Der vielseitige Heinz Marecek plaudert pointiert aus seinem Leben, wenngleich er hier zum Nachdenken anregt. Foto: © oepb
Der vielseitige Heinz Marecek plaudert pointiert aus seinem Leben, wenngleich er hier zum Nachdenken anregt. Foto: © oepb

Ein täglicher Blick in die Zeitung genügt, um zu sehen, wie rezeptresistent Leben ist. Es lächelt nur milde, wenn es unsere Rezepte sieht. Logisch. Rezepte kann man ja nur von Dingen herstellen, die man kennt. Wenn ein Koch ein Rezept verrät, dann sicher von einer Speise, die er schon oft und erfolgreich zubereitet hat. Und wenn ein Arzt ein Rezept ausstellt, kennt er das Medikament und weiß, dass es gegen die oder die Krankheit hilft. Rezepte sind das Resultat von oftmaligem Herumprobieren.

Aber Leben ist für uns alle neu. Wir haben noch kein anderes ausprobiert. Es ist täglich Premiere. Wir erleben zum ersten Mal eine Kindheit, werden zum ersten Mal erwachsen, kriegen zum ersten Mal Kinder und versuchen ihnen, so gut wir können, beim Aufwachsen zu helfen, werden zum ersten Mal alt und gebrechlich, verlieren zum ersten Mal Verwandte und liebe Freunde, und die Welt zeigt sich jeden Tag von einer neuen, unbekannten Seite. Naturkatastrophen, Kriege, neue Krankheiten. Die Weltwirtschaft verhält sich wie eine Achterbahn, das Klima verändert sich, die Gletscher gehen zurück, die Polkappen schmelzen, die Bienen werden weniger und 60 Millionen Menschen sind auf der suche nach einer neuen Heimat, weil das Leben in ihrer alten unerträglich geworden ist.

Wer könnte gegen all diese Dinge ein Rezept haben? Niemand.

Das macht auch nichts. Man muss nur allen Experten misstrauen, die behaupten, eines zu haben. Einen Monat vor dem Lehman-Debakel hat CEO Richard Fuld, der Gorilla der Wall Street, noch so vor Selbstsicherheit gestrotzt, dass man am liebsten sein Sparschwein zertrümmert hätte, um ihn zu bitten, sein Geld bei ihm anlegen zu dürfen. Man dachte, wenn wer ein Rezept für Investment Banking hat – dann er. Ein paar Wochen später hatte Lehmann Brothers statt 30.000 Angestellten nur noch 200 – und Richard Fuld war Vergangenheit.

Vielleicht gäbe es Lehman Brothers noch, wenn der damalige amerikanische Finanzminister nicht ausgerechnet der frühere CEO von Goldman Sachs gewesen wäre, der nicht daran dachte, die Konkurrenz mit Steuergeldern zu retten. Obwohl andere Banken, und vor allem AIG (American International Group), mit Hunderten Milliarden saniert wurden. Finanzminister Henry Paulsen hatte vielleicht ein Sanierungskonzept für die Finanzkrise – oder für die Wall Street, da gehen die Meinungen auseinander – aber da kam Lehman nicht vor.

Alle die Millionen Flüchtlinge kommen ausnahmslos aus Ländern, wo Menschen regieren oder ihr Unwesen treiben, die glauben, Rezepte zu haben. Seien sie religiöser oder diktatorischer Natur. Im schlimmsten Falle sind sie beides. (Ähnlich wie im Jahr 1956 oder 1968, wo Menschen ebenfalls vor den Rezepten der dortigen Machthaber flüchteten.) Die Länder, die sie aufnehmen, haben keine Rezepte. Das ist der Unterschied.

