MisterAustria_plan kleinEin Buch, eine Biografie mit dem Titel eines ganzen Fußballvereines zu assoziieren, ist wohl das größte, höchste und schönste Kompliment, das einem ehemaligen Aktiven und späteren Sport-Funktionär zuteil werden kann. Gemeint ist niemand Geringerer denn Norbert Lopper, der am 4. Juli dieses Jahres seinen 95. Geburtstag begehen konnte.

Aus diesem erfreulichen Anlass, jedoch nicht nur, widmete Autor Johann Skocek dem verdienstvollen und jahrzehntelangen Fußball-Sekretär diese knapp 230 Seiten umfassende Lebens-Chronik im Din A5-Format.

Norbert Lopper! Er selbst bezeichnet sich in Gesprächen und Rückblicken stets als Sekretär. Heutzutage würde man wohl Manager dazu sagen. Der quirlige Fußball-Liebhaber fand nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, der ihm so gut wie alles geraubt hatte, das ihm lieb und teuer war, seine neue große Liebe – den FK Austria Wien! Er war im Sommer 1954 Mitbegründer des Austria Wien-Anhängerklubs, der seine Abende im legendären und heute leider nicht mehr existenten Cafe Herrenhof in der Inneren Stadt in Wien abhielt. Der große österreichische Schriftsteller, Autor, Feuilleton- und Humorist Friedrich Torberg war detto oftmals dort zugegen und trat sehr bald dem Anhängerklub bei. Aus Torberg´s Feder stammte auch das bis heute an Gültigkeit nicht zu überbietende Zitat: „Austrianer ist, wer es trotzdem bleibt!“ in Anlehnung an viel zu oft vergeigte Spiele. Torberg und Lopper fanden beide vor dem Krieg beim SC Hakoah Wien ein sportliches Betätigungsfeld, wobei Norbert Lopper aktiv in der Sektion Fußball war, Friedrich Torberg hingegen als Wasserballer, überaus erfolgreich übrigens, sein Glück versuchte.

Norbert Lopper im FAK-Mega-Store anlässlich der Museeums-Eröffnung im Mai 2009. Foto: oepb
Norbert Lopper im FAK-Mega-Store anlässlich der Austria Wien-Museums-Eröffnung im Mai 2009. Foto: oepb

Wie alles begann:

Am 4. Juli 1919 wurde Norbert Lopper in Wien geboren und wuchs in eher ärmlichen Verhältnissen im 20. Hieb, der Brigittenau, auf. Die Monarchie Österreich-Ungarn war zerfallen, das Kaiserreich lag geschlagen darnieder und die Wiener fanden sich nur schleppend mit der Niederlage des „Großen Krieges“ (1. Weltkrieg, 1914-18) ab. Es folgten die Jahre der Entbehrungen, der Arbeitslosigkeit und auch der fehlenden Perspektiven. Im Vertrag von Saint-Germain vom 10. September 1919 mit dem wenig schmeichelhaften Zitat: „Der Rest ist Österreich!“ wurde vereinbart, dass die Habsburger Monarchie, als auch das Deutsche Kaiserreich die Schuld am Krieg trägt. Das riesige Viel-Völker-Gemisch Österreich-Ungarn wurde zerschlagen, das bis in die heutige Zeit bekannte Österreich zählte damals zirka 6,5 Millionen Einwohner. In diese Jahre der geschichtlichen und geografischen Umwälzungen in Europa wurde Norbert Lopper hineingeboren und lebte in einem Wien, das als k.u.k. Hauptstadt der Donaumonarchie um die Jahrhundertwende vom 19. ins 20. Jahrhundert über 2 Millionen Einwohner zählte.

