Ernst Ogris (hier im Bild im Jahre 1985 als 17-jähriger Jung-Austrianer am WAC-Platz in der Rustenschacherallee im Prater) saß tiefenentspannt im September 1993 ORF-Moderator Wolfgang Koczi am Großen Wannsee gegenüber und erzählte seinem eigens aus Wien angereisten Fernseh-Vis-à-vis pointiert plaudernd und in gemütlicher Altweibersommer-Atmosphäre von seiner abenteuerlichen Anreise aus Floridsdorf kommend über Prag mit dem Motorrad herauf bis nach Berlin. Nach einer 28-jährigen Teilung der Stadt – der „Spatenstich“ für den späteren Mauerbau erfolgte im August 1961 – fiel die „Berliner Mauer“ am 9. November 1989 in sich zusammen und Berlin galt seit 3. Oktober 1990 wieder als vereinte deutsche Bundes-Hauptstadt. Zuvor war dies Bonn auf Seiten der BRD gewesen, die DDR wies Ost-Berlin als Hauptstadt auf.
Ganz Berlin träumt von Liga 1
Hertha BSC Berlin, die „große, alte Dame“ im Deutschen Klubfußball, verstand es seit jeher gekonnt und geschickt, die sich ihr immer wieder bietende Gunst der Stunde für sich selbst nicht zu nützen. So war es auch beim Fall der Mauer. Die zahlreichen Talente aus der ehemaligen DDR und dem Ostteil der Stadt strömten überall hin, nur eben nicht zur Hertha. Berlin war im Sommer 1993 auch nicht im Oberhaus vertreten – und doch in aller Munde, sorgten doch die „Hertha-Bubis“ anlässlich des DFB-Pokalendspieles 1993, das seit 1985 ununterbrochen im Berliner Olympiastadion steigt, für Aufsehen, boten die Amateure der Hertha doch den Profis von Bayer 04 Leverkusen einen heroischen Cup-Fight und verloren das Endspiel lediglich mit 0 : 1. Die 1. Deutsche Bundesliga machte 1993/94 also nicht in Berlin, wohl aber bei Dynamo Dresden und dem VfB Leipzig (kein Vorgänger-Verein des heutigen Red Bull-Projekts) im Osten, sowie sogar bei der SG Wattenscheid 09 – einem Stadtteil-Verein aus Bochum – Station, nicht aber in der 3,5 Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt-Metropole. In Berlin ritterte die Hertha dafür mit Tennis Borussia Berlin in der 2. Deutschen Bundesliga um die Vorherrschaft in der Stadt, während dessen der 1. FC Union Berlin in der Oberliga Nordost, der dritten Leistungsstufe, um den Aufstieg mitspielte.
Dass die Hertha nach 1990/91 wieder in die Bundesliga kommt, dafür kaufte man im Sommer 1993 ein. Coach Günter Sebert, der sich im September des gleichen Jahres für eine Verpflichtung des Österreichers Ernst Ogris stark machte, forcierte auch das Engagement von Claus-Dieter Wollitz. Und als Trikot-Sponsor trat „ABS“ auf, was aber weniger mit dem Antiblockiersystem zu tun hatte, sondern vielmehr für „Abfall, Boden, Schutt“ als Recycling-Firma in der Stadt Berlin stand. Und als mit Mike Lünsmann und Sven Demandt zwei Stamm-Stürmer der Hertha verletzungsbedingt ausfielen, schlug für den „kleinen“ Ogris aus Wien die große Stunde in Berlin. Für 180.000 Mark (ca. € 91.500,-) Leihgebühr von Admira/Wacker verpflichtet, traf Ernst Ogris im Derby gegen TB Berlin am Sonntag, 3. Oktober 1993 und somit zum 3. Geburtstag der noch „jungen Hauptstadt Berlin“, wenn man so will, zum spielentscheidenden 3 : 0. Knapp 20.000 Zuschauer waren vom „kleinen und goscherten“ Wiener hellauf begeistert. Doch die Hertha kam nicht auf Touren. Auf Günter Sebert folgte Ende Oktober Trainer Uwe Reinders. Und die Hertha taumelte bis ans Tabellenende. Man teilte sich in der Hauptstadt die „Rote Laterne“ redlich mit Tennis Borussia. Im Frühjahr lief es für Ernst Ogris und die Blau-Weißen besser, am Ende der Saison 1993/94 stand der elfte von 20 Plätzen zu Buche, während TB Berlin absteigen musste. Die Schlagzeilen in jener Saison 1993/94 gehörten übrigens einem anderen Floridsdorfer. Peter Pacult schlug beim TSV 1860 München voll ein und sorgte mit 18 Toren dafür, dass die „Löwen“ nach einer 12-jährigen Abstinenz wieder ins Oberhaus aufsteigen konnten. Im Jahr darauf, Karsten Heine sollte als Trainer in Berlin erneut den Angriff auf die Aufstiegsplätze angehen, hatte der „IIer Ogerl“ genug, noch während der Herbstsaison 1994 zog es ihn nach Wien und zu Admira/Wacker – ob mit oder ohne Motorrad – zurück. In Summe dauerte das Engagement bei Hertha BSC Berlin für Ernst Ogris 29 Spiele in der 2. Deutschen Bundesliga an, in denen ihm sieben Volltreffer gelungen waren. Und für die Hertha dauerte es noch bis 1997, ehe man endlich wieder zurück im Oberhaus war.
