Was waren das doch für Zeiten, als der Deutsche Fußball-Meister nicht schon vor der Bundesliga-Saison mit dem FC Bayern München feststand. Was waren das doch für Zeiten, als sich gleich ein paar Teams beim großen Lieblings-Nachbarn Deutschland berechtige Chancen auf den Titel ausrechnen konnten. Was waren das doch für Zeiten, als der FC Bayern München nur – wie eben 1991/92 – Bundesliga-Zehnter wurde …
Vor 25 Jahren gab es so eine Konstellation. Deutschland lag, wieder einmal, im kompletten Fußball-Ausnahmezustand, denn vor dem 38. und letzten Bundesliga-Spieltag am Samstag, 16. Mai 1992 hatten gleich drei Vereine gute Chancen auf den Titelgewinn. Vorne weg der Tabellenführer, die SG Eintracht Frankfurt. Die Hessen spielten eine berauschende Saison, hatten unter anderem mit Jörn Andersen, Uwe Bein, Anthony Yeboah und Andreas Möller absolute Top-Leute in ihren Reihen und waren auf dem Weg zum ersten Titelgewinn seit 1959 nicht aufzuhalten.
Unmittelbar dahinter der VfB Stuttgart. Die Schwaben wurden von Christoph Daum trainiert, der ja als absoluter Motivations-Künstler bekannt war. Mit Fritz Walter im Sturm und seinen 22 Volltreffern stellte der „Verein für Bewegungsspiele“ auch den Torschützenkönig der Saison.
Als Dritter im Bunde fungierte Borussia Dortmund. Der BVB war ebenfalls sehr gut in der Saison 1991/92 unterwegs, verbuchte während 37 Meisterschaftsspielen lediglich 6 Niederlagen und war von den Stuttgartern, als auch von den Frankfurtern lediglich durch die Tor-Differenz getrennt.
Der letzte Spieltag sah für diese drei Titel-Aspiranten demnach folgende Konstellation vor:
FC Hansa Rostock gegen SG Eintracht Frankfurt (50 Punkte, +36 Tor-Differenz);
Bayer 04 Leverkusen gegen VfB Stuttgart (50 Punkte, +29 Tor-Differenz);
MSV Duisburg gegen Borussia Dortmund (50 Punkte, +18 Tor-Differenz).
Kurioserweise hatte keiner dieser drei Meisterschafts-Anwärter Heimrecht und so konnte der 38. und letzte Spieltag der Saison 1991/92 am Samstag, 16. Mai 1992 pünktlich um 15.30 Uhr angepfiffen werden.
Im Wedaustadion zu Duisburg sorgte vor 31.500 Zuschauern und ausverkauftem Haus der Schweizer Stéphane Chapuisat gleich nach 10 Minuten für die 0 : 1-Führung der Blau-Gelben aus der Braustadt Dortmund. Ewald Lienen im Dress des MSV Duisburg, heute erfolgreicher Trainer beim FC St. Pauli in Hamburg, lief in seinem letzten von 333 Bundesligaspielen nochmals zur Höchstform auf, denn die Meidericher ihrerseits kämpfen noch gegen den Abstieg. „A gmahte Wiesn“, wie man hierzulande sagt, war die Partie für den BVB in Duisburg demnach keineswegs.
Zur gleichen Zeit traf vor 25.500 Zuschauern (detto ausverkauft) der Leverkusener Martin Kree zum 1 : 0 für Bayer 04 im Ulrich Haberland-Stadion, der 1 : 1-Ausgleich auf Seiten des VfB Stuttgart durch Fritz Walter und einen Foulelfmeter ließ den Pausenstand von 1 : 1 feststehen.
Im Rostocker Ostseestadion – dass dieses mit 25.000 Besuchern komplett ausverkauft war, erklärt sich von selbst – tat sich der Favorit aus der Main-Metropole sehr, sehr schwer. Der Eintracht gelang nur wenig und Hansa kämpfte verbissen, was das Zeug hielt. Die Ost-Deutschen, als Aufsteiger in die Saison gestartet, waren an den ersten sieben Spieltagen im Herbst 1991 sogar fünfmal Tabellenführer gewesen. Nun standen auch sie mit dem Rücken zur Wand und kämpften gegen den Abstieg. In Hälfte Eins fiel kein Tor.
