven aufgenommenen Bildern den ausgebrannten Stephansdom und schafft damit ikonische Eindrücke. Sie erbringt ihre Fotoarbeit als verordnete „Sühneleistung“ wegen ihrer NSDAP-Mitgliedschaft. Die Architektin und geprüfte Baumeisterin Helene Buchwieser übernimmt in den ersten Monaten nach dem Brand in Vertretung des Dombaumeisters Karl Holey die Leitung der Aufräumarbeiten auf der Großbaustelle. Sie ist die Tochter des auf Sakralbauten spezialisierten Bauunternehmers Ernst Buchwieser und kennt die Verantwortlichen für Bauagenden des Doms gut.

Helene Kitschelt-Buchwieser im August 1948, als sie die Bauleitung für die Sicherungsmaßnahmen beim Dom innehatte. Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung

Wiens damals einzige Bau- und Galanteriespenglerin, Angela Stadtherr, wird mit der Herstellung des kupfernen Wetterhahns beauftragt. Im August 1950 wird der „Riesenvogel“, der mehrere hundert Kilogramm wiegt, in 70 Metern Höhe montiert. Die von ihr überwachte Montage am Domdach wird mit hohem Medieninteresse begleitet – vor allem wegen ihrer Rolle als einziger Frau in einem sonst rein männerdominierten Beruf. Auch ein weiblicher Dachdeckerlehrling in schwindelnden Höhen des steilen Dachstuhls macht Schlagzeilen. Gertrude Stolz schließlich führt die Ziselierungsarbeiten am Bildschmuck der Pummerin aus. Sie ist die einzige weibliche Mitarbeiterin der bekannten oberösterreichischen Glockengießerei St. Florian. 

Angela Stadtherr bei der Arbeit Foto: United States Information Service (USIS), Wien, 1950, ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung

Der Wiederaufbau – und Proporz am Dach

Nach den Aufräum- und Sicherungsarbeiten wird der Stephansdom in drei großen Bauetappen wieder aufgebaut. Bei der Wiederherstellung des Dachs 1949–50 sorgt die Wappenfrage für heftige Diskussionen: Entgegen der Ankündigung bei den Spendenaufrufen, den Zustand von 1945 herzustellen, tauchen neue Vorstellungen auf. Die Republik soll mit ihrem Staatswappen vertreten sein, und die Stadt Wien wünscht sich aufgrund ihrer großzügigen Spende von einer Million Schilling ebenfalls eine Berücksichtigung. Kardinal Theodor Innitzers Verzicht auf das Wappen der Erzdiözese macht den Weg zur Lösung frei: Auf die Südseite kommt wieder der Doppeladler in alter Größe, ergänzt um die Jahreszahl 1831, und auf der Nordseite sind nun das Wappen der Stadt Wien und der Bundesadler mit 1950, dem Jahr der Fertigstellung des Dachs, zu sehen.

Ziseleurin Gertrude Stolz. Foto: United States Information Service (USIS), St. Florian, 4.10.1951, ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung

Mythos und Triumphzug: Die Pummerin

Dass die Pummerin zur „Stimme Österreichs“ wird, liegt nicht allein an ihrer Inszenierung als Symbol der wiedererstandenen Republik. Der Rundfunk verankert ihren Klang im kollektiven Bewusstsein: Auf Initiative von Dompfarrer Karl Raphael Dorr ist die Pummerin, damals noch im Hof des Linzer Landesmuseums aufgestellt, zum Jahreswechsel 1951/1952 im Radio zu hören und läutet seither jedes neue Jahr ein. Im April 1952 wird die vom Land Oberösterreich gespendete und in St. Florian gegossene Pummerin in einem Festzug von Linz nach Wien überführt. Der monatelang vorbereitete und medial perfekt in Szene gesetzte „Triumphzug“ führt von Linz über Enns, Amstetten, Melk, St. Pölten und den Riederberg nach Wien. Festredner, Musikkapellen, Trachtengruppen und Fahnenträger empfangen die Pummerin bei ihren Stationen, riesige Menschengruppen bilden Spalier und verleihen dem Glockenzug Volksfestcharakter.

Triumphzug der Pummerin im April 1952 durch halb Österreich. Hier bei der Einfahrt in Amstetten. Foto: ÖNB, Bildarchiv und Grafiksammlung

Die Pummerin wird von der österreichischen Bevölkerung noch während der Zeit der Alliierten Verwaltung als Bestätigung der Eigenständigkeit des Landes und als Zeichen des Friedens gesehen. Gezielt instrumentalisieren Kirche und Staat die Wiedereröffnung des Doms und den Transport der Pummerin, um ein Gefühl von Gemeinschaft zu schaffen. Die Weihe am 26. April 1952 wird als Spektakel organisiert, die Glocke von 200 Personen durch das Riesentor des Stephansdoms gezogen – ein Höhepunkt der Inszenierung des Stephansdoms als Symbol einer gesamtstaatlichen Österreich-Identität.

Spendenglöckchen zur Weihe der Pummerin, 1952, Foto: Markus Guschelbauer, Haus der Geschichte Österreich

Stephansdom und Pummerin. Aufstieg zweier Nationalikonen

ist seit 10. April 2021 auf der Webseite des Hauses der Geschichte Österreich www.hdgoe.at zu sehen. KuratorInnen sind Anna Stuhlpfarrer und Heidemarie Uhl (Österreichische Akademie der Wissenschaften).

Dompfarrer Toni Faber, die Kuratorinnen der Ausstellung Anna Stuhlpfarrer und Heidemarie Uhl, sowie hdgö-Direktorin Monika Sommer vor der Pummerin. Foto: eSeL.at / Lorenz Seidler

www.facebook.com/hdgoe

Quelle und Fotos: Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ

Weitere HdGÖ-Artikel finden Sie bei uns bitte hier;

Das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ)  

Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das HdGÖ in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung.  Viele Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.

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