An diesem FK Austria Wien-Team gab es nichts zu jammern, denn die Wiener Violetten gingen als „Erster Meister einer gesamtösterreichischen Fußball-Meisterschaft 1949/50“ in die Geschichtsbücher ein. Stehend von links: Ernst Melchior, Fritz Kominek, Adolf Huber, Ernst Stojaspal https://www.oepb.at/allerlei/wer-war-dribblanski-ernst-stojaspal.html und Lukas Aurednik; Bildmitte von links: Leopold Mikolasch, Kapitän Ernst Ocwirk https://www.oepb.at/allerlei/wer-war-ernst-ocwirk.html und Siegfried Joksch; Hockend von links: Otto Melchior, Fritz Nikolai, sowie Fritz Kleibl. Foto: oepb
An diesem FK Austria Wien-Team gab es nichts zu jammern, denn die Wiener Violetten gingen als „Erster Meister einer gesamtösterreichischen Fußball-Meisterschaft 1949/50“ in die Geschichtsbücher ein. Stehend von links: Ernst Melchior, Fritz Kominek, Adolf Huber, Ernst Stojaspal  und Lukas Aurednik; Bildmitte von links: Leopold Mikolasch, Kapitän Ernst Ocwirk  und Siegfried Joksch; Hockend von links: Otto Melchior, Fritz Nikolai, sowie Fritz Kleibl. Foto: oepb

Die Fußballmannschaft namens Austria heißt mit Recht so. Wenn es keinen Verein dieses Namens gäbe, müsste man einen erfinden und sich für ihn in mühevoller Grübelei alle jene Eigenschaften ausdenken, welche die wirkliche „Austria“ spielend und unüberlegt (und unüberlegt spielend) zur Schau stellt.

Es scheint kaum glaublich, dass die violett-beleiberlten Spieler nicht von jeher so hießen, sondern als „Amateure“ ihren Ruhm und ihren Stil begründeten, ja, dass nur die Unhaltbarkeit der alten Bezeichnung angesichts unwiderlegbarer Tatsachen die Umtaufe veranlasste, als bei den „Amateuren“ von Amateuren schon seit Jahren nicht mehr die Rede sein konnte.

Die Wahl des Namens „Austria“ für die in ihrer Unverwechselbarkeit bereits klassisch gewordene Elf war so genial wie alles Naheliegende und so naheliegend wie alles Geniale. Es scheint auch ebenso unglaublich, dass die „Austria“ nicht seit eh und je aus denselben elf Spielern besteht, sondern dass es im unablässigen Kommen und Gehen der Generationen immer neue sind, die doch miteinander immer wieder „die“ Austria in ihren typischen Eigenschaften ergeben. Selbst wer viele Jahre lang die Wiener Fußballmatches missen musste und nach der überlangen Pause zum erstenmal wieder die Violetten sah, fand in einer fremden Mannschaft mit neuen Namen und neuen Gesichtern doch die gleiche „Austria“, die er verlassen hatte.

In getreuer und durchsichtiger Symbolik spiegelt die Austria Österreichs österreichischstes Team all das, was man als „österreichisches Wesen“ mit seinen Höhen und Tiefen zu erforschen, zu preisen und zu bejammern hierzulande nicht müde wird. Die violette „Austria-Elf“ aus St. Veit an der Wien ist genial, hinreißend, hochbegabt, unverlässlich, launisch, dilettantisch, ungeschickt, improvisierend – und das oft innerhalb weniger Minuten.

Sie ist eine Elf von Künstlern und Individualitäten, voll Freude am Schönen und am Wirken, aber ohne Sinn für das Praktische. Sie spielt mit dem Ball, erprobt an ihm jede erdenkliche Fertigkeit, steigert sich in einzigartige, unvergessliche Paraden und Manöver hinein, vergisst dabei aber, dass es darum geht, den Ball ins gegnerische Tor zu befördern. Nie hat vielleicht eine Mannschaft schöner gespielt als die „Austria“, nirgends ist aber auch die Schönheit des Spielens so oft Selbstzweck gewesen und hat Niederlagen nicht verhindert wie bei der „Austria“.

Zum Wesen der „Austria“ gehört es auch, mit dem Gegner zu wachsen. Gegen schwache und mittelstarke Vereine zu siegen, ist keine Kunst. Die Austrianer aber wollen Künstler sein, und darum verlieren sie „wie nix“ gegen schwache und mittelstarke Vereine. Wehe aber dem Mitropacup-Favoriten, wehe dem ausländischen Meister, der gegen sie antritt und leichtes Spiel zu haben glaubt, weil sie eben noch dem Tabellenletzten kaum gewachsen waren! Aussichtslosigkeit und Hoffnungslosigkeit, längst zur lieben Gewohnheit geworden, die man kaum mehr missen möchte, wirkte da inspirierend und stimulierend wie sonst nichts. Vielleicht wäre auch David gegen einen andern Knaben unterlegen und bedurfte eines Goliaths, um auf seine Hochform aufzulaufen.

