ZUM HEUTIGEN TODESTAG von Helmut Qualtinger; Vor 37 Jahren erfolgte sein Abgang von der Welt-Bühne und dennoch ist der Applaus für ihn nicht enden wollend. Foto: © oepb
 

Wenn ein Mensch auf die Welt kommt, ist er fertig gemacht. Später wird er dann fertiggemacht.

Ich war schon als Kind nicht sehr jung, daran hat sich bis heute nichts geändert.

Mir geht´s immer mies, ich fühl´ mich mies, vielleicht zieh´ ich einmal nach Miesbach. (Anm.: kleine Stadt in Bayern)

Wer ein schlechtes Gewissen hat, wenn er faulenzt, wird auch kein besseres haben, wenn er nicht faulenzt.

Wer Vorurteile revidieren kann, hat keine.

Der Zweck heiligt höchstens noch die Waschmittel.

Die Literaten teilt man ein in produktive Leute und Preisträger.

Vieles wird zusehends schlechter, anderes wegsehend nicht besser.

… so „Der geflügelte Qualtinger“, der es wie kaum ein anderer ernsthaft pointiert verstand, den Österreichern immer wieder den Spiegel vor die Nase und das Gesicht zu halten.

Über den Mensch und sein Wirken

Helmut Qualtinger wurde am 8. Oktober 1928 in Wien geboren. Nach der Matura studierte er vier Semester Medizin und trat daneben bereits in einem Studententheater auf. Er war auch in frühen Jahren bereits als Filmkritiker und Lokalreporter tätig. In dieser Zeit verfasste er seine ersten Kabarett-Texte und schrieb Theaterstücke. 1948 erfolgte in Graz die Uraufführung seines ersten Stückes Jugend ohne Schranken. Qualtinger bereiste Europa. 1946 begann in Carl Merz´ Der Basilisk seine Kabarett-Tätigkeit. Vier Jahre später, 1950 dann der erfolgreiche Zusammenschluss des Autorenquartetts Helmut Qualtinger, Gerhard Bronner, Michael Kehlmann und Carl Merz. Die erste Produktion davon 1951 mit dem Reigen. Gespielt wurde in einem Wiener Kellertheater in der Liliengasse in Nähe des Stephansplatzes. Das wohl berühmteste Programm jener Jahre war das Brettl vorm Kopf, aus dem unter anderem Blackout, Mikrophonische Olympiade, die Sauerbruch- und die Hitler-Operette stammten. Mit dem Programm Dachl überm Kopf wurde 1956 das erste eigene KLEINE HAUS IN DER LILIENGASSE eröffnet. Ebenso in diesem Jahr erblickte der Travnicek das heitere Licht der Welt. Es folgten die Hamlet-Parodien, die Überfahrprüfung und Die Ahndlvertilgung. Der ORF sprang auf den fahrenden Zug und übertrug zeitweilig einzelne Programme als Glasl vorm Aug. Das Duo Qualtinger/Merz schrieb in jener Zeit auch sehr viel für österreichische Tageszeitungen und für den amerikanischen Sender Rot-Weiß-Rot. 1958 entstand der erste Versuch eines Musicals, aus dem die Szene Max und Moritz stammt. Es kam das Programm Spiegl vorm Gesicht – mit dem Schreckenskabinett des Dr. Österreicher – um eines der wohl berühmtesten Programme zu nennen, das sogar den Rücktritt eines Ministers veranlasste. Mit Hackl im Kreuz – daraus der berühmte Dialog Der Menschheit Würde … – verabschiedete sich das Ensemble nach 10 Jahre Kabarett 1960 von seinem Publikum. 1961 kreierten Carl Merz und Helmut Qualtinger den Herrn Karl. Die Uraufführung erfolgte im Kleinen Theater im Wiener Konzerthaus, im Fernsehen war am 15. November 1961 die Erstausstrahlung zu erleben. Mit dem Herrn Karl spaltete Helmut Qualtinger die Nation. Die Kritik, in diesem Falle Hans Weigel, schrieb über das Stück: „Der Herr Karl wollte einem bestimmten Typus auf die Zehen treten und ein ganzes Volk schreit Au!“ Der Herr Karl wurde auch über die Landesgrenzen hinaus bekannt, Qualtinger tourte mit Gastspielreisen durch Deutschland und die Schweiz. 1963 dann das Fernsehspiel Alles gerettet. Zwei Jahre später, 1965, stieg im Wiener Volkstheater die Uraufführung des ersten abendfüllenden Stücks von Merz und Qualtinger – Die Hinrichtung. Ab dieser Zeit agierte Helmut Qualtinger hauptsächlich als Theater- und Filmschauspieler. Darüber hinaus als hervorragender Vortragender berühmter satirischer und zeitkritischer Texte.