Sie geben offen zu, dass sie auf diese Entwicklung nicht vorbereitet waren, und suchen Lösungen. Und versuchen, so gut wie möglich, mit dieser völlig neuen Situation umzugehen. Und alle, die kommen, wollen lieber in einem Land ohne Rezept leben. Es ist der Welt noch nicht gelungen, ein Rezept für die Beseitigung der Ursache der neuen Völkerwanderung zu finden. Das wäre doch das Wichtigste: Was muss man tun, dass alle diese Menschen aus Syrien oder Afghanistan oder aus dem Irak oder von wo auch immer gar keinen Grund mehr haben, zu flüchten. Denn keiner von denen geht gerne weg. Keiner verlässt seine Familie, seine Freunde, seine Kultur, wenn er nicht um sein Leben bangt. Oder wenn sein Leben dort nicht durch die herrschenden Verhältnisse in seinen Grundfesten erschüttert ist.

Wenn jemand aus einem Land weggeht, weil er dort seine Kinder nicht mehr ernähren kann, ist es obszön, von Wirtschaftsflüchtling zu sprechen. Sowieso ein widerliches Vokabel. Und ein blödes. Als würde jemand alle Strapazen und Risiken einer Flucht auf sich nehmen, weil er in einem anderen Land ein paar Euro mehr verdient.

Alle Iren, die Mitte des 19. Jahrhunderts nach der großen Hungersnot, die ausbrach, weil ein paar Mal die Kartoffelernte ausfiel, nach Amerika gegangen sind, weil sie zu Hause verhungert wären (eine Million ist tatsächlich verhungert), waren Wirtschaftsflüchtlinge? Lächerlich. Die wirklichen Wirtschaftsflüchtlinge sind die Milliardäre und Multimilliardäre, die mit ihrem Geld aus der Wirtschaft, in der sie es gemacht haben, flüchten und es in irgendwelchen halbseidenen Steueroasen parken!

Und eines muss uns bei diesem „Sturm aus dem Osten und dem Süden“ sowieso klar sein: Unschuldig daran sind wir nicht. Wir sind vielleicht nicht persönlich schuldig, auch nicht unsere Familie, vielleicht nicht einmal unser Land, aber an der Tatsache, dass es dort jetzt ununterbrochen gärt und brodelt und zischt, trägt der Westen, sprich Europa und die USA, zweifellos eine gehörige Mitschuld.

Der Irak-Krieg hatte die gleiche Wirkung, die man erzielt, wenn man mit einem Stock in ein Hornissennest schlägt – ein paare erschlägt man, die anderen fliegen weg und schwärmen dann gereizt und aggressiv durch die Gegend. Dass sich täglich ein paar tausend Afrikaner irgendwelchen morschen „Seelenverkäufern“ anvertrauen, um den ausgeraubten Kontinent zu verlassen, um nach einer lebensgefährlichen Fahrt durchs Mittelmeer vielleicht irgendwo in Europa eine lebenswerte Existenz führen zu können, hat natürlich damit zu tun, dass die europäischen Kolonialmächte ihren einst unglaublich reichen Kontinent wie tollwütige Vampire ausgesaugt haben. Ausgesaugt und ausgeraubt. Ohne das geringste Unrechtsbewusstsein. Ohne irgendeine Legitimierung – außer einer krassen technologischen Überlegenheit. Oder wie es die Engländer mit pointiertem Zynismus ausgedrückt haben: „We have one, they have none.“ („Wir haben eins, sie haben keins.“) Gemeint war ein Maschinengewehr, mit dem man in der Minute 500 Schuss abfeuern konnte und mit dem sie gegen Menschen kämpften, die mit Speeren und Holzprügeln bewaffnet waren.

Es waren die heutigen Musterschüler der EU, die gnadenlos und grausam kolonialisierten: Frankreich, Deutschland, England, Holland und Belgien. In den 25 Jahren, in denen Leopold II. von Belgien Kongo im Privateigentum hatte, wurden geschätzte 10 Millionen Menschen von seinen Söldnern ermordet. Er wollte Elfenbein, Gold, Kupfer und Kautschuk. So viel wie möglich. Leopold II. war eine der abstoßendsten, habgierigsten Figuren der europäischen Geschichte. Unbegreiflich, warum er und sein Terror-Regime im Geschichtsunterricht – zumindest in dem, der mir zuteil wurde – praktisch totgeschwiegen wird. Wahrscheinlich weil seine Opfer nur afrikanische Wilde waren. Und die Geschichtsbücher von weißen Europäern geschrieben wurden.

