Autogrammkarte anlässlich seines Abschieds-Spiels 1981. Sammlung: oepb
Autogrammkarte anlässlich seines Abschieds-Spiels 1981. Sammlung: oepb

Wenn morgen Abend um 20.45 Uhr im Halbfinal-Hinspiel der UEFA Champions League Atletico Madrid auf den FC Bayern München trifft, dann taucht unwillkürlich wieder ein Name aus der Versenkung auf, der vor über 40 Jahren mit einem einzigen Gewaltschuss in die Annalen der europäischen Fußball-Geschichte eingehen sollte. Die Rede ist von Hans-Georg – genannt „Katsche“Schwarzenbeck, der genau genommen sein gesamtes Fußballer-Leben im Schatten der Galionsfigur „Kaiser“ Franz Beckenbauer stand und der im Volksmund auch gerne als „Der Putzer vom Kaiser“ bezeichnet worden war. An einem Tag in seiner Laufbahn überragte Katsche jedoch alle und der Ruhm gehörte ihm allein.

Der FC Bayern München gilt seit einigen Jahren als der Deutsche Rekordmeister schlechthin. Dies waren die Rot-Weißen Münchner aber nicht immer und es dauerte viele Jahre und Jahrzehnte, diesen Titel dem einstigen Rekordmeister 1. FC Nürnberg streitig zu machen. Am Weg dorthin geschah in den 1970er Jahren folgendes: der FC Bayern München gewann von 1972 bis 1974 dreimal en suite die Deutsche Meisterschaft. Dieser Husarenritt an sich glich damals einer kleinen Sensation, doch als man auch noch international auf sich aufmerksam machen konnte und detto dreimal in Serie den Europapokal der Landesmeister – gleichzusetzen mit dem Gewinn der heutigen Champions Legaue – 1974, 1975 und 1976 holte, spätestens dann war jener FC Bayern geboren, der er bis heute noch ist – ein Top-Klub, eine Institution, eine Welt-Marke.

Es sind oftmals die kleinen Dinge im Leben, die nicht für möglich gehaltene Aktionen nach sich ziehen. Und als Fußballfan hält man sich meist an Stürmern und deren Toren fest, oder erfreut sich an Mittelfeld-Strategen, wenn diese geniale Pässe nach vorne schlagen. Torhüter oder Abwehrspieler stehen da meist im Schatten, auch wenn diese oftmals die bessere Arbeit im Team abliefern. Hans-Georg Schwarzenbeck war so ein Spieler.

Dazu der Deutsche Schriftsteller Wolf Wondratschek über den hier Genannten:

Gedicht für Georg Schwarzenbeck
 
Zwei Beine, ohne Interesse an Genialität,
vereinfachter Mechanismus, nichts Brasilianisches,
kein Sternenlauf, kein Jubel in den Fußgelenken,
Standbein, Schussbein, nichts für Genießer,
und trotzdem einer, dessen die Menschen,
die ihn spielen sahen, gedenken.
 
Ein großer Dorn, der stach und dicht hielt,
oder die Anstürmenden ersaufen ließ, das Feuer zertrat,
das sie bereit waren zu entfachen. Nichts da,
ich arbeite, ich komme aus der Vorstadt,
ich bin geboren für das Einfache. Nicht einmal
Siege sind es am Ende, die zählen.
 
Unzuständig für alles Künstlerische!
Kein Dribbling, kein nie gesehener Trick,
stattdessen Luft für 90 Minuten, und notfalls
für die Verlängerung, wenn die Kollegen Krämpfe quälen.
Merkwürdig, dass so einer, eckig wie eine leer gegessene
Pralinenschachtel etwas trifft, das rund ist.

Und so schlug am 15. Mai 1974 im Büsseler Heysel-Stadion die alleinige Sternstunde des Katsche Schwarzenbeck. Die Bayern trafen zum ersten Mal in ihrer Geschichte auf Atletico Madrid. Das Europapokal-Finale der Landesmeister wurde fernsehgerecht um 20.15 Uhr angepfiffen. Die knapp 49.000 Zuschauer bekamen aber den sprichwörtlichen Langweiler vorgesetzt, denn nach 90 Minuten stand es torlos Unentschieden. Es ging in die Verlängerung. Dort gelang dem Madrilenen Luis Aragones in der 114. Spielminute aus einem perfekten Freistoß das 1 : 0. War es das für die Bayern? In sechs Minuten wäre Schluss und ob der Ausgleich noch gelingen würde …? So der einhellige Tenor. Der Traum des FC Bayern schien jedoch bereits ausgeträumt, als es in der 119. Minute immer noch 1 : 0 für Atletico stand. Doch da, wie aus dem Nichts, der große Auftritt des Hans-Georg Schwarzenbeck. Er erhielt etwa an der Mittelauflage den Ball. Langsam trabte er in die Hälfte des Gegners, wird nicht angegriffen, zockelt weiter und holt zirka 25 Meter vor dem Tor mit dem rechten Bein gewaltig aus. Krachend traf die Schuhspitze die Kugel, die ihrerseits wiederum flach und schnurgerade über den Rasen zum nicht mehr für möglich gehaltenen 1 : 1 ins Netz sauste. Und das unmittelbar und Sekunden vor dem Ende. Es sah somit ganz danach aus, als sollte der unaufhaltsam scheinende Aufstieg der Sepp Maiers, Franz Beckenbauers, Paul Breitners und Gerd Müllers, sowie des gesamten FC Bayern an jenem Abend im Brüsseler Heysel-Stadion noch nicht zu Ende gehen.