Die Kritiker über Helmut Qualtinger

„Der Qualtinger ist einer der letzten des Alten Burgtheaters und wurde schon oft mit Raoul Aslan und Otto Tressler verglichen. Tatsächlich ist er Absolvent des Löwinger-Seminars. Irrtümlicherweise wird ihm die Schuld am Ausgang der Jalta-Konferenz zugeschoben, es handelt sich hierbei jedoch nur um eine rein äußerliche Ähnlichkeit mit dem britischen Kabarettisten Churchill. Wird von der ÖVP für einen Sozialisten, von der SPÖ für einen Kommunisten und von der KPÖ für einen Faschisten gehalten. Vorstrafen: Rufmord an den Kollegen Gerhard Bronner, Kurt Jaggberg, Georg Kreisler, Louise Martini und Carl Merz.“

Helmut Qualtinger (links) verkörperte in dem Film „Hanussen“ den SA-Führer Ernst Röhm. Rechts im Bild der Parade-Bösewicht des Films der 1960er und 1970er Jahre Klaus Kinski. Foto: © oepb

Brigitte Erbacher meinte einst über Helmut Qualtinger

Helmut Qualtinger ist einer der wenigen österreichischen Künstler, die einen international bekannten Namen haben. Er ist ein typischer Österreicher, denn er lebt in Deutschland, wo er sich auch nicht wohl fühlt. 1965 hat er in einem Interview mit dem Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ einen „Fünfjahresplan zur Vernichtung der Wiener“ aufgestellt. Er hat ihn nicht erfüllt und hätte im Zweifelsfall am Resultat auch keine Freude gehabt. Aber er zieht nach wie vor mit dem gleichen Engagement gegen die typisch österreichische Lüge zu Felde, die aus „zwanzig Wahrheiten, fünf Halbwahrheiten und fünf Lügen besteht“. Er ist einer der besten Kabarettisten, die Österreich jemals hatte, und wurde berühmt, als er das Kabarett verließ – was ihm die Wiener nie verziehen haben. Er ist ein Vollblutkomödiant und hat niemals Theaterspielen gelernt. Er hat vier Semester Medizin studiert und ist privat Experte für Literaturgeschichte mit einem „Lexikonhirn“, in dem er ständig sämtliche Namen und Daten parat hat. Er liest auf seinen Tourneen vorwiegend fremde Texte und möchte nichts lieber als selbst schreiben. Sein schauspielerisches Handwerk, das er bis zur Perfektion beherrscht, ordnet sich jeweils dem Text unter, und der Idealfall tritt ein, wenn Qualtinger Autor und Interpret zugleich ist. Seine Texte aber zielen immer auf etwas Bestimmtes, „qualtingerisch“ ausgedrückt darauf, „den Leuten ein Hackl ins Kreuz zu hauen, damit sie aufwachen.“ Und sie wachten auf, wenn seine Kabarettnummern oder die bissig-satirischen Feuilletons über „Zuständ, Leut´ und Menschen“ ins Schwarze des öffentlichen Lebens trafen und die lokalpolitische Prominenz zum Gelächter der Stadt machten – in Nummern, die zumeist mit Gerhard Bronner, Michael Kehlmann und Carl Merz so entstanden, dass jeder abwechselnd eine Zeile schrieb. Dieses Teamwork der „großen Wiener Kleinkunst“ war das ideale Kollektiv, seine Fruchtbarkeit entstammte dem unerschöpflichen, sich pausenlos gegenseitig initiierenden Ideenreichtum aller Beteiligten.

Ein Flusspferd in Chamäleongestalt

… oder aber „Ein Austrosaurier mit dem Schädel einer Williamsbirne“, so nannte ihn einmal der Münchner Kritiker George Salmony. Er ist eine beängstigende Naturgewalt, bestehend aus Widersprüchen. Dieser Koloss von Mann wird zierlich, ja anmutig, wenn er spricht. Sein Schädel, den der Bart zu einem Charakterkopf zwischen Ernest Hemingway und Orson Welles typisiert, wirkt dann schwer, melancholisch auf dem federleicht gewordenen Körper. Seine Äuglein, die zunächst gutmütig-freundlich blinzeln, die Dinge einzig von der harmlosen Seite zu sehen scheinen, können in Sekundenschnelle stahlhart, grausam oder brutal werden. Dasselbe gilt für seine Stimme: von herzig-wienerischem Geplauder, vom ölig-geschmierten Schmäh-Gerede kippt er in ein raunziges Falsett, in wehleidige, noch zurückgehaltene Bösartigkeit, oder den eiskalt-schneidenden Befehlston eines Kasernenhofes. Das Erstaunlichste aber sind seine Hände: sie wirken fast zu leicht für den massiven Körper, weiß, feindgliedrig und dünnhäutig wie die Hände eines Virtuosen sind sie der Ausdruck seiner Sensibilität, seiner Einfühlungsgabe in alles was da rund um ihn an menschlichen Ausdrucksformen existiert.