Die Rauscherstraße Nr. 8, das Wohnhaus der Loppers, liegt in der Nähe des Augartens. Die Mutter Regine arbeitete als Kürschnerin, ging zeitig aus dem Haus und kehrte erst spät abends zurück. Vater Leo war Vertreter und beide Elternteile rackerten sich ab, um die 5 Kinder (Rosa, Norbert, David, Herbert und Klara) ernähren und ihnen eine einigermaßen angenehme Kindheit und Jugend bieten zu können. Schließlich war dies im Wien der 1920er Jahre gar nicht so einfach. Der kleine Norbert wuchs auf der Strasse auf, entdeckte sehr bald seine Liebe zum Fußball und kickte mit allem, was sich bot – Gummi-, Fetzen- oder Tennisball. In seinen Erinnerungen schildert er, dass er ein schlechter Schüler, jedoch ein guter Turner war. Die Jahre vergingen und es folgte der politische Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland. Jene Tage im März 1938 verliefen für ihn aufgrund seiner jüdischen Herkunft in steter Angst. So saß er beispielsweise am 12. März mit einem Freund im Nestroy-Kino, der Film wurde aber abgebrochen, da unüberhörbare „Sieg Heil“-Rufe draussen von der Gasse hinein in den Saal gedrungen waren. Einzeln und verängstigt schlichen die Besucher aus dem Lichtspiel-Theater. Kurz darauf floh die Familie nach Brüssel. Lopper spielte bei Etoile Fußball und ehelichte Rebecca Cige. 4 Jahre später, 1942 wurden seine Gattin und er nach Auschwitz verschleppt. Die Gemahlin wird sofort in der Gaskammer ermordet, er, Lopper, dem man die Häftlingsnummer 61983 in den linken Unterarm tätowierte, von einem SS-Offizier beinahe zu Tode geprügelt. Er ist dermaßen verzweifelt, dass in ihm Selbstmordgedanken aufkeimen.

Nichtsdestotrotz überstand er die unvorstellbaren Qualen des KZ Auschwitz-Birkenau und konnte sogar seiner Mutter in einer waghalsigen Aktion das Leben retten. Vater Leo und Schwester Klara überlebten die Shoa jedoch nicht. Die Amerikaner befreiten ihn aus den Fängen der SS im Lager Mauthausen im Jahre 1945. Lopper war auf 45 Kilogramm abgemagert. Sein Weg führte ihn zurück nach Brüssel. Als Norbert Lopper sein geliebtes Wien im Jahre 1953 wieder betrat, war die Stadt von den Siegermächten besetzt – der Staatsvertrag kam zwei Jahre später – und bot dem Betrachter immer noch ein schreckliches und zerbombtes Bild. Frei nach dem „Wurschtl, den kana darschlogn kann.“ ging es mit Norbert Lopper und der guten alten Wiener-Stadt wieder bergauf. Für ihn startete nun sein zweites Leben. Und dies sollte ihn schnurstracks zur Wiener Austria führen. Lopper sollte großen Anteil daran haben, diesen österreichischen Nobel- und Traditionsverein in erfolgreiche und sportliche Sphären zu hieven, deren Spuren heute noch und umso mehr denn je allgegenwärtig sind.

Das, was heute e-mail-technisch ratz-fatz über die Bühne geht, ...
Das, was heute e-mail-technisch ratz-fatz über die Bühne geht, …

Die Austria war damals der Verein der Intellektuellen. Es ist überliefert, dass der Austrianer in einem Kaffeehaus der Innenstadt sitzt und sich nach wie vor über das letzte vergeigte Spiel seiner Violetten grün und blau ärgert, während dessen die Mannschaft unten im Wiener Stadion einen neuerlichen Erfolgsversuch anhand eines sportlichen Wettkampfes anstrebt. „Die Austria ist sei je her ein Kaffeehaus!“, so ein legendärer Satz Josef „Joschi“ Walters, der sich als Mäzen, Förderer, Gönner, Präsident und dergleichen jahrelang stets auf die Loyalität seines Sekretärs Norbert Lopper verlassen konnte. Dieser leitete beispielsweise im Jahre 1958 auf 12 Quadratmetern im Cafe Savoy das Austria-„Sekretariat“. Die heutzutage bekannte Sponsortätigkeit gab es damals noch nicht, also bestritt der FAK Städte- und Länder-Tourneen – sogar bis nach Südamerika – um dort die österreichische Fußballschule sehr erfolgreich zu präsentieren. Nicht selten kam man von den diversen Auslandsreisen mit Trophäen und einem finanziellen Polster zurück.

