Johann Rinner blutet heute noch das Herz, wenn er an sein Lebenswerk SK VÖEST zurückdenkt. Geblieben sind ihm die Erinnerungen an große Spiele und tolle Erfolge. Am Foto posiert er 1981 knapp vor seinem beruflichen Abschied aus der VÖEST-Alpine. Das Nou-Camp-Stadion zu Barcelona an der Büro-Wand blieb ein stummer Zeuge an die Auftritte im Europapokal der Landesmeister vom Herbst 1974. Foto: © oepb

Der SK VÖEST Linz konnte am 1. Juni 1974 (Anmerkung: 2 : 0-Heimsieg vor über 6.000 Zuschauern gegen die Vienna, zweifacher Torschütze: Michael Lorenz) den Titel in der damaligen Nationalliga feiern und war somit nicht nur der letzte österreichische Fußball-Meister vor Gründung der heute bekannten und bewährten Bundesliga, sondern bis dato auch der letzte diesbezügliche Titelträger aus dem Bundesland Oberösterreich.

Einer, der damals die Geschicke rund um die erfolgreichen Werksportler leitete, war, wie kein anderer, Johann Rinner, dessen Namensgleichheit mit Hans Rinner, dem heutigen Präsidenten der Österreichischen Fußball-Bundesliga rein zufällig ist. Das oepb traf den im 94. Lebensjahr stehenden Mister VÖEST“ in Traun bei Linz und führte mit ihm das nachstehende überaus interessante  Interview, welches hier nun auszugsweise wiedergegeben wird:

Johann Rinner als Tischtennis-Aktiver im Jahre 1952, sitzend zweiter von rechts. Foto: privat

Gernot Aglas / oepb:

Werter Herr Rinner, uns würde Ihr Tun rund um den Sportklub VÖEST interessieren, wie fing das für Sie persönlich nach dem Krieg 1945 an?

Johann Rinner:

Na ja, wenn ich das kurz zusammenfassen darf: Ich war beim letzten Gefecht in Kufstein gegen die Amerikaner dabei und geriet in Gefangenschaft. Ich bin gebürtiger Steirer (aus Weiz), weil aber bei uns daheim die Russen waren, haben sie mich nach Linz entlassen.

Als gelernter Maschinenmonteur habe ich dann in der Elektroabteilung der VÖEST angefangen. Das waren harte Zeiten damals, weil es zum Beispiel keinen öffentlichen Verkehr gab. Meine Frau, eine heimatvertriebene Sudetendeutsche, und ich, wir bewohnten ein Zweibett-Zimmer und sind über ein halbes Jahr ins Werk zu Fuß gegangen.

Irgendwann später fuhr ein offener LKW, der brachte uns dann in die VÖEST zur Arbeit. Heute unvorstellbar. Doch dies war der Beginn für den späteren Aufschwung der ehemaligen „Eisenwerke Oberdonau“.

Der Beginn der Fan-Post, heutzutage Merchandising, in der Saison 1971/72. Man beachte die Vereinsfarbe: Schwarz-Weiß! Gemäß Herrn Rinner wurde im Sommer 1972 das Schwarz in Blau gewandelt, weil es nicht sein könne, dass zwei rivalisierende Vereine aus der gleichen Stadt auch die gleichen Farben hätten. Bekanntlich ist der LASK schwarz-weiß.

oepb:

Das Werk war komplett zerstört und lag in Schutt und Asche?

