Winnetou in der Vorweihnachtszeit: Zwischen 1975 und 1994 lockten sechs aufwendige Karl-May-Shows mit Stars wie Pierre Brice, Bruce Low, Christine Schuberth, Raimund Harmstorf und Anja Kruse tausende Wienerinnen und Wiener in die Stadthalle. Das neue Buch „Karl May auf der Bühne III“ aus dem Karl-May-Verlag Bamberg erinnert nun an zahlreiche Theateraufführungen mit Karl Mays Helden wie Winnetou, Old Shatterhand und Sam Hawkens, auch an die Vorstellungen in Wien.
Karl-May-Festspiele in Bad Segeberg und Elspe sind im gesamten deutschsprachigen Raum bekannt, doch Winnetou & Co. standen auch schon in der Wiener Stadthalle auf der Bühne. Sechs Karl-May-Inszenierungen, allesamt hochkarätig besetzt, lockten hier zwischen 1975 und 1994 – immer in der Vorweihnachtszeit – tausende Wienerinnen und Wiener an.
Erstmals war es 1975 so weit: Unter der Regie von Wolfgang Schleif kam „Winnetou“ auf die Bühne – Bruce Low gab den Old Shatterhand, Reza Khan den Winnetou und Christine Schuberth die Nscho-tschi. 1978 und 1979 gastierten die Karl-May-Festspiele Elspe in der Wiener Stadthalle und brachten Film-Winnetou Pierre Brice in der Rolle seines Lebens mit. Der Franzose kam dabei auf den Geschmack und brachte 1980 und 1983 eigene Stücke nach Wien, 1980 „Winnetou, der Apache“, 1983 „Das Geheimnis des Feuerberges“, jeweils in Szene gesetzt von Elspe-Regisseur Karl-Heinz Walther. Stars gaben sich auch beim bisher letzten Karl-May-Spektakel in der Wiener Stadthalle die Klinke in die Hand: 1994, bei „Winnetou und Old Shatterhand“, verkörperte „Seewolf“ Raimund Harmstorf den Old Shatterhand, Anja Kruse gab Winnetous Schwester Nscho-tschi. Aus den USA holte Regisseur und Co-Produzent Heinrich Hubertus Koziol – er hatte zuvor die Karl-May-Spiele in Gföhl (Niederösterreich) mit aufgebaut – den echten Indianer Rodney A. Grant, der zuvor in Kevin Costners Erfolgsfilm „Der mit dem Wolf tanzt“ gespielt hatte. „Winnetou“ war Thomas Koziol, den das Karl-May-Thema noch über Jahre beschäftigen sollte: Nachdem er bereits in den 1980er-Jahren zu den Pionieren der österreichischen Karl-May-Bühnenszene gehört hatte, trat er bis in die 2010er-Jahre bei Festspielen in Winzendorf, Weitensfeld und Gföhl als Winnetou auf, schrieb die Textbücher und führte Regie.
An die Karl-May-Bühnengeschichte der Wiener Stadthalle erinnert nun ein soeben erschienenes Buch aus dem Karl-May-Verlag Bamberg: „Karl May auf der Bühne III“. Es handelt sich um den dritten von vier Bänden der Buchreihe, mit der der Verlag seit 2021 die Geschichte der zahlreichen Theateraufführungen mit Karl Mays Traumwelten aufrollt. Die Autoren Nicolas Finke und erzählen im neuen Band unter anderem die Story der Karl-May-Shows in der Wiener Stadthalle, dokumentieren interne Korrespondenz ebenso wie Pressestimmen, Szenen- und PR-Fotos sowie Werbematerialien und lassen ehemalige Mitwirkende zu Wort kommen. Daneben geht es im neuen Buch um die Geschichte weiterer österreichischer Karl-May-Festspiele, zum Beispiel in Winzendorf, Staatz und Kollersdorf, auch um groß angelegte Projekte, die nie realisiert wurden, wie Karl-May-Freilichtspiele in den 1960er-Jahren bei Stotzing im Burgenland.
