PSY Voigtel 2306 ANAL COV.inddWie unterscheidet sich der krankhafte Gebrauch von Suchtmitteln wie Zigaretten, Alkohol und Glücksspielen vom sozial verträglichen Konsum? Wie kann Betroffenen geholfen werden? Was sind die intrapsychischen Motive von Suchtkranken? Während Sigmund Freud die Sucht als eine unreife perverse Lust begreift, hat sich bei seinen Nachfolgern die Position durchgesetzt, dass die Sucht zur Abwehr eines früh in der Kindheit entstandenen Affekts dient. Die heutige Psychoanalyse kennt unterschiedliche Schweregrade der Sucht und verschiedene Funktionen des Suchtmittelgebrauchs wie die Verleugnung neurotischer Hemmungen, das Aufblähen eines geringen Selbstwerts, Beziehungsvermeidung oder gar die Vernichtung eines wertlosen Selbst.

Im vorliegenden Buch von Dr. Roland Voigtel werden die wichtigsten Erklärungsmodelle dargestellt und anhand zahlreicher Fallbeispiele illustriert. Schließlich gibt der Autor Hinweise für die psychoanalytische Therapie mit Suchtkranken. Hier sollte die Übertragungssituation genutzt werden, um Affekt- und Beziehungsängste bewusst zu machen und sie durch kontrolliertes Erleben abzumildern. Ziel ist, das schwache Selbst des Patienten oder der Patientin so weit zu stärken, dass es immer weniger auf die süchtige Abwehr angewiesen ist.

Das oepb meint dazu:
Was ist die Sucht eigentlich genau?

Der Begriff „Sucht” wurde lange Zeit vor allem mit körperlicher Abhängigkeit von Substanzen gleichgesetzt. Es wird allerdings immer üblicher den Begriff „Sucht” auch auf psychische und soziale Abhängigkeit sowie auf Verhaltensweisen wie Spielsucht, Kaufsucht, Internetsucht, auszudehnen.

Abhängigkeit (umgangssprachlich Sucht) bezeichnet in der Medizin das unabweisbare Verlangen nach einem bestimmten Erlebniszustand. Diesem Verlangen werden die Kräfte des Verstandes untergeordnet. Es beeinträchtigt die freie Entfaltung einer Persönlichkeit und beeinträchtigt die sozialen Chancen eines Individuums. In den Fachgebieten Psychologie und Psychiatrie gibt es verschiedene Formen der Sucht.

Sucht ist also in unserer Gesellschaft ein sehr ungeliebtes Thema. Mit dem Wort Sucht verbindet man sofort abstoßende Eindrücke wie Verwahrlosung und Kontrollverlust.

Doch sind wir uns ehrlich, ist nicht jeder von uns in irgendeiner Form irgendwie süchtig? Zigarettenkonsum beispielsweise wird der Genuss, die Gewohnheit und die Abhängigkeit gleichgesetzt. Die Raucher werden als unvernünftig, selbst zerstörerisch und undiszipliniert gehalten. Nächtelang am Computer zu sitzen und Onlinespiele zu spielen wird zu Sucht erklärt. Um nur einige von vielen Beispielen zu nennen.

Roland Voigtel versteht die Sucht als Abwehrsystem. Sie sei grundsätzlich „eine konstitutive“ Funktion der gesunden, arbeitenden Psyche und nichts „Krankes“, sodass es durchaus angemessen wäre, von einer „Schutz-“ oder psychischen „Immunfunktion“ zu sprechen, wie er in seinem Buch die Sucht beschreibt.

In einem der Beispiele, die er anführt, schildert er den Fall einer jungen Frau mit Borderline Persönlichkeitsstörung, bei der er aufzeigt, dass „die Sucht als Abwehr ebenso der Stabilisierung dient wie das Abwehren per Agieren, per gewaltsamer Übertragung (projektive Identifizierung) und per Selbstverletzung“. Mit anderen Worten: Alkohol und Drogen können helfen eine Initialverstimmung (im Falle von Borderline) Panikgefühle, Wut- und Hassanfälle etc. in den Griff zu bekommen, zu verdrängen, zu neutralisieren, zu stabilisieren.

Die Psychoanalyse geht davon aus, dass die süchtige Abwehr (wie andere Abwehren auch, zum Beispiel soziale Rückzüge oder aggressives Einwirken auf Objekte), an der Heranbildung einer psychischen Struktur mitgewirkt hat und nicht grundsätzlich geändert werden kann, ohne die Identität des Menschen zu zerstören.

„Weiters geht es bei der psychoanalytischen und tiefenpsychologischen Therapie der Sucht, sei es als Symptom oder als umfassende strukturelle Störung darum, dem Süchtigen dabei zu helfen, seine psychische Struktur zu verstehen (was nicht leicht ist), zu akzeptieren und so mit ihr umzugehen, dass er ein erträgliches und subjektiv sinnvolles Leben ohne Selbsthass und Selbstzerstörung mit ihr führen kann.“

Therapeutisch sei es Ziel, das schwache Selbst der Patienten so weit zu stärken, dass es immer weniger auf süchtige Abwehr angewiesen ist.

Roland Voigtel hat zugehört, rein gefühlt, nachvollzogen und verstanden und hat das gesammelte Wissen von Patientenkontakten zu einem Gesamtverständnis zusammengeführt. Wie in psychodynamischen Verfahren üblich, hat er sich der Frage nach dem Warum des Suchtmittelkonsums zugewandt. Er legt in seinem Buch ein schlüssiges psychodynamisches Verständnis der Suchterkrankung vor.

Nach der Lektüre versteht man den Süchtigen viel mehr als „tragischen”, denn als „schuldigen” Menschen.

Ein Buch voller Aha-Erlebnisse, die ein tieferes Verständnis der Patienten möglich macht. Eine offene Hand für eine klare und ebenso offene Denkweise für das Verständnis von Sucht.

Sehr zu empfehlen für alle, die sich mit dem „Warum” beschäftigen.

Über den Autor:
Dr. phil, Dipl.-Psych., Dipl.-Pol. Roland Voigtel beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit den Themen Psychoanalyse und Sucht. Er war Leiter eines Modellprojekts zur Suchtprävention an Schulen in Berlin und arbeitet heute in eigener Praxis als psychologischer Psychotherapeut und Psychoanalytiker (DGPT/ DPG) und Supervisor. Darüber hinaus leitet er den Schwerpunkt Tiefenpsychologie an der Berliner Akademie für Psychotherapie. Roland Voigtel veröffentlichte zahlreiche wissenschaftliche Aufsätze zum Thema Psychoanalyse der Sucht. 

Roland Voigtel / Sucht
Analyse der Psyche und Psychotherapie
144 Seiten, Broschur, 125 x 205 mm

Zum Preis von € 16,90
Psychosozial-Verlag

www.psychosozial-verlag.de
ISBN 978-3-8379-2306-3

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