J. R.:

Als ich am 3. September 1945 angefangen habe, sah es dort fürchterlich aus. Die ganzen Betriebsstätten waren zerbombt und im herannahenden Herbst und Winter war es kalt. Es war nicht angenehm, aber der Aufbauwille allerorts war da, es herrschte ein Zusammenhalt und man wusste irgendwie, dass da wieder etwas kommen würde. (Anm.: Der spätere Zentralbetriebsratsobmann und Abgeordnete zum Nationalrat Franz Ruhaltinger – er wurde 1981 Johann Rinner´s Nachfolger – schlug in die gleiche Kerbe und meinte: „…dass in den schwierigen ersten Jahren der Nachkriegszeit nichts da war, aber mit den eigenen Händen haben wir unser Werk wieder aus dem Dreck gezogen. Ich selbst fühlte mich wie ein Kaiser, als ich mir ein Radl leisten konnte, um vom Spallerhof, wo ich wohnte, ins Werk zur Arbeit zu fahren.“) Die VÖEST ist in weiterer Folge wirklich groß geworden. Ich hab dann bis 1953 in der Elektrohauptstätte gearbeitet. Der damalige Zentralbetriebsratsobmann Walter Brauneis bestellte mich in sein Büro und meinte, dass er das Gefühl hätte, ich könnte am besten die frei gewordene Referentenstelle im Sportreferat ausfüllen. Ich wollte mir das zuerst einmal ansehen, bin aber 1954 euphorisch ins Sportreferat übersiedelt und übte diese Funktion bis zum Winter 1980/81 aus. Damals hatten wir 8 Sport-Sektionen mit 2.500 Mitgliedern, 1981 waren es 19 Sektionen mit knapp 10.000 Mitgliedern. Der SK VÖEST konnte in diesen Jahren in Summe 170 Staatsmeister-Titel einfahren, holte 807 Landesmeisterwürden und 3 Regionalliga-Titel. Unser Sportler nahmen an drei Olympiaden, sowie an zwei Fußball-Weltmeisterschaften (Anm.: 1978 Gerhard Breitenberger und Erwin Fuchsbichler, sowie 1982 Max Hagmayr) teil. Fußball und Handball waren unsere Aushängeschilder, wobei wir natürlich auch die anderen Sektionen in keinster Weise vernachlässigten.

Das Jahr 1974 zählt zweifellos zu den bedeutendsten in der Vereinsgeschichte. Der große CF Barcelona war zu Gast in Linz. Johann Rinner (rechts) begrüßt Bondscoach und Trainer der Katalanen Rinus Michels im Gästehaus der VÖEST-Alpine. Foto: privat

oepb:

Bereits 1946 wurde ein Fußball-Verein unter dem Namen FC Eisen und Stahl gegründet?

J. R.:

Ja, und wir haben uns hinaufgearbeitet. Ab 1949 kämpften wir unter dem später dann österreichweit bekannten Namen SK VÖEST um Punkte. Ich kann mich noch gut erinnern, als wir gegen Union Steyr auf einem sehr kleinen Platz spielten, das war fürchterlich. Doch jedes Jahr verstärkten wir das Team. Wir taten uns aber auch leicht, da wir einen Arbeitsplatz in der VÖEST in Aussicht stellen konnten. Es war zwar keine fertige Arbeit, aber die Leute wollten damals noch etwas tun und einen guten Arbeitsplatz zu bekommen war nicht so leicht gewesen. Und so hatten wir uns in den 1950er Jahren  bis in die Landesliga hinaufgearbeitet und wurden dort auch 1958 und 1961 Meister von Oberösterreich. In der Regionalliga ging es dann in den frühen 1960er Jahren weiter und wir schauten uns auch bereits österreichweit um geeignete Spieler um. Ich denke, unsere Einkaufspolitik war keine schlechte. Wenn wir zum Beispiel einen Spieler von Vorwärts Steyr um 60.000 Schilling (€ 4.360,-) verpflichteten, dieser sich bei uns weiter entwickelte und wir ihn dann um 2 Millionen Schilling (€ 145.345,-) verkaufen konnten, gefiel das natürlich auch dem seinerzeitigen Generaldirektor der VÖEST, Dkfm. Heribert Apfalter. Er sah, dass wir mit dem zur Verfügung gestellten Kapital gut wirtschaften konnten. Ich möchte hier auch gleich das Märchen ausräumen, dass wir Steuer-Millionen in die Fußballer gesteckt hätten. Das stimmt nicht, denn wenn wir einen verdienstvollen Spieler mit Gewinn verkaufen konnten (Horst Missfeld zu Admira/Wacker, Josef Stering nach Innsbruck, Reinhold Hintermaier zum 1. FC Nürnberg, Dieter Mirnegg ins Ruhrgebiet zum MSV Duisburg, Max Hagmayr ins Badener Land zum Karlsruher SC, etc.) flossen diese Erlöse in unseren Budget-Topf. Die jährlichen Zuwendungen aus dem Werk wurden dann um diese Erlöse natürlich verringert. Unser seinerzeitiger Kassier Wilhelm Altenstrasser achtete stets darauf, dass alles mit rechten Dingen zugeht und wir gaben nie mehr Geld aus, als uns das Werk zur Verfügung gestellt hatte, oder als wir selbst einnehmen konnten.

