Vor einem Jahr wurden die ersten Erkrankungen mit dem COVID-19-Virus in Österreich bestätigt. Die folgende Krankheitswelle, die rasch als Pandemie eingestuft wurde, änderte rund um den Globus das öffentliche und private Leben. Schon heute ist dieser „Ausnahmezustand“ ein prägender historischer Einschnitt, den das Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ durch aktives Sammeln für die Zukunft dokumentiert. 28 ausgewählte Objekte aus dieser Sammlung präsentiert das HdGÖ ab heute in einer Web-Ausstellung. Foto: © Haus der Geschichte Österreich, Grafik: Lorenz Paulus, Fotos: Markus Guschelbauer

Die Corona-Krise hat in kurzer Zeit einige Ikonen hervorgebracht: Der „Babyelefant“, in Österreich sinnbildlich für die Abstandregeln eingesetzt, hat es in allen Formen und Farben in den öffentlichen Raum und zum „Wort des Jahres 2020“ geschafft. Klopapier wiederum wurde in vielen Industriestaaten zum Ziel von Hamsterkäufen. Das heiß begehrte Produkt ist mittlerweile auch in einer – typisch wienerischen – Schneekugel verewigt. Mund-Nasenschutz-Masken wurden schnell zum gewohnten Anblick, Exemplare aus Stoff eröffneten die Möglichkeit, sie von einer farblosen Notwendigkeit zu einem persönlichen Statement zu machen.

Es gibt lustige Gegenstände, die mit einem Augenzwinkern für das vergangene Jahr stehen. Zum Lachen gab es ansonsten aber wenig: Die Corona-Krise hat tiefe Spuren in jedem Bereich hinterlassen, sei es sozial, gesellschaftlich, wirtschaftlich oder kulturell. Wir haben diesen Ausnahmezustand von Beginn an dokumentiert und aktiv nach Objekten gesucht, um auch weniger sichtbare Geschichten der Krise zu erzählen. Eine Auswahl zeigen wir ab heute in unserer Web-Ausstellung, die einen Einblick in den Umgang mit der Pandemie in Österreich gibt.“, sagt Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ-Direktorin Monika Sommer. „Die Corona-Sammlung des hdgö ist ein Ausschnitt dieser historischen Ausnahmesituation. Die Objekte geben ein Stimmungsbild des Krisenjahres wieder, das allen viel abverlangt hat, und machen auf unterschiedliche Entwicklungen dieser zwölf Monate im österreichischen Brennglas aufmerksam.“ Die Web-Ausstellung „Ein Jahr Corona sammeln – der Ausnahmezustand in Objekten“ wurde von Laura Langeder kuratiert und ist ab heute auf der hdgö-Webseite www.hdgoe.at abrufbar.

Ein Jahr Corona sammeln – der Ausnahmezustand in Objekten 

Mitte März 2020 wurden Bilder von Schutzmasken tragenden Menschen und leeren Toilettenpapier-Regalen ikonisch für den bevorstehenden Lockdown – oder die Krise allgemein. Weniger als die dadurch entstandenen Lieferengpässe führten diese Bilder zur Wahrnehmung einer Bedrohung. Als erste Ausgangsbeschränkungen beschlossen wurden, versuchte die Landespolizei Wien auf ganz besondere Weise zu den Menschen in ihren Wohnungen vorzudringen: Durch die Lautsprecher der Polizeiwagen spielte sie Rainhard Fendrichs „I am from Austria“ – für die einen Ausdruck des Miteinanders, für andere unerwünschte Beschallung.

Das Leben im Lockdown verlagerte sich in den privaten Wohnraum. Die Rückkehr zur Häuslichkeit verdeutlichte alte Muster der Arbeitsteilung, bei denen Betreuungs- und Haushaltsarbeiten immer noch zu großen Teilen auf Frauen lastet. Schwierig war der Lockdown nicht nur für Eltern, sondern auch für Kinder, deren gewohnter Tagesablauf unterbrochen wurde und Sozialkontakte fehlten. In einem Tagebuch hielt ein Kind, das üblicherweise sozialpädagogische Betreuung erhält, die Erfahrung im Lockdown fest.

Gleichzeitig war der Rückzug ins Private für eine bestimmte Gruppe von Menschen unmöglich und für viele andere mit großen Schwierigkeiten verbunden. Wohnungslose verloren durch die Maßnahmen einen großen Teil ihrer Infrastruktur. Notschlafstätten mussten die Anzahl der verfügbaren Plätze begrenzen, der mobile Suppenbus der Caritas hatte dreimal mehr Zulauf als zu normalen Zeiten. Eine sichere Umgebung war auch vielen anderen nicht gegeben: Im Krisenjahr 2020 kam es zu einem deutlichen Anstieg der offiziellen Zahlen zu häuslicher Gewalt.

Die Pandemie führte zu einem stark eingeschränkten Reiseverkehr und schonte so die Umwelt. Daraus entstand die Hoffnung, dass die Krise zu mehr Bewusstsein für die Folgeschäden von Tourismus und Konsum in Wirtschaft und Politik führt. Doch nicht alle Teile der Gesellschaft befolgten die verhängten Einschränkungen des öffentlichen und privaten Lebens. Bereits im Mai 2020 gab es auch in Österreich erste Demonstrationen und Proteste gegen die beschlossenen Maßnahmen, vor allem gegen den Lockdown und den politischen Eingriff in das eigene Leben.

Nach einer Beruhigung im Sommer wurde angesichts der stetig steigenden Infektionszahlen im November 2020 ein weiterer Lockdown beschlossen. Als dieser endete, mussten Tourismusbetriebe, Gastronomie und Handel geschlossen bleiben, während die Skipisten öffneten. Obwohl die Ausbreitung des Virus ursprünglich durch Wintertourismus in Österreich verstärkt worden war, stürmten die Menschen auch im fortgesetzten Lockdown die Pisten. Das Jahresende stand ganz unter dem Hoffnungsschimmer einer baldigen flächendeckenden Impfung. Trotz vieler Schwierigkeiten werden seit Anfang Jänner Impfungen in Österreich durchgeführt. Die Hoffnung auf eine Rückkehr zur Normalität und Wiedergewinnung der Mobilität durch eine erhaltene Impfung ist hoch. Das Jahr 2021 könnte damit erneut einen zentralen Wendepunkt in der österreichischen Geschichte darstellen. Direktorin Monika Sommer: „Drei Aspekte lassen sich vor dem Hintergrund der historischen Erfahrungen mit Pandemien jedenfalls mit Sicherheit sagen: 1) Pandemien beflügeln Verschwörungstheorien, aber auch Kreativität. 2) Sie verstärken gesellschaftliche Ungleichheiten und 3) sie gehen vorbei – wir wissen nur noch nicht, wann.

Corona sammeln – ein Krisenjahr in Objekten

Quelle: Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ

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Das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ)  

Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das hdgö in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung. Viele Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.

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