Er kreuzte bereits sehr oft unseren Weg und begeisterte uns dabei immer wieder mit seinen zahlreichen Gesichtern, Gesten und Geschichten. Ist es nicht das, was einen guten Schauspieler ausmacht – in jeder Rolle, die man verkörpert, einfach nur den Versuch zu starten zu brillieren? Man „kennt“ ihn schon lange. Als Schauspieler. Sei es auf der Bühne oder aber im TV, er ist seit Jahrzehnten präsent. Gewiss, Erwin Steinhauer hat was. Das gewisse Etwas, eine Aura und eine Strahlkraft, die ihn umgibt, die er aber auch in jeder seiner unzähligen Rollen und Gesichter immer wieder an uns, sein staunendes Publikum und seine Bewunderer zurückgeben kann. Und sind wir uns doch ehrlich, ein Film oder ein Theaterstück wird im Vorfeld doch erst dann so richtig interessant, wenn man weiß, wer aller mitwirkt. Man studiert die Schauspielerliste und ist darüber hocherfreut, bekannte Namen zu entdecken. Diese Beliebtheit beim Publikum ist allerdings auch harte Arbeit, die nicht etwa von heute auf morgen gelingen kann. Ein Knochenjob eben, auf der Bühne und vor der Kamera.
Und gerade hier sei Kritik angebracht! Es ist nämlich zur immer wiederkehrenden Beliebtheit geworden, sich als Kabarettist und Schauspieler im Rahmen von Interviews hinzustellen und zu sagen: „Ich kann nichts anderes!“, oder aber „Ich habe nichts Gescheites gelernt, ergo bin ich „nur“ Schauspieler geworden!“ Der Schauspielberuf genießt ohnehin den Ruf, oftmals zur brotlosen Kunst zu avancieren. Es ist daher auch nicht weiter verwunderlich, wenn viele Akteure schwere Lebenskrisen durchwandern, ob denn die Gage zum „Über“Leben reicht und ob man beim Publikum überhaupt noch ankommt. Dies alles zu meistern, die Batterien jeden Tag aufs Neue zu laden, Texte und Mimik einzustudieren und sich immer wieder hinzustellen und zu „schauspielern“, dies ist sehr wohl harte Arbeit und ein bisserl mehr als „etwas Gescheites“. Wir lehnen uns am Abend zurück, genießen einen Krimi oder ein gutes TV-Stück und hin und wieder verschlägt es uns ins Theater und / oder ins Kabarett. Und dann sind eben sie da, die Schauspieler, die uns frei nach Fritz Eckhardt, „Ein Schauspieler muss alles können“ immer wieder unterhalten. Wir lassen uns berieseln, erfreuen uns an dem Dargebotenen und vergessen dabei einen stressigen Arbeitsalltag. Und wenn es den Akteuren gelingt, dass wir dabei völlig abschalten und uns rein auf die Sache konzentrieren und unsere Umwelt komplett ausblenden, dann haben sie, die Schauspieler, wahrhaft Großartiges geleistet.
