Einfach mal rausgehen! Das wär´s jetzt. Den Acht- und Sechsjährigen und einen Ball unter die Arme und ab in den Park um die Ecke. Beide nonchalant ausdribbeln, weil das in dem Alter ja noch recht mühelos gelingt, und die Kugel in den imaginären Winkel zum befreienden Auswärtssieg der Bochumer hämmern. „Der VfL ist wieder da!“ – essenzielles Liedgut muss den Jungs freilich auch in Italien eingetrichtert werden.
Leider ist der Park geschlossen, und einfach so aus dem Haus darf ja niemand. Nach zwei Wochen der Präventiv-Kasernierung kann jeder in Italien die Regulierung runterbeten, wie die Weltmeisterelf von 1982. Einkaufen ja, Abendessen bei Freunden nein. Rasch Gassi gehen ist okay, eine Spritztour zum Strand verboten. Für unerlässliche Bewegungen in oder außerhalb der Stadt ist eine Erlaubnis mitzuführen. Die Polizei patrouilliert, kontrolliert und bestraft die wenigen Leute, die die Lage immer noch nicht verstanden haben. Hier im Viertel Le Cure, unweit des historischen Stadtkerns von Florenz, ist das einzige Lebenszeichen derzeit die Schlange vor dem Supermarkt.
Es gibt keine hysterischen Hamsterkäufe mehr, die Leute wissen mittlerweile, dass die Versorgung klappt. Der Gang zum Co-op (erlaubt ist nur eine Person pro Familie) liefert das desolate Bild einer Kriegszone. Noch nicht vom Tourismus infiltriert, pulsierte Le Cure täglich von den Anwohnern, manche seit etlichen Generationen: kleine Handwerkerläden, Bars, Restaurants, der Markt mit der Street Art an der Unterführung. Alles dicht und wer weiß, ob der Schuster oder Uhrmacher überhaupt wieder öffnen.
Was allerdings am allermeisten fehlt, ist das Leben der Toscana!
Das Sezieren der morgendlichen Calcio-News beim Cappuccino in der Stamm-Bar. Mauro, der mal wieder über sein Milan quengelt, Mimmo, der weiterhin standhaft behauptet, Lorenzo Insigne sei der begnadetste Kicker überhaupt, oder das regelmäßige Nachboren von Besitzer Francesco, ob Bochum jetzt endlich mal außer Abstiegsgefahr sei. Ein Eis holen mit den Kindern und auf der Piazza mit Bekannten höchst wichtige Unwichtigkeiten auszutauschen. Aber die Piazza delle Cure gähnt so ausgestorben wie der Domplatz, die Piazza della Signoria und der Eingang zu den geschlossenen Uffizien.
Im Zentrum hat zwar die Post noch geöffnet, doch wo sich sonst die Touristen und Florentiner gegenseitig die Füße malträtieren, kann man die Menschen an einer Hand abzählen.
Die Atmosphäre ist surreal. Die Leute aber murren nicht, da muss man jetzt gemeinsam durch, basta!
In Krisenzeiten sucht Italien in puncto Zusammenhalt wohl seinesgleichen. Nachbarn helfen sich per Zettelpost aus, die Fenster des Viertels sind mit Kinder-Bildern und dem Leitmotiv dieser Tage beklebt: Tutto andra bene – alles wird gut.
Mit zwei kleinen Jungs in der Wohnung, deren Energien sie fraglos für die Avengers qualifizieren, relativiert sich das Motiv oftmals. Und es stehen mindestens noch drei Wochen geschlossene Schulen bevor. Da erscheint das von der Regierung verordnete Smart Working von daheim alles andere als smart. Immerhin erklärte der Sechsjährige kürzlich, das Coronavirus sei deshalb von China nach Italien gewandert, weil hier das Wetter und die Pizza besser seien. Wäre das nun auch endlich geklärt.
Die Decke fällt nicht, längst kracht sie nach 14 Tagen Isolation auf den Kopf. Gott bewahre, das Internet bräche jetzt zusammen, doch irgendwann helfen auch Hausaufgaben per Youtube, Netflix oder Primevideo nicht mehr weiter. Eher schon eine gute Flasche Chianti. Außerdem wäre eine Zahnkontrolle mal wieder gut und eine Neuanordnung der Vinylplatten. Vielleicht sortiert nach den besten Songs Nummer drei auf der B-Seite. So viel Zeit für zu viele Gedanken.
Francesco weiß via Telefon seit vorgestern, dass der einst unabsteigbare VfL Bochum stolze vier Punkte vor Rang 17 „übercoronert“. Immer das Positive suchen: Tutto andra bene – ALLES WIRD GUT!
Quelle: B.O. / oepb / kicker
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