Es gab aber zwei Dichter, die seine Rolle in der Geschichte eindrücklich beschrieben: Mark Twain und Joseph Conrad mit seinem traurig-schönen Roman „Herz der Finsternis“. Kautschukpflückern, die zu wenig ernteten, wurden die Hände abgehackt, schwarze Kinder, die in Anwesenheit eines weißen Mannes lachten, mit der Nilpferdpeitsche zu Tode geprügelt, Dörfer angezündet, deren Bewohner sich der Zwangsarbeit entziehen wollten.

Leopold selbst hat nie afrikanischen Boden betreten – er genoss nur die Revenuen. In vollen Zügen. Dass ein meterhohes Reiterstandbild dieses Mannes, das wohlgemerkt erst nach seinem Tode errichtet wurde, nachdem die „Kongogräuel“ schon allerorts bekannt waren, immer noch die EU-Zentrale in Brüssel verunziert, ist eine Schande. Für Belgien und die EU. Aber wahrscheinlich wollte sich Belgien bei dem Mann bedanken, der vom Erlös der geraubten Güter prachtvolle Bauten und Paläste in Brüssel errichtete, von dem es den Kongo erbte und den dann immer noch 50 Jahre lang ausrauben konnte. Und als der Konto 1960 in eine unstabile, desorientierte Unabhängigkeit entlassen wurde, hatte der belgische König Baudouin tatsächlich die Stirn, in seiner Rede vom „Segen der Zivilisation“ zu reden! Unbegreiflich, dass er das überlebt hat.

Sein Kontrahent, Patrice Lumumba, der erste Ministerpräsident Kongos, der ihn in seiner Gegenrede mit der Wirklichkeit der sogenannten Zivilisation konfrontierte, war weniger glücklich. Er wurde nur ein paar Monate später ermordet und seine Leiche in Batteriesäure aufgelöst. Mithilfe des belgischen und des amerikanischen Geheimdienstes, denen der „linke“ Lumumba ein Dorn im Auge war. Ich habe aber noch nicht gehört, dass Belgien bereit wäre, als Wiedergutmachung eine besonders hohe Quote an afrikanischen Flüchtlingen aufzunehmen. Eher das Gegenteil.

In Deutsch-Südwestafrika vertrat Generalleutnant Lothar von Trotha die Interessen seines Kaisers. Und versuchte dort gleich einmal den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts. Am Volk der Nama und Herero, hierzulande als Hottentotten bekannt. Er trieb sie in eine Trockenwüste und verjagte sie und ihr Vieh so lange von den wenigen Wasserstellen, bis sie elendiglich verdursteten. Die anderen kamen in einem von ihm errichteten KZ um. Er hatte sich allen Ernstes vorgenommen, sie auszurotten. Und nur, weil sie sich weigerten, ihn bei seinen Raubzügen zu unterstützen. Buschmänner wurden gejagt wie Kaninchen. Einfach so. als Sport. Irgendwann wurde das selbst Wilhelm II., der nicht gerade zimperlich war, zu viel und Trotha wurde abberufen. Zu spät.

Alle Kolonialherren hinterließen, als ihre Herrschaft nicht mehr länger aufrechtzuerhalten war und sie sich grollend zurückzogen, ein Chaos. Was aus diesen Ländern wurde, war ihnen herzlich egal. Sie hatten alles an Bodenschätzen und Rohstoffen herausgeholt, was sie konnten. Dann zogen sie ab und versuchten, zwischen sich und den ausgeplünderten Ländern einen willkürlichen „Wohlstands-Äquator“ zu ziehen. „Uns oben geht es gut, und denen unten geht es schlecht. So ist das halt im Leben.“ Dass das nicht ewig gut gehen konnte, war klar. Wenn der Leidsdruck zu groß wird, kommt es zur Eruption, es setzen sich Menschenmassen wie Magma in Bewegung – und sind auch nicht aufzuhalten. Auch nicht durch ungarische Stacheldrähte – eine, angesichts des Verhaltens der Nachbarn im Jahre 1956, besonders schäbige Aktion.