Am 31. Oktober 1961 traf die Austria im Europapokal der Landesmeister auf Benfica Lissabon. Die Portugiesen durchbrachen damals die europäische Phalanx Real Madrids (das weiße Ballett gewann zwischen 1956 und 1960 fünfmal in Serie den Europapokal der Landesmeister) und waren rund um ihren aus der Österreich-Ungarischen Monarchie stammenden Trainer Béla Guttmann, der später auch ÖFB-Teamchef war, ein absolutes Welt-Team. Bereits Tage zuvor bildeten sich wahre Menschentrauben vor dem Cafe Savoy, um die begehrten Eintrittskarten für das Match zu ergattern. Der Andrang war dermaßen groß, dass Lopper, gemäß eigenen Erzählungen, mehrmals am Tage mit einem abkommandierten Taxi zur violetten Haus-Bank fuhr, um die großen Einnahmen dort am Vereins-Konto als Eigenerlag zu deponieren. Zum Spiel selbst, welches 1 : 1 geendet hatte, strömten über 80.000 Zuschauer in das Prater-Oval. Es ist dies bis heute die größte Besucherzahl, die einer österreichischen Klubmannschaft zuteil wurde, lediglich das Karl Decker-Nationalteam verfügte in jenen Jahren über einen noch größeren Zuschauer-Zusprung (über 90.000 beispielsweise beim 3 : 0-Erfolg über Spanien, 30. Oktober 1960).

... bedurfte in früheren Jahren einer ordentlich geführten Korrespondenz. Beide Archiv oepb.
bedurfte in früheren Jahren einer ordentlich geführten Korrespondenz. Beide Archiv oepb.

Norbert Lopper, so schilderte er in einem launigen Gespräch mit zahlreich erschienenen interessierten Zuhörern im Wien-Museum anlässlich der Fußball-Europameisterschaft 2008 und der dortigen Ausstellung „Wo die Wuchtel fliegt / Legendäre Orte des Wiener Fußballs“ studierte jeden Montag die großen europäischen Sport- und Fußballzeitungen wie Kicker, Gazzetta dello Sport und Le Figaro. So wurde er auf aktuelle Spieler aufmerksam, von denen er sich wertvolle Verstärkungen für seine Austria versprach. Auf diese Art und Weise gelang ihm die Verpflichtung von Günter Kuntz (Vater von Stefan, DFB-Nationalspieler, Bundesliga-Torschützenkönig und heute Vorstandsvorsitzender beim 1. FC Kaiserslautern) der zwischen 1968 und 1970 in Wien aktiv war und in diesen beiden Jahren mit der Austria zweimal Meister wurde. Aber auch der Schachzug Jahre zuvor mit dem Brasilianer Waldemar Graziano, kurz Jacare genannt, lief über seinen Telefonapparat im Cafe Savoy. Der pfeilschnelle Südamerikaner, der als erster „Schwarzer“ in die österreichische Bundesliga-Geschichte einging, avancierte sehr rasch zum Publikumsliebling der Violetten. Gute Kontakte nach Südamerika erleichterten Lopper auch die Verträge für die beiden Top-Leute aus Uruguay – Alberto Martinez und Julio Morales. Beide stießen im Winter 1972/73 zur Austria und sahen erstmals in ihrem Leben Schnee. Mit der Verpflichtung von Herbert Prohaska landete ein Jahrhundert-Talent, kommend von Ostbahn XI aus Simmering, bei der Austria. Lopper tüfelte und feilte an einem Team, das national, als auch international für Furore sorgen sollte. Dies alles gipfelte in dem Umstand, dass der FAK in der 1974 ins Leben gerufenen 10er Liga der 1. Division, die bis 1982 Bestand hatte, 5mal Meister wurde, von 1978 bis 1981 sogar viermal in Serie. Ein nationaler Erfolg, der bis heute nicht geknackt wurde. Auch die Siege im Europapokal sprachen eine eigene Sprache und die Austria erreichte als erstes österreichisches Team ein diesbezügliches Endspiel, wenngleich dieses am 3. Mai 1978 im Pariser Prinzenpark gegen den RSC Anderlecht mit 0 : 4 vergeigt wurde.

Norbert Lopper ist auch Zeitzeuge jener Jahre, in denen das Sportsponsoring in Österreich seinen Ursprung hatte. Manfred Mautner Markhof aus der Bier-, Essig und Senf-Dynastie, sowie Josef Walter vereinbarten im Sommer 1966 den deal der so genannten Schwechater Bier-Tulpe auf der Brust der Austria-Akteure. Das Sponsoring war geboren. Einige Jahre später war man finanziell erneut schwachbrüstig unterwegs. Die Rettung lag in der Fusion mit dem sportlich dahindarbenden Wiener AC, der von der Anglo-Elementar Versicherung unterstützt wurde. So wurde die Austria/WAC Elementar-Spielgemeinschaft im Sommer 1973 ins Leben gerufen, der Beginn der erfolgreichsten Jahre in der Funktionärs-Ära Norbert Loppers.

