Ein kleiner oberösterreichischer Ort, weltweit bekannt; Dank des sprechenden Namens Fucking erlebte die Gemeinde Tarsdorf im Bezirk Braunau am Inn hautnah mit, wie das digitale „Global Village“ tickt. Grenzenloses Internet: Reichweitenstarke Social-Media-Plattformen und nach Aufmerksamkeit heischende InfluencerInnen kannten keinen Respekt vor der Privatsphäre. Bis die Gemeinde selbst Einhalt gebot und den Ort 2021 in Fugging umbenannte. Die Gemeinde schenkte eine der letzten Ortstafeln dem Haus der Geschichte Österreich. Ab sofort ist diese im HdGÖ-Museum zu sehen.
Selfies, YouTube-Videos und unfreiwilliges Marketing-Motiv: Fucking in der oberösterreichischen Gemeinde Tarsdorf hatte sich mit den Jahren an die humoristische Darstellung seines Ortsnamens gewöhnt. Er diente als Vorlage für Bücher und Filme. Eine britische Fernsehsendung kürte das an sich ruhevolle Örtchen als „must see“ auf einer Tour durch Europa. Die steigende Bekanntheit des Dorfes sorgte für Social Media-Tourismus und immer stärkere Eingriffe in die Privatsphäre der BewohnerInnen. Auf Instagram sammelte sich unter dem Hashtag „#fuckingaustria“ eine immer größer werdende Anzahl vermeintlich lustiger Fotografien an der Ortstafel, die auch ein beliebtes Ziel für Diebstähle wurde. Maßnahmen wie Anschweißen und Verankern brachten keine Abhilfe. Schließlich zog die Gemeinde einen Schlussstrich unter dem großen Online-Spaß: 2021 kehrte der Ort zu einer älteren Schreibweise zurück und heißt seitdem Fugging.
Eines der letzten Exemplare der begehrten Schilder kommt jetzt ins Museum: Die Gemeinde schenkte dem Haus der Geschichte Österreich (hdgö) ein „Fucking“-Ortsende-Schild. Ab nun ist es in der Hauptausstellung des Zeitgeschichte-Museums zu sehen. Andrea Holzner, Bürgermeisterin der Gemeinde Tarsdorf, erzählt: „Lange Zeit hat uns der Trubel um den Ortsnamen nicht beeindruckt. Mit der steigenden Beliebtheit von Social Media-Kanälen und der Jagd von BloggerInnen nach dem besten Video, dem lustigsten Foto kam es in den letzten Jahren aber laufend zu massiven Verletzungen der Privatsphäre unserer Einheimischen. Um die Menschen vor diesen Übergriffen zu schützen, haben wir als Gemeinde die Notbremse gezogen. Seit unserem Namenswechsel ist Ruhe eingekehrt und die Lebensqualität wieder dort, wo sie hingehört. Die Umbenennung war also vielleicht ein ungewöhnlicher, aber wirkungsvoller Schritt.“
„Mit dieser Ortstafel kommt ein sehr aktuelles Stück Geschichte ins Museum. Sie zeigt bildlich, wie Social Media-Kanäle Aufmerksamkeit zur neuen Währung gemacht haben. Menschen bekommen durch die Plattformen plötzlich die Chance, jederzeit für Hunderttausende sichtbar zu werden. Selfies und Videos ermöglichen, den Traum der eigenen Berühmtheit zu verwirklichen. Auf der Kehrseite der Medaille steht, dass man jederzeit öffentlich erniedrigt oder lächerlich gemacht werden kann, auch als Unbeteiligte/r. Die neue Freiheit der Bilder stellt daher Aufgaben für eine demokratische Gesellschaft.“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer.
Wenn der Online-Hype zur Bürde wird
Die Geschichte des oberösterreichischen Ortes ist eng an den fortschreitenden Erfolg der Social Media gekoppelt. Was zunächst mit harmlosen Fotografien begann, entwickelte sich im Laufe der Jahre immer mehr zur Bürde. Die Grenzen der Privatsphäre wurden in Fucking zunehmend missachtet. Im Jahr 2020 spazierte etwa ein dänischer Blogger in Unterwäsche durch die Gärten der Ortschaft und posierte dabei in obszönen Posen. BewohnerInnen wurden dabei ungefragt gefilmt, Beschwerden ins Lächerliche gezogen, Jugendliche und Frauen sahen sich mit belästigenden Fragen und Aussagen konfrontiert. Das Eindringen des Bloggers in den Schulgarten veranlasste in Folge auch die Direktorin, sich für eine Umbenennung einzusetzen. Vorfälle wie dieser trieben die Gemeinde letztlich zur Entscheidung, den Ortsnamen zu ändern. Nicht alle Seiten begrüßten diesen Schritt: Junge GemeindebürgerInnen starteten die Petition „Make Fucking Great Again“, um die Umbenennung rückgängig zu machen.
Die Freiheit der Bilder – und ihre Schattenseite
Social Media haben den Zugang zu Bildern revolutioniert. Millionen Menschen können frei auf ein Foto oder Video zugreifen, das jemand postet. Einerseits entsteht dadurch gesellschaftskritisches Potential: etwa, wenn Mächtige aufs Korn genommen werden. Es kommen jedoch auch Privatpersonen ins Fadenkreuz, die für Inszenierungen missbraucht werden und gegen die Verwendung dieser Bilder nahezu machtlos sind. Dazu gehören auch satirische Videos von Privaten, deren Witz dadurch entsteht, Menschen vorzuführen. Angesichts der großen Resonanz, die solche Bilder bekommen, stehen Social Media immer wieder pauschal in der Kritik.
Letztlich sind aber auch hier Menschen für die Kontrolle der Bilder zuständig. Diese Verantwortung gilt es wahrzunehmen: Wie können Gesellschaften die Rechte von Menschen stärken, ohne dass damit Zensur zunimmt oder wichtige Informationen unterdrückt werden? Was ist die Balance zwischen einer transparenten Gesellschaft und dem Recht der Einzelnen auf Privatsphäre in einer Demokratie? „Das sind brisante Fragen, über die wir als Gesellschaft intensiv diskutieren sollten. Als Zeitgeschichtemuseum wollen wir aktiv das Bewusstsein für dieses hochaktuelle Thema schärfen, zum kritischen Hinterfragen einladen und zum Nachdenken anregen. Dafür steht – mit etwas Augenzwinkern – symbolisch das Ortsschild von Fucking, das ab sofort im Haus der Geschichte Österreich zu sehen ist. Selfies sind erlaubt, Diskussionen ausdrücklich erwünscht“, sagt Direktorin Monika Sommer.
Quelle: hdgö
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Das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ)
Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das HdGÖ in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung. Viele Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.