Vom Austria-Nachwuchs nach oben
Ernst Ogris (* 1967), optisch seinem um drei Jahre älteren Bruder Andreas (* 1964) sehr ähnlich, agierte als Fußballer ebenso erfolgreich wie der „Andi“. Über den Nachwuchs beim FK Austria Wien, mit dem er 1984/85 und 1986/87 österreichischer Fußballmeister im Unter 21-Bewerb geworden war, wurde er Zug um Zug an die violette Kampfmannschaft herangeführt. Und ab Sommer 1987 gehörte der „kleine“ Ogris auch zum Stamm des FAK. Violette Fußball-Freunde freuten sich, denn zwei „Raketen“ im Sturm beim eigenen Lieblingsverein, herrlich, was will das Fußballer-Herz mehr. Andi galt als „Turbo“, der Ernstl als „Dynamo“. Der kleine „Ogerl“ hatte den Ruf einer Arbeitsbiene. Pfiff der Schiedsrichter an, lief er binnen kürzester Zeit zur Höchstform auf. Diese Betriebstemperatur kühlte erst mit dem Schlusspfiff des Mannes in Schwarz wieder ab. Und der Ernstl wusste nicht nur die gegnerische Abwehr gehörig durcheinanderzuwirbeln, er war als „beidbeiniger“ Stürmer auch immens torgefährlich. Beim 2 : 1-Erfolg im „kleinen“ Unter 21-Derby über den SK Rapid Wien im Herbst 1985 erzielte er beide Treffer für die Austria. Am 29. August 1987 dann das Oberhaus-Debüt. Beim 1 : 1 gegen den Wiener Sport-Club kam Ernst Ogris in der 63. Minute für Alfred Drabits ins Spiel. In seinem 9. Bundesliga-Spiel gelang ihm am 31. Oktober 1987 sein erster Treffer. Beim 3 : 1-Erfolg im Linzer Stadion über den SK VÖEST Linz scorte der „kleine“ Ogris in der 65. Minute das 1 : 0.
Erfolgreiche Oberhaus-Karriere beim VSE St. Pölten und in der Südstadt
Ernst Ogris konnte sich – vorerst, so hieß es offiziell von Seiten des FAK – nicht durchsetzen, also verlieh man ihn. Im Winter 1987/88 holte ihn Trainer Thomas Partis nach St. Pölten. In der noch jungen niederösterreichischen Landeshauptstadt setzte man alles daran, um über das „Mittlere-Play-Off“ ins Oberhaus zu gelangen. Mario Kempes zog im Mittelfeld die Fäden und Ernst Ogris sollte für die wichtigen Tore sorgen. Die auch kamen. Mit 5 Volltreffern, die für den späteren Aufstieg des VSE St. Pölten in die 1. Division entscheidend waren, stürmte der „kleine“ Ogris in die Herzen des niederösterreichischen Fußball-Publikums. Und als im Herbst 1988 der Neo-Aufsteiger VSE St. Pölten bis an die Tabellenspitze der 1. Fußball-Division stürmte, war Ernst Ogris ein wertvoller Mosaik-Stein dieses wahrhaftig unerwarteten St. Pöltner Fußball-Wunders. Freundlich, nett, hilfsbereit und immer lustig, aber auf dem Platz stets rotierend, quirlig und torgefährlich, genau das zeichnete Ernst Ogris aus. Nach zweieinhalb Jahren mit 23 Toren in St. Pölten wechselte er im Sommer 1990 in die Südstadt zu Admira/Wacker. Die damals als „Graue Maus“ geltende Truppe wurde auch dank Ernstl Ogris immer wieder ein bisserl bunter. Bis zu seinem bereits eingangs erwähnten Wechsel nach Berlin scorte Ogris II in drei Saisonen 20 Tore für die Südstädter.
