Der neu konzipierte Themenbereich in der hdgö-Hauptausstellung beleuchtet die Erinnerungskultur in vier unterschiedlichen Kapiteln. An interaktiven Stationen sind die Besucher*innen und ihre Meinung gefragt. Foto: Lorenz Paulus / hdgö

Geschichte pulsiert, bewegt und verändert sich – auch in der Hauptausstellung des Hauses der Geschichte Österreich (hdgö): Nach einer intensiven Vorbereitungsphase hat das Museumsteam in einem mehrwöchigen Umbau den Themenbereich zur Erinnerungskultur neu gestaltet. Am 7. Mai 2023 ist der Eintritt ins Museum frei. 

„Erinnern: Die Gegenwart der NS-Vergangenheit“ ist ein neu konzipierter Themenbereich in der Hauptausstellung des hdgö und arbeitet vier unterschiedliche, teils unbequeme Kapitel auf. Angesprochen werden der Mythos von Österreich als vermeintlich erstem Opfer des Nationalsozialismus, strukturelle und personelle Kontinuitäten der NS-Herrschaft, die lange in die Zweite Republik nachwirkten, der Kampf verschiedener Opfergruppen um Anerkennung sowie Aspekte des Antisemitismus in Österreich seit 1945. Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit sieht das hdgö als laufenden Prozess, der sich nicht abschließen lässt. Daher stellen sich zentrale Fragen immer wieder neu: Was bedeutet die Erinnerung an den Nationalsozialismus? Welcher Handlungsbedarf ergibt sich daraus für die Gegenwart? Durch interaktive Module werden Besucher*innen ins Zentrum der Auseinandersetzung mit diesen Fragen gerückt.

Ich sehe es als unseren Auftrag, am Puls der Gegenwart zu sein und wichtige Entwicklungen zu veranschaulichen. Erinnerungskultur verändert sich laufend, das zeigt sich in verschiedenen gesellschaftlichen und politischen Debatten. Historische Straßennamen werden zum Teil der öffentlichen Diskussion, die Auseinandersetzung mit umstrittenen Denkmälern ist aktueller denn je. Im Zuge der Corona-Maßnahmen-Demonstrationen waren zuletzt auch absolut unzulässige historische Bezüge verstärkt in der Öffentlichkeit“, sagt hdgö-Direktorin Monika Sommer. „Wir wollen hier einerseits fundiertes Wissen beitragen und andererseits ganz bewusst Meinungen der Zivilgesellschaft zur Erinnerungskultur integrieren. Unter anderem möchten wir so herausfinden, ob und welchen Handlungsbedarf die Menschen sehen, die aktuell in Österreich leben. Erinnerung ist nicht das einmalige Bewältigen von Vergangenheit. Der Umgang mit NS-Verbrechen lässt sich nicht einfach abschließen, sondern entwickelt sich lebendig weiter. Unsere Aufgabe ist, diese Entwicklung zu begleiten und zu vermitteln.

Vier Schwerpunkte, spannende Objekte und eine künstlerische Installation

1945 befreiten die Alliierten Österreich und verwalteten das Land bis 1955 mit. Lange stellte sich Österreich als „erstes Opfer“ des Nationalsozialismus dar. Verschwiegen wurde, wie viele Österreicher*innen das Regime unterstützt hatten oder an NS-Verbrechen beteiligt gewesen waren. Das NS-Gedankengut und ehemalige Anhänger*innen des Nationalsozialismus prägten die Zweite Republik mit. Die tatsächlichen Opfer des NS-Regimes und Widerstandkämpfer*innen blieben lange ungehört oder wurden sogar weiter diskriminiert.
 
Heute steht die Mitverantwortung von Österreicher*innen an NS-Verbrechen nicht mehr zur Debatte. Angesichts der Krisen der letzten Jahre verbreiten sich rechtsextreme Ideologien aber wieder vermehrt in weiten Teilen der Gesellschaft. In den vier Kapiteln „Opfermythos: spät entkräftet“, „Kontinuitäten: kaum offengelegt“, „Anerkennung: lange verweigert“ und „Antisemitismus: tief verankert“ vermittelt der neue Themenbereich in der hdgö-Hauptausstellung den langen Atem des NS-Unrechtsregimes in der Zweiten Republik.
 
Anhand von griffigen Beispielen und Geschichten wird erklärt, warum die Auseinandersetzung mit der NS-Herrschaft und ihren Verbrechen die Geschichte der Zweiten Republik bis heute prägt. Viele erstmals ausgestellte und einzigartige Objekte machen das lange Ringen der Opfer um Anerkennung sichtbar und zeigen, wie aktuell diese Fragen in der Gegenwart sind.

Die Debatten um das Erinnern an NS-Verbrechen werden auch in der künstlerischen Arbeit „RINGEN UM ERINNERUNG“ von Iris Andraschek und Anna Artaker sichtbar, die für den neuen Themenbereich geschaffen wurde. Auf vier ineinander verschlungenen Ringen mit jeweils 2m Durchmesser werden jeweils zwei tagesaktuelle Zitate aus Debatten mittels LED-Laufschriften wiedergegeben. Die Installation an der Decke des Raums vermittelt eindrücklich umkämpfte Prozesse des Erinnerns und Verstrickungen unterschiedlicher Positionen.

