"Keine Sorgen"-Generaldirektor Dr. Josef Stockinger, Vorsitzender des Institut für Versicherungswirtschaft an der JKU Linz. Foto: OÖ-Versicherung
“Keine Sorgen”-Generaldirektor Dr. Josef Stockinger, Vorsitzender des
Institut für Versicherungswirtschaft an der JKU Linz. Foto: OÖ-Versicherung

Nach dem Aufsichtsregime Solvency II, dessen Umsetzung seit 2016 eine große Herausforderung für die Branche darstellte, gilt es mit der Einführung der Insurance Distribution Directive (IDD) im kommenden Jahr bereits die nächste große Prüfung zu meistern. Noch sind viele Umsetzungsfragen offen. Das Institut für Versicherungswirtschaft an der Johannes Kepler Universität in Linz hat im Rahmen der diesjährigen Herbstveranstaltung mit hochkarätigen Experten eine Standortbestimmung durchgeführt und einen Blick auf die noch fehlenden Details geworfen.

Verglichen mit Deutschland, das seine Hausaufgaben bereits gemacht hat, ist der heimische Gesetzgeber im Verzug. Vorerst liegt nur der Entwurf einer Regierungsvorlage für ein neues Versicherungsvertriebsgesetz vor, der auch als unmittelbares Vorbild für eine allfällige
Umsetzung in der Gewerbeordnung für die selbstständigen Agenten und Makler herangezogen werden kann. Dass die bislang bekannten Eckpfeiler des neuen Rechtsrahmes einen Paradigmenwechsel im Vertrieb von Versicherungsprodukten mit sich bringen werden,
steht für Dr. Josef Stockinger, Vorsitzender des Versicherungsinstituts an der Johannes Kepler Universität, jedenfalls fest: „Während Solvency II eine große Herausforderung für Spezialisten-Teams innerhalb der Unternehmen war, geht die IDD-Umsetzung in die volle Breite des Versicherungsbe- und vertriebs – von der Entwicklung klar strukturierter Produkte bis hin zur kompletten Neuausrichtung der vertrieblichen Aufstellung. Die Umsetzung wird dadurch bis in die kleinsten Vertriebsbereiche der Versicherungshäuser zur Mammutaufgabe.“

Die IDD könnte außerdem aufgrund des hohen Umsetzungsaufwandes und des nunmehr langwierigeren Verkaufsprozesses zu einer Konjunkturbremse für die Versicherer werden, befürchtet Dr. Josef Stockinger.

Perspektivenwechsel in Richtung Kundensicht
Den unternehmerischen Spagat zwischen Kundenperspektive und wirtschaftlicher Rentabilität sieht auch Unternehmensberaterin Birgit Wastl von der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft KPMG als größte Herausforderung für die Versicherungswirtschaft:„Die zahlreichen inhaltlichen Neuerungen & Adaptierungen in den alltägliche Geschäftsprozessen sind oftmals mit einer nicht unbedeutenden Auswirkung auf die IT-Landschaft der betroffenen Unternehmen verbunden und bedarf somit einer gewissen Vorlaufzeit. Mit Hochdruck sind die Versicherungshäuser daher bereits am Konkretisieren und Spezifizieren der IDD-Anforderungen. Für eine zielführende Umsetzung im kommenden Jahr ist allerdings nicht nur die technische Komponente eine entscheidende Hürde, vielmehr zeigt auch der geforderte Perspektivenwechsel in Richtung Kundensicht seine Herausforderungen“.

Neben dem Nachweis angemessener Kenntnisse und Fähigkeiten aller am Vertrieb direkt oder indirekt beteiligter Personen, rückt vor allem das Thema Product Governance und damit die Regelung von Produktentwicklungsprozessen in den Fokus. Künftig ist ein schriftlich dokumentiertes Produktfreigabeverfahren zu schaffen bzw. nachzuweisen. Neben der Definition von Kundengruppen und ihren einschlägigen Risken ist vor allem die Zurverfügungstellung aller sachgerechten Informationen sowie eine laufende Evaluierung der Produkte und Vertriebsstrategien hinsichtlich ihrer Relevanz für die Bedürfnisse der jeweiligen Kunden sicherzustellen. Als Konsequenz wurden die Informations- und Aufklärungspflichten stark erweitert.

Branchenvertreter befürchten angesichts dieser erweiterten Regelungen einen massiven „Informations-Overkill“ für den Kunden. Parallel dazu wird mit dem so genannten 2-Phasen-Verkauf ― Beratung und tatsächlicher Abschluss müssen mit zeitlichem Abstand erfolgen ― erheblich in den Verkaufsprozess eingegriffen.

Vermeidung von Interessenskonflikten
Ebenso im Zentrum der neuen Regelungen steht die Erkennung, Vermeidung und Regelung von Interessenskonflikten zwischen dem Versicherungsunternehmen und Vermittlern einerseits, sowie dem Kunden auf der anderen Seite. Vor allem der Einfluss von Anreizen und Anreizsystemen auf die Beratung und Empfehlung bestimmter Produkte und Dienstleistungen wird künftig stärker im Fokus der Aufsichtsbehörden stehen, wie Ludwig Pfleger, Leiter des Teams Business Conduct und damit innerhalb der Finanzmarktaufsicht (FMA) für den Bereich des Versicherungsvertriebs zuständig, betont. Für Pfleger ist der neue ganzheitliche Ansatz des kollektiven Verbraucherschutzes jedenfalls zu begrüßen: Die Informationsbereit-stellungspflichten (Basisinformationsblätter, KID, IPID usw.), die neuen Vorschriften zur Produktgestaltung (POG) und die ordnungsgemäße Umsetzung der Regeln zur Vertriebsvergütung stellen hier wesentliche, zusätzliche Eckpfeiler dar. Den Unternehmen dient die Einhaltung der Informationspflichten und Wohlverhaltensregeln ganz wesentlich zur Reduzierung des Rechts- und Reputationsrisikos, so Pfleger, der auch einer Arbeitsgruppe für Konsumentenschutz innerhalb der EU-Aufsichtsbehörde EIOPA vorsitzt.

Für die Branche bleibt abzuwarten, inwieweit sich die neuen Regeln für den Versicherungsvertrieb in der Praxis bewähren. Die Frage wird sein, ob der Kunde in seiner Entscheidungsfindung tatsächlich unterstützt oder durch die Fülle an zusätzlichen Unterlagen nicht noch mehr überfordert wird. Der Gegensatz zwischen dem vom Gesetzgeber gezeichneten Idealbild des mündigen Konsumenten und dem mit Informationen überhäuften Versicherungsnehmer in der realen Welt könnte sich so immer mehr vergrößern.

Das Institut für Versicherungswirtschaft
Das Institut für Versicherungswirtschaft an der Johannes Kepler Universität besteht seit 1982 und versteht sich als Schnittstelle zwischen universitärer Forschung und der Versicherungs-wirtschaft in der Praxis. Im Rahmen von Diskussionsveranstaltungen werden aktuelle Frage-stellungen aus dem Versicherungswesen aus Sicht der Versicherungsnehmer auf der einen und der Unternehmen auf der anderen Seite erörtert und Lösungsansätze erarbeitet.

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