oepb:

Der Verein war also mit seinem Etat eigenständig, Sie haben sozusagen eine Art Einnahmen- und Ausgabenrechnung betrieben.

J. R.:

Wir hatten natürlich den Vorteil, weit über 10.000 Mitglieder im Sportklub zu haben und eine Belegschaft von 50.000 Mitarbeitern. Im Sportklub gab es den Sportgroschen, das war 1 Schilling (€ 0,07) pro Monat und der Belegschaft wurden monatlich 2,50 Schilling (€ 0,18) für den Sport abgezogen. Das hat jeder bezahlt und wir hatten eine stete Einnahmequelle. Natürlich hatten wir auch schon Sponsoren, aber wir verfolgten stets unsere Linie, von der wir nicht abgewichen sind und die wir verantworten konnten. Die Erfolge gaben uns letzten Endes Recht. Wir sind in den 1970er Jahren zweimal Vize-Meister (Anm.: 1975 und 1980), sowie einmal Meister 1974 gewesen und in der 10er-Liga (Anm.: von 1974 bis 1982) waren wir hinter der Wiener Austria und RAPID stets die dritte Kraft im ganzen Land (Anm.: Rechnet man die 8 Saisonen 10er-Liga punktemäßig zusammen, so lautete die Reihung: Austria, RAPID, VÖEST). Die schlechteste Tabellen-Platzierung in der 10er-Liga in meiner Zeit war Rang 6, mit dem Abstieg hatten wir nie etwas zu tun. Also der Fußball hatte wirklich seinen Stellenwert und es war etwas da. Wenn ich heute so zurück denke, wie das Stadion immer voll war, wir den Platzhirsch LASK überbieten konnten, im Europapokal der Landesmeister den CF Barcelona zugelost bekamen und hier in Linz vor über 26.000 Zuschauern den Katalanen ein 0 : 0 abgerungen hatten, dann waren das schon einzigartige Erlebnisse. Der holländische Trainer Rinus Michels meinte damals zu mir, dass der SK VÖEST auch gewinnen hätte können. Im Rückspiel wollten wir mitspielen und liefen ins offene Messer, 0 : 5 verloren. Das sind alles nette Erinnerungen, aber eben leider Schnee von gestern. Apropos, das möchte ich noch erzählen: Der Barcelona-Bus war schon weg und Herr Michels stand, da er so viele Interviews zu geben hatte, verloren am Stadion-Parkplatz mutterseelenallein da. Also schnappte ich ihn kurzerhand, verfrachtete ihn mit Sack und Pack in mein Auto und chauffierte ihn nach Hörsching zum Flieger. Unvorstellbar, oder glauben Sie, Herr Aglas, dass das heutzutage mit (Frage: Wie heißt der neue Bayern-Trainer?) Josep Guardiola, als der noch bei Barca war, möglich wäre?

Dieses Logo und der Verein war Johann Rinner sehr wichtig. Sport und Fußball prägte Zeit seines Lebens sein Schaffen im größten Werksverein Österreichs.

oepb:

Nein, ganz sicher nicht. Das Ganze klingt auch heute noch wahrhaftig unglaublich. Und Herr Michels war …

J. R.:

… ein wahrer General, den Namen trug er nicht umsonst! Er dozierte und wir plauderten sehr gut anhand der Autofahrt und er jammerte im September noch dem verlorenen WM-Endspiel gegen Deutschland vom Juli in München nach, da der Bondscoach der Ansicht war, Deutschland wäre an diesem Tag zu schlagen gewesen (Anm.: BR Deutschland vs. Holland, 2 : 1, 7. Juli 1974, Fußball-WM-Finale in München)

oepb:

Zurück zu Ihnen, Sie waren Tischtennis- und Handball-Aktiver, wurden aber mit dem Fußball berühmt.