Sein „Wunder-Tor“ in der 120. Minute brachte die Patt-Stellung zum 1 : 1, man stand demnach nach zwei gespielten Stunden Fußball in diesem Endspiel wieder am Anfang. Ein Elfmeter-Schießen gab es damals, 1974, noch nicht, was folgte war eine Neuaustragung dieses Finales. Zwei Tage später ließen die Bayern nichts anbrennen und erledigten die Sache nach 90 Minuten mit einem satten 4 : 0. Zweimal Gerd Müller und zweimal Uli Hoeneß lauteten die Torschützen. 23.000 Zuschauer waren ob der Darbietung der Bayern entzückt.

Nach diesem ersten Finalerfolg 1974 gelang den Bayern 1975 die Wiederholung anhand eines 2 : 0 im Endspiel von Paris gegen Leeds United. Und 1976 setzte man mit dem Titel-Hattrick der ganzen causa die Krone auf: 1 : 0-Triumph gegen AS Saint Etienne im Finale von Glasgow.

Am Zenit seiner Laufbahn: Die beiden Weltmeister von 1974 Katsche Schwarzenbeck und Rainer Bonhof. Foto: Nationaal Archief, Den Haag
Am Zenit seiner Laufbahn: Die beiden Weltmeister von 1974 Katsche Schwarzenbeck und Rainer Bonhof. Foto: Nationaal Archief, Den Haag

Natürlich ist es müßig, Dinge zu zerpflügen und im Nachhinein darüber zu philosophieren, was wohl gewesen wäre, wenn … Jener Sonntags-Schuss an einem Mittwoch-Abend eines bis dato nie im Rampenlicht gestandenen 26jährigen Fußballspielers sollte jedoch dessen Karriere und auch die eines gesamten Fußball-Vereins entscheidend mitbestimmen. Man möge sich darauf doch einigen. Umso mehr, als Katsche wenige Wochen nach diesem Triumph mit der Deutschen Fußball-Nationalmannschaft auch noch Fußball-Weltmeister geworden war.

Der baumlange Vorstopper war in aller Munde, wenngleich ihm das nie ganz recht war. Seine Interviews glichen eher Wortspenden und kargen Aussagen, stets mit dem Hintergedanken spielend, darob froh zu sein, wenn das Frage-Antwort-Spiel wieder vorbei ist und er wieder auf dem Platz stehen und dem runden Leder nachjagen kann.

Nur 31jährig riss im Herbst 1979 die Achillessehne. Dies bedeutete damals unweigerlich das Karriere-Aus. „Katsche“ Schwarzenbeck hängte die Schuhe an den berühmten Nagel – nach 416 Bundesligaspielen, allesamt für den FC Bayern und 44 Länderspielen. Es wurde ruhig um ihn und er wurde Trafikant. Das Geschäft vererbten ihm seine Tanten.

Als eben solcher musste er seine Einsilbigkeit schon alleine aus geschäftstüchtigen Gründen ablegen. Und das tat er auch. Er hatte für die ältere Damen-Kundschaft im Münchner Stadtviertel Au stets ein offenes Ohr für deren Wehwehchen. Den jungen Kunden, die Panini-Bildchen bei ihm kauften, gab er auf Wunsch auch schon einmal Autogramme für deren Väter mit und er besorgte gerne im Nachhinein vergriffene Illustrierte für die danach fragende Leserschaft. Der FC Bayern hatte ihn auch nicht vergessen und auf Initiative das langjährigen und umtriebigen Managers Uli Hoeneß kaufte der „große“ FCB im „Tante Emma-Laden“ von Katsche Schwarzenbeck zahlreiche Schreibwaren immer wieder aufs Neue ein. Die Bayern avancierten somit zu einem Stammkunden.

Vom grünen Rasen erfolgte ein fliegender Wechsel hinter den Ladentisch im Münchner Stadtviertel Au. Foto: privat
Vom grünen Rasen erfolgte ein fliegender Wechsel hinter den Ladentisch im Münchner Stadtviertel Au. Foto: privat

Darauf gefragt, ob er mit dem was er tat und heute noch tut, zufrieden ist, kam wie aus der Pistole geschossen ein aufrechtes JA! Er sei zufrieden, hätte sein Einkommen und hätte bei all dem Rummel, der damals 1974 über ihm hereinbrach, dem Gerd (gemeint ist Gerd Müller) das Tor von Herzen gegönnt. So war er eben, der Katsche.

Seit 2009 genießt er seinen wohlverdienten Ruhestand und ist nun Hobby-Gärtner mit Leib und Seele. Das Häusliche stand bei ihm stets im Vordergrund und als solcher hätte er seiner Heimatstadt München auch nie den Rücken kehren können. Hans-Georg „Katsche“ Schwarzenbeck – sein Tor in der Verlängerung gegen Atletico Madrid war ein Meilenstein in der großartigen Geschichte des FC Bayern München. Ob Gerd Müller an jenem 15. Mai 1974 in der 120. Minute auch getroffen hätte? Wir werden es wohl nie erfahren …

www.bundesliga.de

https://fcbayern.com/de

 

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