Nun feiert Erwin Steinhauer Geburtstag, einen Runden, einen schönen Runden sogar. Ihm selbst sei das alles unangenehm. Bescheiden möchte er bleiben. Dagegen ist an sich auch nichts zu sagen, bloß wenn man auf eine jahrzehntelange aktive Karriere zurückblicken kann, in der man viel erlebt, viel gespielt und noch viel mehr Menschen ob des Dargebotenen erfreuen konnte, dann sollte dies alles hier auch nicht unerwähnt bleiben;
Geboren und aufgewachsen in Wien
Die Familie stammte ursprünglich aus dem Weinviertel. In Ernstbrunn betrieben die Steinhauers bis zum Ende des „Großen Krieges“ eine Huf- und Wagenschmiede. Die Familie der Mutter, Maria Freitag, führte eine kleine Landwirtschaft. Der Großvater Franz Freitag war in einem nahegelegenen Ziegelwerk beschäftigt. Maria Freitag und Wolfgang Steinhauer lernten sich im Ernstbrunner Bad kurz nach 1945 kennen, vier Jahre später erfolgte die Hochzeit. Der Gatte überredete seine junge Frau mit ihm und den Eltern nach Wien zu übersiedeln. In Wien-Alsergrund bezog die Familie eine größere Wohnung. Mutter Maria war kaufmännische Angestellte, Vater Wolfgang, wie schon sein Vater Franz, ein Beamter der Wiener Berufsfeuerwehr am Hof. Zwei Jahre nach dem Umzug aus dem Weinviertel nach Wien kam am 19. September 1951 Junior Erwin im Döblinger Frauenhospiz zur Welt. Die Eltern versuchten einen bescheidenen Wohlstand zu erarbeiten, für die Großeltern väterlicherseits, Emmi und Franz, aber wurde der kleine Erwin zum Lebensmittelpunkt, dem jeder Wunsch von den Augen abgelesen wurde. Sie begleiteten die ersten Kindertage mit Weisheit und großer menschlicher Wärme. Die frühen Kindheitserinnerungen sind nur von Emmi und Oschl geprägt! An den Wochenenden wurden die Ernstbrunner Großeltern, Auguste und Franz Freitag, besucht, die Freizeit in den nahen Wäldern, im Bründl, im Steinbruch und mit den Kindern des Ziegelofens verbracht. Das Wiener Familienleben, der Alltag, war geprägt von der „Emmi“. Sie war ein uneheliches Kind einer einer jüdisch-katholischen Liebe im ausklingenden 19. Jahrhundert, als das „Lichtenthal“ in Wien IX noch ein Vergnügungsbezirk war, aufgewachsen mit drei Geschwistern in der Marktgasse, war sie eine kleine, energiegeladene, warmherzige Persönlichkeit. In den 1950er und 1960er Jahren geht man nicht fehl, sie als das wahre Familienoberhaupt zu bezeichnen, die alle wichtigen Entscheidungen der Familie traf! Der kleine Erwin musste in die Lichtentaler Pfarre zu den 14 Nothelfern ministrieren gehen, wurde ab dem 6. Lebensjahr in die Volksschule der Schulbrüder in die Schopenhauerstrasse und danach ins Gymnasium der Marianisten in der Semperstrasse eingeschrieben. In diesen katholischen Privatschulen lernte Erwin das Gegenteil von häuslicher Geborgenheit kennen. Die geforderten christlichen Tugenden, Ehrlichkeit und Nächstenliebe waren mehr Theorie denn Praxis. Ein Großteil des erzkatholischen Lehrkörpers hatte seine soziale Prägephase in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs erlebt: „Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne.“ Zucht, Züchtigung, Strafe, Buße, Beten. Erziehung! Die „Emmi“ hat es nicht mehr miterlebt, dass der Ungeist dieser Schulen der Humus war für einen kritischen Widerspruchsgeist!
Im Wien der 1960er Jahre