J. R.:

Ja, das stimmt, weil eben der Fußball quasi ein Allwetter-Sport ist, der rund ums Jahr betrieben wird. Auch zieht der Fußballsport die meisten Leute in seinen Bann. Und so hatte ich eben mit dem Fußball viel mehr zu tun, als mit den anderen 18 Sektionen. Und ich war auch in Wien als Vorsitzender des Bundesliga-Spielausschusses aktiv. Dadurch hatte ich natürlich eine enge Verbindung zum Spitzenfußball.

oepb:

Abseits vom Spitzenfußball muss man aber auch immer wieder erwähnen, dass Sie Obmann von 19 Sport-Sektionen waren, in denen tausende VÖEST´ler neben der harten Arbeit einer sinnvollen Freizeitbeschäftigung nachgegangen sind. Ein Fulltime-Job also.

J. R.:

Ja, genau, im Laufe der Jahrzehnte ist allerhand zusammengekommen und wir hatten in sämtlichen Sektionen wirkliche gute Spitzensportler, beispielsweise bei den Leichtathleten, den Schwimmern, den Judokas, den Gewichthebern und auch bei den Handballern. Der SK VÖEST war 1971 und 1972 der letzte Feldhandball-Meister, darauf bin ich heute noch stolz. Dann wechselte der Handballsport im Sommer 1972 vom Feld in die Halle, aus einer Elf wurde eine Sieben und das Spiel wurde rasanter und athletischer. Doch unsere Handballer sind 1984 leider auch verschwunden.

Selten ein Herz und eine Seele, aber zwei Funktionäre vom Scheitel bis zur Sohle. Johann Rinner (links) und LASK-Präsident Rudolf Trauner anläßlich eines der unzähligen Linzer Stadt-Derbys in den 1970er Jahren. Für ihre Klubs sprangen beide sprichwörtlich durchs Feuer. Foto: privat

oepb:

Verschwunden wie der Fußballklub SK VÖEST, dem Ihre ganze Liebe gegolten hatte. 1969 ins Oberhaus aufgestiegen und 5 Jahre später, just zum 25jährigen Vereins-Jubiläum, Österreichischer Meister geworden. Der letzte Fußballmeister aus Oberösterreich …

 J. R.:

Das war natürlich eine große Freude, dass uns das gelungen ist, denn es gab damals auch andere Mannschaften, die sehr gut waren. Wacker Innsbruck, Austria Wien, RAPID und auch der LASK, der ja 9 Jahre vor uns Meister und Cupsieger geworden waren. Geformt hat uns diese Mannschaft Trainer Günter Praschak, der zweieinhalb Jahre bei uns war. Die Früchte dieser Arbeit konnte dann Helmut Senekowitsch ernten, der 4 Jahre später mit Österreich zur Fußball-WM nach Argentinien fahren konnte. Seine Erfolge dort sind ja bekannt. Beide Herren sind leider bereits verstorben.

oepb:

Der SK VÖEST nahm auch oftmals am Intertoto-Bewerb teil.

J. R.:

Richtig, auch hier konnten wir das Werk Linz – egal ob in Stockholm, Budapest, Krakau, Kopenhagen, Bern oder Pressburg – sehr gut repräsentieren, und waren der erste österreichische Verein, der diesen Bewerb gewinnen konnte: 1972, sowie 1975 mit 6 Siegen aus 6 Spielen. Ausserdem unternahmen wir große Tourneen: 1972/73 nach Saudiarabien und in die Türkei, sowie 1975/76 nach Indonesien. Von diesen Reisen könnte ich Ihnen Geschichten erzählen, aber das würde hier vermutlich den Rahmen sprengen. Nur so viel: Unser Trainer Alfred Günthner wurde beim Spiel in Jakarta gegen die indonesische Nationalmannschat am Spielfeld stehend verhaftet: Unser Torhüter Erwin Fuchsbichler wehrte mit einem faustähnlichen Reflex einen Gegenspieler ab, der mit beiden Beinen in ihn hineingesprungen war, obwohl unser „Fuchsi“ den Ball bereits fest unter sich begraben hatte. Gegen dieses rüpelhafte und unsportliche Vorgehen des Gastgebers trat Günthner auf und wurde abgeführt. Dieses Tohuwabohu führte in weiterer Folge zu Schlägereien am Feld und unsere Mannschaft erhielt Polizeibewachung. Dies sah insofern lustig aus, da „Fuchsi“ mit über 1,90 Meter Körpergröße die doch eher kleinwüchsigeren indonesischen Polizisten mit ihren Helmen und Schildern allesamt überragte.

