Keine Sorgen-Generaldirektor Dr. Josef Stockinger, Vorsitzender des Institut für Versicherungswirtschaft an der JKU Linz, bietet dem Volkssport Versicherungsbetrug die Stirn. Foto: OOEV
Keine Sorgen-Generaldirektor Dr. Josef Stockinger, Vorsitzender des Institut
für Versicherungswirtschaft an der JKU Linz, bietet dem Volkssport Versicherungsbetrug die Stirn. Foto: OOEV

Eine vernetzte Welt, ein enger werdendes versicherungsrechtliches Korsett und der wirtschaftliche Druck machen Versicherungsmissbrauch bzw. –betrug zu einer immer größer werdenden Herausforderung für die Unternehmen. Schätzungen zufolge beträgt der Schaden für die Volkswirtschaft jährlich mehrere hundert Mio. Euro. Der zunehmenden Komplexität und auch Professionalisierung des Versicherungsbetrugs stehen strengere Datenschutzbestimmungen und die Unübersichtlichkeit des Internets gegenüber.

Fingierte Verkehrsunfallserien, nachgewiesene Eigenbrandstiftungen und sogar Selbstverstümmelungen – immer wieder ist in den Medien von aufsehenerregenden Gerichtsverfahren zu lesen, in denen überführte Versicherungsbetrüger zu hohen Strafen verurteilt werden. Freilich sind spektakuläre Fälle, die es vom Gerichtssaal auch bis in Chronik-Spalten der Tageszeitungen schaffen, die unrühmliche Ausnahme. Die kaputte Brille, das defekte Smartphone zum Erscheinungszeitpunkt des Nachfolgemodells, oder die weniger plausible Schilderung des Unfallhergangs, um doch irgendwie an eine Versicherungsentschädigung zu kommen, sind da schon häufiger.

Angesichts Millionen von redlichen Versicherungskunden in Österreich sind die schwarzen Schafe bei weitem in der Minderzahl. Dennoch sind Betrug und Missbrauch sowohl ein wirtschaftliches, vor allem aber ein moralisches Problem, da mit der Versicherungsgesellschaft in erster Linie die Gemeinschaft aller Versicherungsnehmer hintergangen wird. Schäden durch Versicherungsbetrug schwächen nicht nur die wirtschaftliche Basis des jeweiligen Unternehmens, sondern führen so zu höheren Prämien für alle Versicherungsnehmer!“, unterstreicht der Vorsitzende des Instituts für Versicherungswirtschaft, Generaldirektor Dr. Josef Stockinger, die Tragweite dieses Problems.

v.l.: Dr. Eberhard Fähnrich, Gen.-Dir. Dr. Josef Stockinger, Vorsitzender des Versicherungsinsituts und Mag. Gerhard Janoch, Vorsitzendes des Büros zur Bekämpfung von Versicherungsbetrug im VVO. Foto: OOEV
v.l.: Dr. Eberhard Fähnrich, Gen.-Dir. Dr. Josef Stockinger, Vorsitzender des Versicherungsinsituts und Mag. Gerhard Janoch, Vorsitzendes des Büros zur Bekämpfung von Versicherungsbetrug im VVO. Foto: OOEV

Bereits in den 1950er-Jahren hatte der amerikanische Kriminologe Donald R. Cressey das so genannte „Betrugsdreieck“ vorgestellt, mit dem er das Zusammenspiel der drei Grundfaktoren eines Wirtschaftsdeliktes zeigen wollte: Motivation, Rechtfertigung und Gelegenheit. Während die Motivation – etwa eine finanzielle Bedarfslage – und die Gelegenheit, beispielsweise durch fehlende oder unzureichende Kontrollsysteme, leicht nachvollziehbar sind, liegt die eigentliche „Sprengkraft“ dieser Thematik in der Rechtfertigung.

Volkssport Versicherungsbetrug
In einer Studie des Meinungsforschungsinstitutes Spectra aus dem Jahr 2011 wurden 1.000 Personen repräsentativ für die österreichische Bevölkerung zu ihren eigenen moralischen Bewertungen verschiedener, nach ethischen und rechtlichen Maximen als verwerflich anzusehenden Handlungen befragt. Mit verblüffendem Ausgang: Rund ein Viertel der Befragten sieht bei Versicherungsbetrug keinen Grund für strafrechtliche Sanktionen. Es würde ohnehin zu viel in den Prämientopf einbezahlt. Der „Betrug“ sei demnach „berechtigt“ und werde außerdem „von allen“ praktiziert, so ein mögliches Fazit.