Über die Buchreihe und den dritten Band:
Seit den 1950er-Jahren haben Karl-May-Festspiele von Bad Segeberg bis Elspe Tradition – Hunderttausende pilgern heute Jahr für Jahr zu mehr als zehn Freilichtbühnen im gesamten deutschsprachigen Raum. Stars wie Pierre Brice, Alexander Klaws, Gojko Mitić, Wayne Carpendale oder Claus Wilcke hauchten Karl Mays Figuren in zahlreichen Bühnenfassungen Leben ein. Winnetou zum Anfassen – das begeistert das Publikum bereits seit den 1910er-Jahren, als Mays Apatschenhäuptling erstmals auf einer Bühne Leben eingehaucht wurde.
Der dritte Band von „Karl May auf der Bühne“ (400 Seiten, Großformat 21,0 x 29,7 cm, mit 533, teils bislang unbekannten Fotos) widmet sich Karl-May-Inszenierungen zu DDR-Zeiten in Rathen, Jonsdorf und an den Greifensteinen sowie auf weiteren Bühnen im Osten Deutschlands – wie im Harzer Bergtheater Thale mit Stargast Gojko Mitic als Winnetou oder in Bischofswerda, wo seit 1993 mit großem Erfolg Kinder und Jugendliche Karl Mays Abenteuergeschichten unter freiem Himmel aufführen.
Das Open-Air-Erlebnis stand auch im Mittelpunkt der österreichischen Karl-May-Festspiele, die ab Anfang der 1980er-Jahre an mehreren Orten gegründet wurden, unter anderem nach Elsper oder Segeberger Vorbild. Doch Mays zeitlose Helden sollten auch unabhängig vom Wetter ihr Publikum erreichen – in großen Hallen als Spektakel, beispielsweise in der Wiener Stadthalle, der Dortmunder Westfalenhalle und der Berliner Deutschlandhalle, aber auch in Theaterhäusern. Manch ein Produzent träumte davon, mit dem Apatschenhäuptling auf Tournee zu gehen – Träume, die die Macher immer wieder vor Herausforderungen stellten. So ging die groß angelegte Winnetou-Tournee mit Pierre Brice 1982 pleite. Mit Widrigkeiten kämpfte auch die Gastspielproduktion eines Kieler Konzertunternehmens, das einen Großteil des Ensembles der Bad Segeberger Karl-May-Spiele 1984 zu Freilichtbühnen im deutschsprachigen Raum schickte, darunter auch auf die Waldbühne Berlin. Die geplanten Auftritte in München allerdings mussten abgesagt werden, da ein Unwetter die Zuschauertribüne zerstört hatte.
Dazu der Verleger Bernhard Schmid:
„Karl May ist ein Phänomen und auf zahlreichen Bühnen nach wie vor ein Dauerbrenner. Mitzuerleben, wie Akteure unter freiem Himmel die Helden aus den Geschichten des erfolgreichsten deutschsprachigen Schriftstellers lebendig werden lassen, ist faszinierend und beeindruckend zugleich. Blicken wir in der May-Bühnenhistorie zurück, ist die Vielfalt der Inszenierungen und Spielorte enorm: Winnetou gab’s in der Wiener Stadthalle, auf der Waldbühne Berlin, der Felsenbühne Rathen und auch in der Stadthalle Castrop-Rauxel. Mit unserer Buchreihe, die bereits im gesamten deutschsprachigen Raum für Aufsehen sorgte, widmen wir uns einem wichtigen Kapitel deutscher, aber auch internationaler Theatergeschichte.“
Die Veröffentlichung des vierten und letzten Bandes der Buchreihe zu Winnetous Bühnenpräsenz ist für 2024 geplant.
Nicolas Finke und Reinhard Marheinecke: „Karl May auf der Bühne“, Band 3, Karl-May-Verlag Bamberg · Radebeul, August 2023, 400 Seiten, Großformat 21,0 x 29,7 cm, ISBN 978-3-7802-0145-4, 59 Euro, Hardcover / laminierter Pappband mit Gold-Veredelung