Zum „Austria“-Anhang steht die „Austria“ in einer ganz eigenartigen Beziehung. Dieser, eine Schar leidgewohnter, zum äußersten Fatalismus neigender Frauen und Männer aller Stände, ist in keiner Weise zu überraschen und am gewohnheitsmäßigen Kopfschütteln erkennbar. Er betritt den Sportplatz in der bestimmten Erwartung, nun zweimal 45 Minuten lang enttäuscht zu werden. (Kann man eine derart als gewiss vorweggenommene Enttäuschung überhaupt noch so bezeichnen?) Kaum beginnt das Spiel, kaum bedrängen die Gegner das „Austria“-Tor, fängt der „Austria“-Anhang kopfschüttelnd mit seiner Litanei an: „Hab´ ich´s nicht g´sagt? Ein Nagel zu meinem Sarg! Zehn Jahre meines Lebens!“, wendet sich aber das Blatt, gelingt den Violetten ein Angriff, dann jubelt derselbe Anhänger, als würde nur eine berechtigte Erwartung bestätigt: „Was wollen S`? Austria! Typisch Austria!“ Und das Kopfschütteln drückt nun die Bewunderung angesichts überragender Leistungen aus. „So spielt nur die Austria“, kann (wie das parallele „O du mein Österreich“) sowohl höchste Zustimmung wie äußerste Ablehnung ausdrücken. Man traut der Austria alles und nichts zu; und statt seine Lieblinge, wie es jeder andere Anhang der Welt täte, zu ermutigen, statt in der Gefährdung und im Pech zu ihnen zu halten, lässt der Austria-Anhang seine elf violetten Freunde beim ersten Nachlassen im Stich, höhnt sie, pfeift sie aus, bringt sie dadurch noch mehr aus dem Konzept; wenn sie aber dann doch, den Feinden und den Freunden zum Trotz, triumphieren, ist er stolz, als wäre er selbst am Sieg beteiligt, und jubelt: „Hab´ ich´s nicht g´sagt?!“

Tore schießen, das erscheint der Austria als zu direkt, als überdeutlich. Sie hat, typisches Produkt eines überfeinerten Zeitalters, den Reiz der Umwege entdeckt. Tore schießen – das mögen die grünen Rivalen vom Sportklub „Rapid“ aus Hütteldorf womöglich gar aus jeder dazu nur halbwegs geeigneten Position wie der große Franz „Bimbo“ Binder, der sogar sehr oft getroffen hat. Tore schießen ist phantasielos. Nicht auf den Effekt kommt es an, sondern auf die Effekte, nicht auf das Ziel, sondern auf den Weg; heilig sind die Mittel, die keinem Zweck dienen, gepriesen sei die Relativität des Erreichten!

Und nun scheinen uns, derart betrachtet, die Austrianer wie Philharmoniker des grünen Rasens. Was andere Orchester in mühsamem Studium zahlreicher Proben erarbeiten, improvisieren unsere Philharmoniker aus der Laune des Augenblicks. Schön spielen, wenn man vorher geprobt hat? Keine Kunst! Die Philharmoniker aber sind Künstler! Proben sind Feigheit! Wie herrlich spielen sie, „wenn man bedenkt …“ Die naheliegende Frage, wie die Philharmoniker erst spielen würden, wenn sie Proben abhalten wollten wie andere Orchester, und wie die „Austria“ erst spielen würde, wenn ihr vor dem Goal soviel einfiele wie auf dem Mittelfeld, erübrigt sich und ist als „unösterreichischer Umtrieb“ abzulehnen.

Für Länderspiele wird eine Auswahlmannschaft aus vielen Klubs zusammengestellt; aber nicht erst seit Walter Nausch, der unvergessene Austrianer aus dem Wunderteam, sie betreut, ist sie, selbst wenn der Widersacher „Rapid“ in ihr sein gewichtiges Kontingent stellt, eine überdimensionierte „Austria“, ist ihr sechzigtausendköpfiges Publikum ein gigantischer „Austria“-Anhang. Alles wiederholt sich in entsprechender Vergrößerung, Siege werden mit der „Austria“-Mischung von Minderwertigkeitsgefühl und Selbstvertrauen bald verschenkt, bald ertrotzt, Siege wie Niederlage werden vom Publikum kopfschüttelnd als erwartet hingenommen.

Die Parallelen zwischen der Mannschaft und dem gleichnamigen Staat, dem Anhang der einen und dem Volk des anderen, sind so naheliegend, dass jede weitere Anspielung allzu billig wäre. Eines jedoch darf, wo in verschämter, oft enttäuschter, aber unwandelbarer Liebe die Austria-Mannschaft gewürdigt wird, nicht fehlen: der Gedanke an ihren Stürmer Matthias Sindelar. Er war ein Genie im wahrsten und höchsten Sinn dieser Worte. Nie wurde Sport anmutiger, geistreicher, überlegener und entmaterialisierter betrieben. Das große Wort vom Spiel erfüllte sich bei ihm wie bei keinem; er war der Rastelli, der Vaslav Nijinsky des Fußballs. Längst ist er zur Legende geworden, und wer ihn kannte, muss sagen: mit Recht. Wir werden nimmer seinesgleichen sehen.

 

Quelle: Hans Weigel  vom Frühjahr 1950. Diesen heute nach wie vor aktuellen 70jährigen Text, der auch im „Neues Österreich“ am 23. April 1950, nachdem die Wiener Austria wenige Tage zuvor beim FC Wien mit 1 : 2 verlor, erschien, überließ er zu Lebzeiten dem oepb in Manuskript-Form. Nichts desto trotz erreichte diese hier geschilderte Hans Weigel-Liebe zum FAK im Juni 1950 ihren absoluten Höhepunkt: der FK Austria Wien ging als „Erster Fußballmeister einer gesamtösterreichischen Fußball-Meisterschaft“ in die Geschichte ein.

Lesen Sie mehr über den FAK bei uns bitte hier;

www.austria.wien

Und noch mehr über die Österreichische Fußball-Bundesliga bitte hier;

www.bundesliga.at

 

 

 

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