Der „Spitz“ von Izmir, oder aber die Sternstunde des 22-jährigen Hickersberger-Ersatzes Herbert „Schneckerl“ Prohaska! Der türkische Torhüter Eser Özaltindere hatte gegen die Schuhspitze Prohaskas keine Chance. 

Als „Sau-Spitz“ bezeichnet man in der fußballerischen Umgangssprache hierzulande jene unspektakuläre Art und Weise, den Ball ganz vorne, also mit der Schuhspitze zu spielen. Und „Spitz-Schießer“ nennt man jene „Ball-Zauberer“, die eher der Handwerkszunft zugänglich sind und die das Wort „Technik“ nur vom Hörensagen her kennen. Umso interessanter ist es dann, wenn ein absoluter Fachmann am Ball, ein Primgeiger und Ästhet in Sachen Fußballsport, der nie und nimmer – lieber würde sich derjenige das Bein amputieren lassen – den Ball mit der Fußspitze berühren würde, weil das schon alleine seine Würde verletzt und sein Können gar nicht zulässt, wenn also genau so ein Rastelli ein Tor mit dem „Spitz“ erzielt. So geschehen am Sonntag, 30. Oktober 1977, gegen 16 Uhr Ortszeit. Schauplatz war das Atatürk-Stadion zu Izmir. 80.000 fanatische Zuschauer verfolgten mit anhaltendem Atem in jenem Moment der 70. Spielminute die drei Hauptdarsteller dieser Szene Willi Kreuz, Hans Krankl und Herbert Prohaska. Jedoch – wie immer bei uns – der Reihe nach;

Wie hier an anderer Stelle bereits mehrfach erzählt, hatte die Österreichische Fußball-Nationalmannschaft, die damals – 1977 – umgangssprachlich eine „Bomben-Truppe“ war, hervorragende Chancen, sich nach 20 Jahren wieder einmal für eine Fußball-Weltmeisterschaft zu qualifizieren. „Das kleine Österreich im fußballerischen Konzert der Großen!“ – diesen letzten Schritt wollte man unbedingt noch setzen. Ein Unentschieden könnte eventuell reichen, wenn die anderen Nationen mitspielen würden, jedoch mit einem Sieg bei den fanatischen Türken wäre alles klar.

Zur Ausgangslage

Österreich war Tabellenführer der WM-Gruppe 3 gewesen. 8 Punkte aus 5 Spielen (damals gab es noch 2 Punkte für den Sieg) und eine Tor-Differenz von 13 : 2 stand auf der Habenseite. Knapp dahinter stand die DDR (heute nicht mehr existente Deutsche Demokratische Republik). Die Ost-Deutschen hatten 7 Zähler und eine Tor-Differenz von 13 : 3 aus 5 Spielen aufzuweisen. Dann kam die Türkei mit 3 Punkten aus 3 Spielen. „Mit einem Sieg über Österreich sind wir wieder voll im Rennen!“ hatte der türkische Teamchef Metin Türel ehrgeizig verlautbaren lassen. Abgeschlagen in der Gruppe als Tabellenletzter war Malta mit 0 Punkten und 0 : 24 Toren.

Faksimile KURIER vom 1. November 1977. Sammlung: oepb

Die Nacht davor

Die Türkei ließ nichts unversucht, um den erhofften Sieg über Österreich auch zu erreichen. So wurde das Spiel nach Izmir verlegt, denn noch nie zuvor hatten die Türken dort ein Match vergeigt. Und man wollte auch die Gäste mürbe machen. Die ganze Nacht über lärmten die türkischen Schlachtenbummler, die aus allen Landesteilen angereist waren, rund um das Hotel Efes. Die Polizei riegelte jedoch auf Anordnung des Bürgermeisters das Umfeld hermetisch ab – aus dem einfachen Grund: auch die türkische Nationalmannschaft logierte im Hotel der Österreicher.

Der Weg zum Stadion

Nach einem kräftigen Beefsteak zu Mittag bahnt sich der Bus des ÖFB-Trosses seinen Weg durch die brüllende Masse zum Stadion. Im bereits seit 11 Uhr hoffnungslos überfüllten Atatürk-Stadion angekommen, drehen die Nationalspieler eine erste Runde am Rasen und werden dabei gnadenlos ausgepfiffen. Später betreten die ersten türkischen Nationalspieler den Platz zum Aufwärmen. Tosender Jubel und Beifall setzt ein. Und dann noch die Havarie mit den Trikots! Österreich wollte in roten Leibchen und weißen Hosen spielen, genauso traten auch die Türken – wenngleich dies im Vorfeld nicht vereinbart war – auf. Da der Zeugwart Helmut Legenstein jedoch nur diese Garnitur im Gepäck hatte und die Türken sich vehement weigerten, in einer anderen Dress aufzulaufen, erhielten die Österreicher eine Garnitur von Altay Izmir ausgehändigt. Ratzfatz musste freilich noch mühsam und von Hand der Halbmond auf den Trikots abgetrennt werden.