Abendliche Jour-fixe-Veranstaltung zum Thema „Linzer Fußballsport“ im OÖ-Presseclub in den späten 1970er Jahren im Ursulinenhof. Im Vordergrund referiert LASK-Sekretär Franz Enzenebner, die SK VÖEST-Vorstände (von links) Johann Rinner, Hans Brandlmayr und Wilhelm Wolf lauschen gespannt. Foto: privat

oepb:

Themenwechsel bitte zum Fundament eines jeden Klubs, dem Nachwuchs: dieser war Ihnen auch ein stetes Anliegen.

J. R.:

Richtig, danke für die Frage. Mir tut es heute noch leid, wenn ich sehe, dass es den Unter 21-Bewerb nicht mehr gibt. (Anm.: Die Unter 21-Teams bestritten im gleichen Meisterschafts-Modus wie die Großen stets das Vorspiel zur jeweiligen Bundesliga-Begegnung gegen die Alterkollegen des jeweiligen Gegners und die blutjungen Fußballer hatten die Möglichkeit, vor vielen Zuschauern ihr Können aufzuzeigen. Gerade beim Linzer Derby waren oft schon an die 10.000 Besucher zum Vorspiel da, das Hauptspiel verfolgten zu Johann Rinners Zeiten dann meist 20.000 Linzer und mehr). Unsere jungen Fußballer machten sich gut und auch hier wurden wir Österreichischer Meister (Anm.: erstmals Saison 1976/77) Helmut Wartinger, Manfred Schill, Siegfried Bauer (und später viele andere mehr) um nur einige zu nennen, kamen über das Unter 21-Team und wurden dann gestandene Bundesliga-Spieler des SK VÖEST. Heute gibt es im Oberhaus zwar die Amateur-Teams, die aber in den jeweiligen Regional-Verbänden oftmals unter Ausschluss der Öffentlichkeit ein Kümmerdasein fristen. Ich verfolge das nach wie vor und sehe, wie beispielsweise die RAPID- und Austria-Amateure in der Regionalliga Ost vor 200 Leuten spielen. Unter uns gesagt ist das eine Frechheit und für junge Fußballer nicht gerade förderlich. Der ÖFB und die Bundesliga sind hier gefordert und ich verstehe diese Unsinnigkeit bis heute nicht, warum dieser Bewerb mit diesem Modus ausradiert wurde. 

Würdigung von Johann Rinner in der Werkszeitung „VÖEST-Sport“ aus Anlass
seines bevorstehenden Ruhestandes im Jänner 1981. Foto: Faksimile priv. Sammlung

oepb:

Fußball war das große Aushängeschild des Industriekonzerns. Damals hat man sich so etwas geleistet – heutzutage leistet sich das Werk so etwas nicht mehr.

J. R.:  

Ja leider, das tut mir heute noch weh. Und ich meine, man muss es ehrlich sagen, ein Großbetrieb hat ja eine gewisse moralische Verpflichtung, etwas für die Kultur und den Sport zu tun. Und für mich war das unerklärlich, dass man den Fußball einfach hat hängen lassen, aber das hatte natürlich auch mit der Generaldirektion zu tun. Die jeweiligen General-Direktoren zu meiner Zeit Dipl.-Ing. Walter Hitzinger, Dr. Herbert Koller, Dkfm. Heribert Apfalter hatten für den Sport immer ein offenes Ohr. Mit der Stahlkrise Mitte der 1980er Jahre wurde es für Dr. Richard Kirchweger, Dr. Herbert Lewinsky und Dr. Ludwig von Bogdandy schon schwieriger, den Sport im Werk weiterhin zu etablieren. Und als dann Dr. Peter Strahammer kam, war es um die Fußballer ohnehin geschehen. (Anm.: nach der Vereins-Umbenennung von SK auf FC VÖEST 1990 wurde 1991 der FC STAHL Linz aus der Taufe gehoben. 1993 firmierte man nur mehr unter FC Linz, dem Anfang vom Ende, ehe man 1997 im Zuge einer geschickt eingefädelten Fusion mit dem LASK die ungeliebt gewordenen Werksportler einfach elegant beiseite schaffte).