Und auch die heutige Heimat der Wiener Violetten, Favoriten, ist einer großen Initiative Loppers zu verdanken. Nachdem man einmal mehr heimatlos war, bot sich beispielsweise der WFV-Verbandsplatz Ceske srdce (Tschechisches Herz) an. Mit WFV-Verbandspräsident Franz Horr war ein Befürworter dieser Aktion gefunden, die Austria schien im 10. Wiener Gemeindebzeirk endlich heimisch zu werden, wenngleich die endgültige Sesshaftigkeit wiederum erst im Mai 1982 stattgefunden hatte.

Auch das legendäre und heutzutage leider nicht mehr veranstaltete Wiener Stadthallenturnier wurde von Norbert Lopper begrüßt und unterstützt. Es wurde in den Wintermonaten ausgetragen und sollte den teilnehmenden Mannschaften ein finanzielles Zuckerl in der Winterpause, in denen bekanntlich kein Meisterschaftsbetrieb stattfand, bieten. Auch hier war die Austria das erfolgreichste Team. Sage und schreibe neunmal in Serie, von 1977 bis 1986 holten sich die violetten Primgeiger diese Trophäe.

 

Die Elementar-Versicherung stand der Spielgemeinschaft Austria/WAC von 1973 bis 1977 vor und wurde im Anschluss von der Austria Tabak/Memphis abgelöst. Die Aufnahme entstand im November 2013 am WAC-Platz. Foto: oepb
Die Elementar-Versicherung stand der Spielgemeinschaft Austria/WAC von 1973 bis 1977 vor und wurde im Anschluss von der Österr. Tabakregie mit der Marke Memphis abgelöst. Die Aufnahme entstand im November 2013 am WAC-Platz. Foto: oepb

Ein verdienstvoller Funktionär tritt ab. Im Jahre 1983 übergab Norbert Lopper die Agenden an den ehemaligen Austria-Spieler Peter Müller. In seiner Sekretären-Ära holte die Austria 10 Meistertitel, gewann 9mal den Österreichischen Fußball-Cup und ebenso 9mal die Wiener Stadthalle. Auch die Final-Teilnahme in Paris gegen Anderlecht bleibt Lopper und der Austria in steter und lebhafter Erinnerung.

Norbert Lopper gilt heute als einer der letzten Zeitzeugen der großen Wiener Fußball-Schule, einer längst vergangenen und leider auch verblassten Epoche. In jungen Jahren erlebte er Matthias Sindelar und war dabei, als das Österreichische Wunderteam zwischen 1931 und 1933 den Kontinent verzauberte. Norbert Lopper gilt auch heute noch als Funktionär vom so genannten alten Schlage. Sein Wort hatte Gewicht und das, was er versprach, das hielt er auch. In den Bundesländern, beispielsweise beim GAK (Franz Allic), LASK (Komm.-Rat Rudolf Trauner), als auch SK VÖEST Linz (Obmann Johann Rinner) galt er als beinharter Verhandler und als rechte Hand von Joschi Walter, der ausgestreckte Arm quasi.

Dem Autor Johann Skocek sei ein riesengroßes Kompliment ausgesprochen, anhand dieses Buches die lebendige Geschichte des Lebens des Norbert Lopper für die Nachwelt zu bewahren. Der publizistische Brückenschlag zwischen den Zeiten vor dem Krieg, im Krieg, wo Lopper dem Tod mehrmals ein Schnippchen schlagen konnte, nicht daran zu zerbrechen, was seiner Familie grausames widerfahren ist, bis hin in die Jahre des Aufbaus und des Wirtschaftswunders bis in die 1980er Jahre ist absolut gelungen. Die Story liest sich wie ein Roman und schildert detailgetreu und mit zahlreichen schwarz-weißen und Farb-Fotos illustriert die einzelnen interessanten Zeitläufe.

 

Prädikat: Überaus Top, lesens- und empfehlenswert!

MISTER AUSTRIA
Das Leben des Klubsekretärs Norbert Lopper. Fußballer, KZ-Häftling, Weltbürger
Von Johann Skocek
Falter Verlag 2014, 224 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN: 978-3-85439-525-6
Preis: € 24,90

Zu bestellen bitte hier:

 

 

 

 

 

 

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