Dieser Aussage stimmen laut einer Befragung der GfK Finanzmarktforschung aus 2011 auch 23 Prozent der Deutschen zu, berichtet Dr. Eberhard Fähnrich, Leiter Claims Management Services bei der Rückversicherungsgesellschaft Gen Re. 4 Prozent der Haushalte gaben dabei zu, innerhalb der letzten fünf Jahre Versicherungsbetrug begangen, 7 Prozent im gleichen Zeitraum zumindest davon erfahren zu haben. 11 Prozent machten dazu keine Angabe.In 64 Prozent der Fälle, lag dabei ein Schaden vor, der nicht versichert war, weshalb eine alternative Darstellung des Schadensverlaufs erfolgte. 33 Prozent gaben an, bei der Schadenshöhe übertrieben zu haben und in 4 Prozent der Fälle wurde ein Schaden angegeben, der gar nicht eingetreten war.

500 Mio. Euro Schaden als gesamtgesellschaftliches Problem
In Österreich, wo keine offiziellen Statistiken vorliegen, darf eine ähnliche Situation angenommen werden. Der Leiter des Büros zur Bekämpfung von Versicherungsbetrug im österreichischen Versicherungsverband (VVO), Mag. Gerhard Janoch, geht von einem Anteil von 7 bis 10 Prozent über alle Sparten aus. Das gilt sowohl für die Anzahl der Schadensfälle, als auch für die Schadenssumme. Insgesamt dürfte laut Schätzungen des Versicherungsverbandes ein Schaden für die Volkswirtschaft von bis zu 500 Mio. Euro entstehen. „Das Versicherungswesen baut auf gegenseitigem Vertrauen auf und ist daher eine zutiefst demokratische Einrichtung. Kriminalität gegen Versicherungen richtet sich nicht nur gegen einzelne Personen oder Unternehmen, sondern ist als gesamtgesellschaftliches Problem anzusehen.“, betont Janoch.

Zwar sind und waren Versicherungsbetrug bzw. Versicherungsmissbrauch mit Haftstrafen bedroht, die zuletzt deutlich angehobene Wertgrenze beim schweren Betrug (§147 StGB) von 50.000 auf 300.000 Euro dürfte angesichts einer bisher bereits eher niedrig anzusetzenden Hemmschwelle wohl kaum das richtige Signal sein: Rund 85 Prozent der Täter sind Ersttäter, die sich etwa schlecht beraten oder in einem früheren Schadensfall betrogen fühlen und nun auf Rache sinnen. Etwa 12 Prozent sind als gewerbsmäßige Täter anzusehen, in 3 Prozent der Fälle kann von organisierter Kriminalität gesprochen werden.

Neue Herausforderungen – Datenschutz versus Tatenschutz
Eine mehr und mehr vernetzte Welt und steigender wirtschaftlicher Druck auf die Unternehmen machen Versicherungsbetrug bzw. –missbrauch zu einer stetig größer werdenden Herausforderung, sind sich die Experten Fähnrich und Janoch einig. Basierte die Betrugsabwehr in der Vergangenheit in erster Linie auf dem „richtigen Bauchgefühl“ der Schadensachbearbeiter, hat das Internet mit seiner Informationsfülle bei gleichzeitig steigenden Datenschutzanforderungen die Aufgabe noch weiter erschwert. Zwar könne die neue Informationstechnologie auch zur Betrugsbekämpfung beitragen, gleichzeitig kommen die Möglichkeiten des World Wide Web aber auch den Tätern entgegen: 16 Prozent der Betrüger holen sich Tipps und Tricks im Internet, während strengere Datenschutzbestimmungen die Erhebung nützlicher Informationen für die Versicherer hemmen.

Um der überwiegenden Mehrheit der redlichen Versicherungsnehmerinnen und Versicherungsnehmer ein bestmögliches und vor allem zeitnahes Service im Schadensfall bieten zu können, ist ein rasches und richtiges, im Idealfall automatisiertes Erkennen von betrugsverdächtigen Fällen notwendig. Auch eine moralische Bewusstseinsbildung in den Schulen, sowie eine Imagepolitur des Berufsbildes „Versicherungsangestellter“ sind wichtige Schritte in die richtige Richtung. „Der Grundhaltung, die Versicherungsbetrug in kleinem Umfang als Kavaliersdelikt ansieht und heute bei jungen Leuten, vor allem im Zusammenhang mit Handyschäden stark vertreten ist, muss rechtzeitig entgegengewirkt werden. Denn was einmal erfolgreich ist, verleitet schnell zur Wiederholung.“, unterstreicht Dr. Josef Stockinger abschließend.

 

Bitte beachten Sie auch diese Artikel bei uns:

 

 

 

Back to Top