Gebrüder Ogris in der Nationalmannschaft
Teamchef Alfred Riedl war im Jahre 1991 nicht zu beneiden. Die ÖFB-Auswahl verlor am 1. Mai 1991 in Stockholm gegen Schweden sang- und klanglos mit 0 : 6. Neue Kräfte mussten her. Zum EM-Qualifikationsspiel am 5. Juni 1991 nach Odense wurde Ernst Ogris für den verletzten Teamkapitän Andreas Ogris einberufen. Der Andi gab nach dem ersten Mannschaftstraining deprimiert auf, da der Menikus höllisch schmerzte. Mit den Worten eines großen Bruders: „Jetzt musst Du die Familie Ogris würdig vertreten!“ entließ er Ernstl zum ÖFB-Flug nach Dänemark. Und Ernst Ogris tat, wie ihm aufgetragen. Österreich verlor zwar das Länderspiel mit 1 : 2, der Anschlusstreffer vom Ernstl Ogris jedoch war allererste Güte und wurde später sogar zum “Tor des Jahres 1991” gekürt. Nach dem Spiel meinte der Teamchef: „Der Ernst ist ein Riesenfußballer, aber er müsste bei seinem Klub in der Meisterschaft noch mehr zeigen. Und auch privat eine profihaftere Einstellung an den Tag legen. Wenn ihm das gelingt, dann hätten wir in Österreich eine Waffe, die Gebrüder Ogris im Sturm, die können jede Abwehr auseinanderhebeln.“ Leider, muss man heute sagen, blieb es für Ernst Ogris bei diesem einen Länderspiel, während Andi Ogris auf 63 A-Länderspiele, der getragenen Kapitänsschleife und 11 Tore kam.
Mit 27 Jahren ins Unterhaus
Ernst Ogris kehrte der höchsten Spielklasse den Rücken und ging ab Sommer 1995 auf Wanderschaft im Unterhaus. Unzählige Vereine im Großraum Wien, aber auch in Niederösterreich klapperte er ab, erzielte dabei aber auch überall seine Tore und hielt die Leute mit seiner stets guten Laune bei Laune. Ernst Ogris, zu dessen sportlichen Vorbildern einst Herbert Prohaska und Kevin Keegan gezählt hatten, brachte von Natur aus einen ungeheuren Fußballer-Instinkt mit. Er hätte beim Fußballsport als „kleiner“ Ogris ein ganz Großer werden können und es passt auch irgendwie ins Bild, dass sich in Berlin bis heute hartnäckig das Gerücht gehalten hat, dass man seinerzeit Andreas Ogris verpflichten wollte, aber beim „falschen“ Ogris den Hebel betreffend Transfer ansetzte. Erst als der Vertrag unterschrieben war, stellte man beim Hauptstadt-Klub fest, dass man zwar einen guten Fußballer aus Österreich holte, aber einen noch besseren dafür haben wollte.
Trainer mit “Hamur“
Ernst Ogris schlug nach seiner aktiven Laufbahn die Trainer-Karriere ein. Auch hier ist die Liste seiner Vereine, die er trainierte, immens lang. Aber die Einstellung zum Fußballsport allgemein und die positiv vorhandene Besessenheit zum runden Leder hin, das wusste Ernst Ogris seinen „Buben“ in den jeweiligen Teams stets zu vermitteln. Was dabei auch nie zu kurz kam war der Schmäh. Mit Ernst Ogris konnte man herzhaft lachen, denn er hatte das gewisse Etwas. Der Ernstl war ein echter Schmähbruder und somit ein großes Stückerl Altes Wien. Ein Fußballer mit Herz und voller Leidenschaft für den Sport, aber auch immer ein bisserl schlampert am Platz und bei weitem nicht alles abrufend, was das Talent hergab, diese Kicker aus Wien, die gibt es heute nur mehr ganz selten. Mit dem Ernst konnte man nach dem Match Pferde stehlen gehen, er nahm sich gerne die Zeit für ein Plauscherl und hatte dabei stets einen guten Schmäh auf den Lippen.
Am 30. März 2017, verstarb Ernst Ogris 49-jährig in Wien. So manch ungestümer Attacke seiner „Schischuhtragenden Gegenspieler“ sprintete er wieselflink auf und davon, gegen eine heimtückische Virusinfektion jedoch, gegen die blieb er machtlos … und verlor.
Zur Erinnerung an Ernst Ogris (* 9. Dezember 1967, † 30. März 2017): Einer wie er, der fehlt der heimischen „schmähbefreiten“ Fußballer-Landschaft, jeden Tag ein bisserl mehr …
oepb.at – In eigener Sache
Wenn die Österreichische Fußball-Bundesliga die Saison 2023/24 als 50-jährige Jubiläumssaison ausruft, dann darf dabei nicht vergessen werden, dass in Österreich seit 1911/12 regelmäßig Meisterschaft gespielt wird und es seit 1949/50 eine Gesamt-Österreichische Fußballmeisterschaft gibt. Wir werden hier in regelmäßiger Unregelmäßigkeit an Protagonisten der österreichischen Fußball-Landschaft erinnern, abseits der allseits bekannten Spieler-Größen. An Fußballer, die heute teilweise leider bereits vergessen sind, die aber dennoch der Liga und den Vereinen, für die sie aktiv waren, ihren Stempel aufgedrückt haben.
Quelle: Redaktion www.oepb.at
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