Das Spiel

Die DDR schlug am Vorabend Malta – mit dem gleichen Resultat wie Österreich am 30. April 1977 in Salzburg Lehen – mit 9 : 0. Unter diesen Voraussetzungen musste nun ein Sieg her, um alle Spekulationen verpuffen zu lassen. Bei einem Remis Österreichs würde sich im Falle eines 2 : 0-Sieges in der Türkei die DDR für Argentinien qualifizieren. Diese Gedanken im Hinterkopf tragend ging es ins Spiel. Bemerkenswert war, dass die Stimmung im Stadion just zu Spielbeginn ruhiger wurde. Die türkischen Schlachtenbummler hatten sich derart verausgabt, dass sie schlichtweg heiser und müde geworden waren. Und als dann noch Österreich Herr am Platz war, hörte man nur noch die 10.000 Österreichischen Schlachtenbummler im weiten Rund. Auch Torchancen gab es in Hülle und Fülle. Hans Krankl in der 5., als auch in der 42. Minute, Kurt Jara in der 27. Minute und Roland Hattenberger in der 57. Minute hätten durchwegs Tore für Österreich erzielen können. Es stand jedoch 0 : 0. Bis zur 71. Spielminute:

Tor von Prohaska nach Traumlauf von Hans Krankl

Hans Krankl marschiert an der linken Flanke unaufhaltsam in Richtung Tor der Türken. Mit ihm waren Willi Kreuz und Herbert Prohaska mitgeeilt. Knapp vor der Toroutlinie erfolgt die Hereingabe zur Mitte auf – so hat es den Anschein – Willi Kreuz. Semercioglu Turgay fälscht den Ball ab, Torhüter Eser Özaltindere wird überrascht und die rechte Fußspitze von Herbert Prohaska, der aus der Tiefe des Raumes urplötzlich auftaucht, bugsiert das Leder in das Allerheiligste der Türken. Österreich führt verdient mit 1 : 0, der berühmte „Spitz von Izmir“ ward somit geboren.

Einziger Wermutstropfen – Krieger gesperrt

Eduard Krieger sah in der 38. Spielminute Gelb. Die zweite Gelbe Karte für ihn im Laufe der WM-Qualifikation bedeutete, dass der Edi beim ersten Antreten Österreichs in Argentinien pausieren musste. Nun, es sollte Schlimmeres passieren.

Jubel, Trubel, Heiterkeit

Bis zum Schlusspfiff geschah nicht mehr allzu viel und der verdiente fünfte Länderspiel-Erfolg Österreichs über die Türkei wurde eingefahren. Wie glücklich alle nach dem Schlusspfiff waren, bewies die Tatsache, dass der erfolgreiche Teamchef Helmut Senekowitsch auf Wunsch eines türkischen Fotografen seine Schuhe auszog und herschenkte. Im schönsten Augenblick seiner Karriere marschierte der Trainer in Socken herum. Werner Kriess und Hans Pirkner schulterten ihren Erfolgs-Coach und ein von einem Erz-Austrianer namens Erich – jahrzehntelanger Lokalbetreiber des Alt Favoriten zu Wien X – mitgebrachter rot-weiß-roter Fan-Zylinder wurde kurzerhand dem Goldtorschützen Herbert „Schneckerl“ Prohaska aufgesetzt. Dieser kam übrigens “nur” als Ersatz in die Mannschaft, weil Josef “Pepi” Hickersberger am Blinddarm operiert wurde und dadurch ausfiel.

Der Rest zählt zur Fußball-Geschichte Österreichs

Österreich reiste demnach 1978 nach 20-jähriger Abstinenz wieder einmal zu einer Fußball-WM, schlug in Argentinien nicht nur Spanien (2 : 1) und Schweden (1 : 0), sondern konnte auch nach 47 Jahren wieder einmal die Bundesrepublik Deutschland (3 : 2) bezwingen. Der damals regierende Weltmeister musste nach der Niederlage von Cordoba gemeinsam mit Rot-Weiß-Rot die Heimreise antreten. Das kleine Österreich kehrte als Nummer 7 der Welt hoch erhobenen Hauptes aus Südamerika wieder nach Wien zurück.

Quelle: Redaktion www.oepb.at

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