Ab den späten 1950er Jahren verbrachte Erwin beinahe seine gesamte Freizeit mit der Pfarrjugend. Ausflüge, Spielnachmittage, Tischtennis, die ersten Jazzmessen in der Lichtentaler Kirche, Gitarre und Gesang, das erste Publikum! Diese für ihn wunderschöne Zeit ermöglichte Kaplan Ludwig Zack, ein charismatischer Priester, eine außerordentliche Persönlichkeit und der Schwarm aller Mädchen. Mitte der 1960er wurde die Pfarrjugend mit dem Kolpinghaus in der Althanstrasse zusammengelegt. Bei einem 17 Uhr-Kränzchen, so hieß das damals, oder 5 Uhr Tee mit Tanz im Kolpinghaus, verliebte sich Erwin in Eva, die ihm 12 Jahre später zwei Kinder schenken sollte, Iris und Matthias. Theater gespielt wurde auch. Erwin Steinhauer inszenierte mit seinem Freund Anton Stengeli „In Ewigkeit Amen“ von Anton Wildgans. Der Toni war für ihn auch der erste Doppelconferencepartner, wenn man auf Festen oder Ausflügen alte Karl Farkas Nummern zum Besten gab. Schulisch war für ihn das Leben schon härter. Erwin wurde 1965 von den Marianisten am Ende der Unterstufe der Schule verwiesen und im 2. BG. II in der Vereinsgasse in Wien Leopoldstadt aufgenommen. Für ihn die erste öffentliche Schule. Nur ein Jahr später übersiedelte die Oberstufe in ein neues Gebäude in die Wohlmuthstrasse, ins damals schon berüchtigte Stuwerviertel, unweit des Wiener Praters und seiner unzähligen Spielhallen. Erwin oder „der Sohn des Feuerwehrhauptmanns“, wie er gerne vom Direktor Hofrat Vecer tituliert wurde, war ein fauler Schüler, der den Gipfel des Nichtstuns in der 6. Klasse im 2. Trimester mit acht negativen Noten erreicht hatte. Trotzdem schaffte er die Matura im Frühjahr des Jahres 1969. Nach dem Rausschmiss aus der Schule der Marianisten 1965, nahm Erwins Vater Wolfgang die Menschwerdung seines Sohnes in seine Hände. Die beiden waren 24 Jahre auseinander, Erwin 14, sein Vater Wolfgang 38! Eine innige Lebensfreundschaft begann. Wolfgang führte ein Doppelleben. Im Brotberuf bei der MA 68, der Wiener Berufsfeuerwehr, nach Neigung, Talent und in der Freizeit Schüler bei Prof. Josef Dobrowsky an der Akademie der bildenden Künste. Er malte ein Leben lang. In Öl und Aquarelle. Wolfgang Steinhauer wurde von der Feuerwehr ein Atelier in einer Dachwohnung am Tiefen Graben zur Verfügung gestellt. Ende der 1950er Jahre entstanden die ersten Portraits von Erwin, Modellsitzen für einen 10jährigen … eine Qual! In diesen wertvollen Jahren des Gesprächs mit dem Vater in den 1960ern wurden die ersten wichtigen Fragen beantwortet. 1934er Jahr, Schutzbund, Großvater eingesperrt, Austrofaschismus, Nazizeit, Zweiter Weltkrieg, Judentum, Urgroßvater aus Theresienstadt befreit. Viel für einen 14-jährigen. Erwins Wunsch nach der Matura das Reinhardt-Seminar besuchen zu dürfen, um Schauspieler zu werden, konnte der Vater nicht entsprechen. Er verlangte von seinem Sohn ein bürgerliches Studium, Jus oder ähnliches! Es wurde Germanistik und Geschichte. Ein Lehramts- und Doktoratsstudium, das nach 5 Jahren ohne Abschluss abgebrochen wurde.
Kolmann versus Steinhauer
Der Traum von der Schauspielerei schien ausgeträumt. Der Vater verlangte ein bürgerliches Studium. „Studiere irgendwas, ich zahl dir nachher jede künstlerische Ausbildung!“ Die Schauspielausbildung sollte den Umweg über ein Jusstudium, oder etwas dergleichen gehen? Was folgte waren schier endlose Diskussionen: „Zieh aus, geh zum Zirkus, viele haben beim Zirkus begonnen!“ Noch war Erwins Berufswunsch nicht so stark ausgeprägt, wie die Bereitschaft auf die Annehmlichkeiten eines gewohnten familiären Umfelds zu verzichten. Erwin studierte, widerwillig, aber er studierte. Zuerst die Mensen des Hauptgebäudes, dann die Mensa im NIG, im Neuen Institusgebäude, dann die Studentenbeisln rund um die Universität, dann in letzter Konsequenz Geschichte und Germanistik. Die ersten Vorlesungen, Proseminare und Seminare zogen sich drei Jahre lang hin. Der Herr Papa war leicht nervös, die Zeit wurde knapp, das Studium frustrierend. Erwin traf auf Erich Demmer. Ursprünglich Student der Psychologie, der gerade zur Germanistik gewechselt hatte, Folk- und Protestliedsänger, voller Ideen, Engagement und politisch ähnlich interessiert. Erwin erhielt von Prof. Erich Zöllner