Besucher*innen im Fokus: Interaktiv im Web und vor Ort

Das Museum rückt ganz bewusst die Besucher*innen in den Fokus: Nicht zufällig steht im Zentrum des Themenbereichs eine interaktive Landkarte, die aktuell brennende Konflikte um Erinnerungszeichen sichtbar macht. Das hdgö ermöglicht engagierten Menschen aus ganz Österreich, Diskussionen über Orte der Erinnerung anzustoßen und nimmt dabei die Rolle der Moderation ein. Unter dem Titel „Baustellen der NS-Erinnerungskultur“ können Menschen über ihre Mobiltelefone oder Computer Diskussionsbedarf zu NS-bezogenen Denkmälern und Erinnerungszeichen anmelden oder bereits verzeichnete Orte kommentieren. Die Einschätzungen und Meinungen der Besucher*innen und die Auseinandersetzung zwischen verschiedenen Haltungen sind die Grundlage für diese ständig wachsende Sammlung, die sowohl im Web als auch vor Ort im Museum sichtbar wird. Sie zeigt, dass Erinnern immer Auseinandersetzung in der Gegenwart ist und von der Perspektive abhängt, aus der sich Menschen annähern. Hier kann jede und jeder selbst teilnehmen

Weitere interaktive Stationen und bewegliche Elemente, sogenannte „Hands-on”, wurden vom Vermittlungsteam des hdgö entwickelt. So lädt etwa die größere interaktive Station „Woran erinnern? Und wie?” die Besucher*innen dazu ein, eine Diskussion von für sie relevanten Fragen zum Thema zu beginnen oder Kommentare zu hinterlassen. Mit inhaltlichen Inputs aus der Arbeit mit Besucher*innen, der Mitarbeit an Ausstellungtexten, räumlichen Fragen und dem Thema Barrierefreiheit war das Vermittlungsteam von Anfang an in die Konzeption und Umsetzung des neuen Themenbereichs involviert und konnte die vielfältigen Erfahrungen mit Expertise optimal einbringen.

Der neue Themenbereich lässt sich im Mai besonders gut entdecken: Das Museum hält auf Grund von Feiertagen an zwei ansonsten geschlossenen Montagen offen, nämlich am 1. Mai und am 29. Mai jeweils von 10-18 Uhr. Zudem ist anlässlich des „Tages der Befreiung“ der Eintritt am Sonntag, den 7. Mai ins Museum kostenlos.

Einblicke hinter die Kulissen – vor Ort, in Kurzvideos und in Podcasts

Am Donnerstag, den 27. April stellt das hdgö-Team in der Veranstaltung “MAKING OF” den Themenbereich vor und erläutert dabei sowohl kuratorische als auch vermittlerische Zugänge: Welche Narrative stehen im Zentrum? Welche Objekte sind zu sehen und warum? Wie können sich Besucher*innen in die Ausstellung einbringen?
 
Der zweite Teil der Veranstaltung ist künstlerischen Auseinandersetzungen mit dem Thema gewidmet: Im Fokus stehen dabei die von Iris Andraschek und Anna Artaker für das hdgö entwickelte künstlerische Installation sowie das vom Grazer Theater im Bahnhof 2005 in Österreich erstaufgeführte Stück „Burgtheater” von Elfriede Jelinek, das ebenfalls in der Ausstellung repräsentiert ist. Das genaue Programm und die Anmeldung gibt es online:  

Weitere Informationen:

Erinnern – mehr zum Themenbereich: 

https://hdgoe.at/erinnern_gegenwart_der_ns_vergangenheit

Quelle: Haus der Geschichte Österreich / HdGÖ

Weitere HdGÖ-Artikel finden Sie bei uns bitte hier;

Das Haus der Geschichte Österreich (HdGÖ)  

Das Haus der Geschichte Österreich ist das erste zeitgeschichtliche Museum der Republik und organisatorisch an die Österreichische Nationalbibliothek angebunden. Angesiedelt am geschichtsträchtigen Heldenplatz in der Neuen Burg, bietet das HdGÖ in seinen Ausstellungen Einblicke in die wichtigsten politischen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Entwicklungen des letzten Jahrhunderts bis ins Heute. Außergewöhnliche Objekte, teils noch nie gezeigte Dokumente und interaktive Medienstationen machen Zeitgeschichte für Klein und Groß erlebbar – in historischen Räumen mit zeitgemäßer Architektur und Gestaltung.  Viele Fragen und Themen der österreichischen Zeitgeschichte mit Blick auf Gegenwart und Zukunft werden in Themenführungen, Workshops und Veranstaltungen diskutiert. Für alle, die unterwegs oder zu Hause neugierig auf Geschichte sind: Eigene Web-Ausstellungen, aktuelle Schwerpunktthemen und interaktive Bildersammlungen bieten unter www.hdgoe.at immer wieder Neues aus der Vergangenheit.

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