Um 16.20 Uhr zur Pause wäre demnach Dortmund Meister gewesen. Aber es stand ja noch eine Halbzeit an. Und die sollte es überall in sich haben.
In der 65. Minute erzielte Jens Dowe das 1 : 0 für Hansa Rostock. Kurz darauf glich Axel Kruse zum 1 : 1 für die Eintracht aus. In Duisburg mühte sich der MSV, aber Dortmund ließ nichts anbrennen, weiterhin 0 : 1. Und auch in Leverkusen wog das Spiel zwar hin und her, außer einer Roten Karte für den Stuttgarter Matthias Sammer wegen unsportlichen Verhaltens geschah jedoch nicht viel, demnach weiterhin 1 : 1.
Die Eintracht drängte an der Ostsee auf die Entscheidung. Man wusste, mit nur einem Tor wäre man Deutscher Meister. Man war dem Ziel so nahe … und doch so fern. Dann ein wahrer Zuckerpass von Uwe Bein auf Andreas Möller, den dieser normalerweise versenkt hätte. Just im Spiel- und Saisonentscheidenden Moment versagen dem Andy die Nerven. Er legte sich den Ball viel zu weit vor und die schier 100prozentige Tor-Chance war vertan. Sein Team-Kollege Lothar Sippel knallt das Leder nur an die Stange und als Ralf Weber, der knapp 1,90 Meter Hüne im Rostocker Strafraum gelegt wird, der Elfmeterpfiff jedoch ausbleibt, kocht die hessische Volksseele über. Nur mit allergrößter Mühe kann der Gefoulte daran gehindert werden, Referee Alfons Berg an die Kehle zu springen. Ganz nebenbei geht dabei auch noch eine RTL-Kamera zu Bruch. In dieses Tohuwabohu hinein gelingt Stefan Böger das 2 : 1 für Hansa. Lothar Sippels vermeintliches 2 : 2-Ausgleichstor wurde die Gültigkeit abgesprochen, Hansa Rostock schlug die Eintracht demnach mit 2 : 1. Die sechste Saison-Niederlage der Eintracht der Spielzeit 1991/92 zählt auch heute noch zum schwärzesten Tag der Eintracht Frankfurt-Historie. Die sicher geglaubte Meisterschaft wurde an der Ostsee von den Hessen leichtfertig vergeigt.
Wer war denn nun Fußball-Meister? Um 17.15 Uhr Dortmund, da es in Leverkusen immer noch 1 : 1 stand. Doch dann schlug urplötzlich die große Stunde des Guido Buchwald. Das Spiel in Leverkusen stand in der Schlussphase. Der kleine quirlige Ludwig „Wiggerl“ Kögl tankte sich von der linken Seite kommend durch, flankte bereits im Strafraum stehend gefühlvoll zur Mitte, der Leverkusener Josef „Jupp“ Nehl springt zwar hoch, verfehlte allerdings den Ball und vom Lockenkopf Buchwalds aus landet das Leder in den Maschen des Leverkusener Tors. Rüdiger Vollborn hatte keine Abwehr-Chance. Nach 1983/84 gewann der VfB Stuttgart demnach völlig überraschend erneut die Deutsche Meisterschaft.
Frankfurt lag am Boden, Dortmund feierte den Vize-Titel und das „Schwaben-Ländle“ stand ob des “Schwabenstreiches” Kopf. Die Stuttgarter Roten, die vor der Saison alles andere als ein Titel-Aspirant waren, standen am Ende ganz oben. Christoph Daum hatte als Trainer ganze Arbeit geleistet und pushte die Seinen immer wieder nach vorne. Es sollte sich lohnen. Heute spielt der VfB in Liga Zwei, kann sich jedoch am kommenden Wochenende mit einem Sieg über die Würzburger Kickers zum Deutschen Meister der 2. Liga küren und nach nur einem Jahr wieder ins Oberhaus zurückkehren.
Wenn man an solche echte Herzschlag-Finale zurück denkt, dann wünscht man sich, dass die einsamen Kreise der Münchner Bayern ganz oben irgendwann einmal der Vergangenheit angehören, dass sich die Kräfte wieder vermehrt untereinander aufteilen und dass einfach auch wieder mehr Vereine Fußball-Meistertitel-Ambitionen hegen. Derzeit sieht es jedoch ganz danach aus, dass dies ein frommer Wunsch bleiben wird.
Quelle: oepb
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