Knapp 5 Monate ist er nun schon alt, unser Tom! Erst vor kurzem krabbelte er auf dem Boden und zu meinen Füßen vor mir herum. Ich hob ihn auf und befestigte ihn auf seinem Stühlchen. Große, dunkle und neugierige Augen sahen mir dabei zu. „Sohn“, begann ich meine Laudatio, „ich habe mich stets von drei Regeln des Lebens begleiten lassen: Tanze nie mit Deiner Mutter auf einem Abschlussball, trinke keinen Wein und glaube nicht jeden Artikel, den Du vom FK Austria Wien – teilweise unaufgefordert – vorgesetzt bekommst. Hältst auch Du Dich daran, dann wird alles gut.“
Die Mutter von Tom stürzt in den Raum: „Du verplemperst Deine Zeit. Merkst Du nicht, dass er eingeschlafen ist?“ „Okay – ich habe Zeit und kann gerne warten!“
Am Nachmittag schien mir die Gelegenheit günstig, also versuchte ich es erneut. Leise flüsterte ich Tom in eines seiner kleinen Öhrchen: „FAK-Kicker sind immer zu langsam, flanken pausenlos hinter das Tor und gewinnen nie. Fange früh an, Dich daran zu gewöhnen, dann ist es hinterher nur mehr halb so schlimm.“
„Was machst Du Götter-Vater eigentlich, sollte sich Dein Sohn dereinst nicht für Fußball interessieren?“, zischt die Frau Mama in ihrer so herrlichen spitzbübischen und mir lieb gewordenen Art und Weise dazwischen. Um gleich darauf fortzufahren: „Was geschieht beispielsweise, wenn Tom viel lieber Mehlspeisen zaubert?“
S. ist eine tolerante Mutter … und meinereiner ein toleranter Vater. Mein Sohn kann natürlich machen was er will, später, solange er sich für den Fußballsport begeistert und solange er Anhänger des FK Austria Wien wird. Und es auch bleibt. Und außerdem kenne ich maximal fünf nette und unterhaltsame Persönlichkeiten, die sich nicht in irgendeiner Art und Weise für den Fußballsport interessieren. Okay, wohl eher deren bloß drei. Und einer von denen ist voriges Jahr unbekannt verzogen.
Außerdem stöhnt Tom nach seinen Mahlzeiten gekonnt wie einst das österreichische Tennis-As Thomas Muster beim Aufschlag, trägt seine Frisur schick gekämmt wie der englische Premierminister Boris Johnson, verfügt bereits heute über einen Wortschatz, wie ihn Fußballer wohl erst mit 18, 19 Jahren vortragen und kann spucken, wie Frank Rijkaard 1990 auf Rudi Völler. Nein, es bleibt gar keine Wahl, Tom wird Hochleistungssportler. Und überhaupt, Mehlspeisen zubereiten ist doch viel zu gefährlich – und das nicht nur für die Figur.
In all diese Gedankensprünge hinein übersehe ich ganz und gar, dass Tom sich langsam aber sicher am Wohnzimmertisch hochzieht und sich dabei geschickt wie ein Boxer vor dem drohen K.O. nochmals aufrichtet. Wackelig steht er auf seinen strammen Beinchen da, das Gesicht freudestrahlend, bevor er scheitert, ja quasi scheitern muss. Im unmittelbar darauf folgenden Hinfallen kickt er gekonnt und beinahe in Silvio Piola „Fallrückzieher“-Manier seinen kleinen Teddybären, ausgestattet mit einem violett-weißen Schal, „ins lange Eck“ unter die Wohnzimmer-Vitrine.
Stille. Im ganzen Raum!
Dann urplötzlich und wie Schuppen von den Augen fallend die helle Erleuchtung – bei Wohnzimmerbeleuchtung anstatt eines Flutlichts an einem Freitag Abendspiel. Mein Sohn hat gerade eben seinen allerersten Volltreffer gelandet.
„TOOOR!“, brülle ich. Und bevor Tom noch ob des Hinfall-Schreckens fürchterlich zu Weinen anfängt, begreift er instinktiv, was ihm gerade widerfahren war. Seine ansetzenden Tränen sind futsch und ein gekonnt aufgesetztes freches Grinsen macht sich in seinem kugelrunden Gesichterl breit.
„Um Himmels Willen, was ist denn hier los!“, saust beängstigt und laut rufend die Frau Mutter bei der Tür herein. „Mein Sohn hat soeben sein erstes Tor geschossen!“, erwidere ich freudestrahlend. „Ein Piola Seitfallzieher wie aus dem Lehrbuch!“, sprudelt es aus mir heraus. „Wohl aus dem Leerbuch!“, entgegnete sie. Nahm den kleinen violetten Flügelflitzer in spe auf und fort war er – mit ihr. „Väter…“, matschkerte sie noch beim Abgehen.
Ich rief Tom hinterher. „Bravo mein Sohn, nur weiter so, und hüte Dich vor all den grünen Rattenfängern aus der Vorstadt!“ Dann war er weg.
„Mütter … ach wie versteht Ihr doch wenig!“
Quelle: oepb