Talent, Charakterkopf, verkanntes Genie

Helmut Qualtinger trat auch immer wieder gerne als Vortragender und Vorleser vor sein staunendes Publikum. Seien es satirische Kurztexte, oder aber Chansontexte gewesen, Qualtinger wusste stets sein Publikum zu fesseln. Auch an brisante Text-Passagen wagte er sich gekonnt heran, beispielsweise las er aus Hitlers „Mein Kampf“. An diesen Vortragsabenden ging es dem Rezitator in erster Linie um die Vermittlung von politischem und zeitgeschichtlichem Verständnis, um Transparenz der österreichischen Vergangenheit und Gegenwart. Qualtinger wurde vom Kabarettvirtuosen zum Zeitkritiker als „Österreichs schlechtes Gewissen“. Er hätte es sich in dieser Rolle bequem machen können, war aber, wie alle großartigen Künstler mit dem Zug ins Geniale, von mörderischer Selbstkritik befallen und dabei auf der ständigen Flucht vor der eigenen Größe. 1968 gab er der Münchner Abendzeitung ein Interview: „Ich bin ein depressiver Mensch, aber das geht eh niemanden etwas an. Ich überspiel´ s eh … ein normaler Mensch wird doch nicht Schauspieler, Regisseur. Wichtig ist, dass man nicht steckenbleibt. Ich möchte lieber mehr schreiben und eigene Sachen spielen, wenn schon spielen…“

Ehrenhafter Trinker

Die deutsche „Bild-Zeitung“ hetzte einmal gegen ihn, dass er im Rahmen seiner Auftritte immer volltrunken sei. Worauf Helmut Qualtinger das Massenblatt frei nach dem Motto: “Morgen bin ich wieder nüchtern, aber ihr schreibts immer noch an Schas!” klagte und volltrunken zur Verhandlung erschien. Er fand es nämlich nicht unehrenhaft, dass man ihn als Trinker bezeichnet hatte, er fand es unehrenhaft, dass man Trinker für unehrenhaft hielt.

Früher Tod

Als Helmut Qualtinger im Juni 1986 mit Krampfadern im Speisenröhrenbereich in das Wiener Allgemeine Krankenhaus eingeliefert wurde und erst nach einigen Tagen tiefer Bewusstlosigkeit wieder erwachte, hatte er nur einen Wunsch, nämlich nach Hause zu seiner Frau Vera fahren zu dürfen. Bei den Dreharbeiten zu seinem letzten Film „Der Name der Rose“ traten die ersten Symptome der schweren Erkrankung auf. Qualtinger spielte darin den Pater Remigus, der auf dem Scheiterhaufen landete. Mit ihm vor der Kamera standen unter anderem Sean Connery und Fahrid Murray Abraham. Trotz aller körperlichen Probleme lernte Qualtinger in den letzten Monaten seines Lebens noch den Text für seine Traumrolle, den „Falstaff“. Immer schon wollte er diesen Charakter im Theater verkörpern. Im Dezember 1986 hätte das Stück Premiere in einer Bearbeitung von Erich Fried am Wiener Volkstheater gehabt. Helmut Qualtinger, nicht mehr gesund und vom Spitalsaufenthalt geschwächt, krempelte sein bisheriges Leben komplett um. Nach dem Textlernen für den Fallstaff unternahm er lange Spaziergänge durch die Praterauen, schwor dem Alkohol völlig ab und mied seine Stammlokale. Hin und wieder fuhr er mit der Gattin ins Burgenland und speiste dabei in Schützen am Gebirge, weil er sicher sein konnte, dort seine Ruhe vor den Schulterklopfern zu haben. In den frühen Morgenstunden des 29. September 1986 diagnostizierten die ihn behandelnden Ärzte im Wiener AKH Nierenversagen und einen totalen Kreislaufzusammenbruch. Helmut Qualtinger starb im 58. Lebensjahr stehend an Gelbsucht und den Folgen einer inneren Blutung.

Nachruf

„Meine Anteilnahme an seinem Ende ist von der Überzeugung stimuliert, dass Österreich einen Gerechten verloren hat, der immer den Mut hatte, das zu sagen, was er sich denkt.“, so der Bildhauer Alfred Hrdlicka in einem Nachruf auf Helmut Qualtinger im „Stern“. Geblieben ist die Erinnerung an einen großen geliebt-gehassten Österreicher, der diesem Land zwar verhaftet war, sich jedoch stets wie ein Fremder darin fühlte. „Eine der vitalsten und originellsten Begabungen, die in der Zeit nach 1945 dem österreichischen Kulturboden entwachsen sind. Ich bin ein Qualtinger-Fan und werde es auch bleiben.“, so Friedrich Torberg, der in Qualtinger auch den zersetzenden Patrioten sah und eine dynamische Kugel, dessen Gehirn nie zum Stillstand kam … bis eben zu jenem 29. September 1986 …

Quelle: Redaktion www.oepb.at

Back to Top