Es werden immer mehr werden, wenn es der Welt nicht gelingt, die Gründe für die Massenflucht zu beseitigen. Ein überaus schwieriges Unterfangen, weil so viele diametral entgegengesetzte Interessen am Werk sind. Man will dem einen nicht zu sehr schaden, weil man dann dem anderen helfen würde – was man auch nicht will. Aus diesem Teufelskreis gibt es kein Entkommen, solange sich nicht genügend Kluge, Energische, Wohlmeinende finden, denen vielleicht eine Lösung gelingt.

Und solange muss Europa die Verzweifelten aufnehmen und ihnen zumindest einen Teil der Zinsen von dem Kapital geben, das seine Großväter ihren Großvätern widerrechtlich und mit Gewalt entwendet haben. Die USA sind herzlich zur Beteiligung eingeladen. Gründe gibt es genug.

Auszug aus dem Buch Leben ohne Rezept mit Christine“, ISBN 978-3-99050-008-8, erschienen bei AMALTHEA;

Das oepb über Heinz Marecek:

Heinz Marecek (* 1945 in Wien), Max Reinhardt-Seminar Absolvent und zwischen 1971 und 1998 Ensemblemitglied des Theaters in der Josefstadt ist als Übersetzer, Regisseur und Schauspieler bei weitem mehr, als „nur“ der heutige Haubenkoch Hannes Kofler in der beliebten Fernseh-Serie „SOKO Kitzbühel“, wenngleich er diese Rolle auch wiederum bereits seit knapp 20 Jahren spielt. Und wer den Lebenslauf von Marecek kennt, der weiß, dass er dem Thema Kochen, Genuss und Essen sehr viel abgewinnen kann, und das seit frühester Kindheit. Folglich ist ihm die Rolle des Herrn Haubenkochs aus Kitzbühel förmlich auf den Leib geschrieben.

Andererseits muss man ihn einfach auch anders erlebt haben, in ernsten Charakterrollen, wie zum Beispiel in allen vier „Der Bockerer“-Ausstrahlungen, oder aber auf der Bühne, live, mit kongenialen Partnern wie etwa Erwin Steinhauer oder Karlheinz Hackl, oder eben alleine vor einem – seinem – Publikum. Marecek hat das, was für einen Schauspieler lebens- und überlebensnotwendig ist – das gewisse Etwas. Man sieht ihm staunend zu, in welcher  Rolle auch immer, erfreut sich an seinem Tun und Machen und nimmt ihm jedwede Komik und Mimik ab. Dass sie meistens lustig ist, versteht sich hier von selbst.

Über Harald Juhnke hieß es einmal, dass er, der junge Juhnke, mit so einem Gesicht nie Karriere machen wird. Dabei ist doch gerade der Anblick eines Menschen, seine Aura und Ausstrahlung genau das, was uns fasziniert und auch anzieht. Bei Marecek verhält es sich ähnlich. Einen ernsten Marecek scheint es sehr selten zu geben, denn ihn umgibt einfach eine gewisse Komik, die ihn so unverwechselbar sympathisch und liebenswert macht. Der unvergessene Ossy Kolmann beispielsweise betrat die Bühne und die Leute lachten. Marecek steht Ossy Kolmann um nichts nach. An dieser Stelle ist es schier unglaublich, dass er heuer seinen 75. Geburtstag feiern wird. Der Umkehrschluss dazu jedoch besagt auch, dass er seit Ewigkeiten für uns, sein staunendes Publikum, da ist. Und das ist auch gut so, denn Marecek gilt als absoluter Publikumsliebling.

Bitte beachten Sie auch diesen Heinz Marecek-Artikel bei uns;

 

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