sein Dissertationsthema: „Gotthard Freiherr von Buschmann“, saß ab 1974 nur mehr in verstaubten Archiven herum und war froh, als Erich Demmer ihm den Vorschlag unterbreitete, den Sommer mit ihm zu verbringen. Und so saßen die beiden 1974 drei Monate im Garten des Heurigen Pichler-Haunold in Neustift und verfassten Szenen, Monologe, Conferencen, Texte, Lieder und Blackouts. Noch war ihnen nicht klar, wohin diese Arbeiten führen sollten. Es gab weder eine Idee der Realisation noch einen Spielort oder vielleicht sogar einen Auftraggeber. Nachdem sie ein Konvolut von drei Stunden Spiel- oder Lesedauer erarbeitet hatten, wandten sie sich an Wolfgang A. Teuschl, der mit seinem Wiener Evangelium „Da Jesus und seine Hawara“ einen Klassiker, der dem Wiener Dialekt verpflichteten Literatur und einen Bestseller geschrieben hatte und luden ihn zur Mitarbeit ein. Die drei Autoren gründeten die Kabarettgruppe „Keif“, Alfred Rubatschek, ein Mitglied der „Schmetterlinge“ und Erich Bernhard, ein Wiener Dialektsänger, schlossen sich der Truppe an. Am 27. Oktober 1974 debütierte dieses neue Kabarettensemble im Folkclub „Atlantis“ in der Operngasse, 1040 Wien mit dem Programm „Habt acht Gebote!“ Von der Presse gefeiert und vom Publikum gestürmt sollte von da an der Weg des Schauspielers Erwin Steinhauer beginnen. Vater Wolfgang war über diese Entscheidung natürlich „not amused“ und gab dem Sohn einen letzten Ratschlag mit für seinen Weg: „Erschl, wenn du mit 32 Jahren nicht so berühmt bist wie der Ossy Kolmann, dann lass es!“
Ein Schauspieler geht seinen Weg
Musical im Theater an der Wien, Kabarett Simpl, den letzten schauspielerischen Schliff am Düsseldorfer Kommödchen von Lore Lorentz erhalten, 1980 zurück in Wien, erneut „im Keller“ bei Stella Kadmon und Emmy Werner im Theater der Courage. Mit gut 30 Jahren 1982 am Wiener Burgtheater engagiert und Soloprogramme mit Arthur Lauber abgehalten. Es folgte das Theater in der Josefstadt als Duo-Partner von Otto Schenk, sowie die Salzburger Festspiele. Dabei so wunderbare Verkörperungen wie „Der Bockerer“, der „Herr Karl“ oder aber auch 2014 als „Stimme“ in Die letzten Tage der Menschheit von Karl Kraus. Einem großen Fernsehpublikum ist Erwin Steinhauer seit 1984/85 überaus gut bekannt, als er in „Der Sonne entgegen“ als „Wickerl Hawradil“, ein Wiener Cafetier, dem die Schutzgeldmafia im Nacken sitzt, die geliebte Heimat Wiener Stadt bei Nacht und Nebel verlässt, um im sonnigen Jugoslawien unterzutauchen. Bis heute ist der Jubilar immer wieder im Fernsehen zu bewundern. Aktuell als absolut authentischer „Polizei-Hofrat der alten Schule“ in „Die Toten von Salzburg“, oder aber in älteren und immer wieder gerne gesehenen Serienstreifen wie „Trautmann“, „Polt“, „Brüder“, „Der Salzbaron“, „Freundschaft“
oder aber auch in den „Single Bells“ und „O Palmenbaum“-Weihnachtsklassikern. Ganz ausgezeichnet war auch seine Schauspielkunst im Kabarettprogramm „Was lachen Sie?“ mit Heinz Marecek um die Jahrtausendwende. Leider währte diese Zusammenarbeit nur kurz und beide Größen österreichischer Schauspielkunst, Heinz Marecek und Erwin Steinhauer, entschieden sich wieder für Soloprogramme und andere Bühnen-Partner.
Die Karriere des Erwin Steinhauer währt bereits sehr lange und wir, sein dankbares Publikum, entdecken an ihm, dem absoluten Schauspiel-Protagonisten, immer wieder neue Gesichter. Es bereitet große Freude, Steinhauer bei der Arbeit beobachten zu können. Und das soll für ihn auch weiterhin Ansporn sein, die Gewissheit zu haben, dass wir, sein Publikum, nach wie vor an seinen Lippen hängen. „Ein Schauspieler muss alles können!“ – auf den 70-jährigen Geburtstags-Jubilar Erwin Steinhauer trifft dies voll und ganz zu.
Quelle: Redaktion www.oepb.at