oepb:

Heutzutage hat jeder Verein seinen Manager, damals hat es Fußball-Manager in dieser Art nicht gegeben und Sie waren ein Vorreiter dieser Spezies.

J. R.:

Die Geschäfte in dieser Beziehung habe ich als Obmann gemacht und wir hatten damals ein gutes Funktionärs-Team. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir alle ehrenamtlich aktiv waren, das ist heute nicht mehr selbstverständlich, und mit der Unterstützung dieser Leute tat man sich dann leicht. 

Ein sehr nachdenklich wirkender Johann Rinner im Linzer Schlossmuseum 2008 anlässlich der Ausstellung „Fussball: Geschichten & Geschichte“. Foto: Michael Hummer

oepb:

Thema Spielerkäufe und -verkäufe. Beginnen wir mit Horst Missfeld.

J. R.:

Meinen Respekt, Sie sind gut vorbereitet. Horst Missfeld war Deutscher, kam von Holstein Kiel und wir waren mit ihm sehr zufrieden. Von 1971 bis 1973 spielt er für den SK VÖEST. Dann hatten wir die Möglichkeit, ihn in die Südstadt zu Admira/Wacker mit beträchtlichem Gewinn weiterzuverkaufen. Missfeld rief mich an und sagte, dass er nicht zu Admira/Wacker wechseln wolle. Auch seine Frau fühle sich in Linz sehr wohl. Ich erwiderte, dass wir mit ihm ein Geld verdienen können, das wir brauchen. Darauf meinte er, umsonst für uns weiterzuspielen, nur damit er hier bleiben könne. So etwas erlebt man nur einmal im Fußball. 

oepb:

Auch bei Josef Stering gibt es eine tolle Anekdote.

J. R.:

Wir wussten, dass unser Rivale, der LASK, an dem Spieler dran war. Also sind wir kurzerhand zu GAK-Präsident Franz Allic nach Graz gefahren. Es ist ja wichtig, zuerst mit dem Verein zu verhandeln. Wenn der grünes Licht gibt, ist es leichter, einen Spieler zu bekommen, als umgekehrt. Wir einigten uns also am Fuße des Uhrturms mit dem GAK und Stering wurde VÖEST-Spieler. Die Abordnung des LASK hingegen wartete artig am mit Stering vereinbarten Treffpunkt, dem Bahnhof Bruck an der Mur … umsonst, wie ich nicht ohne Stolz vermitteln möchte. LASK-Präsident Komm.-Rat Rudolf Trauner, mit dem ich jahrelang ein perfektes Verhältnis hatte, war damals lange Zeit sehr böse auf mich. Aber ich ziehe heute noch meinen Hut vor diesem absoluten Ehrenmann. 1975 konnten wir Stering mit Gewinn an Wacker Innsbruck weiterverkaufen, von dort wechselte er später zum TSV 1860 München. Generaldirektor Koller schüttelte anerkennend den Kopf, als er erfuhr, dass wir Stering mit Gewinn um 3 Millionen Schilling (€ 218.000,-) nach Tirol ziehen ließen.

Willi Kreuz und Johann Rinner im Linzer Schlossmuseum 2008 anlässlich der
Ausstellung „Fussball: Geschichten & Geschichte“. Die Art und Weise des
eingefädelten deals der Verpflichtung von Willi Kreuz zaubert Johann Rinner
auch heute noch ein spitzbübisches Lächeln ins Gesicht. Foto: Michael Hummer

oepb:

Und dann bitte noch eine Anekdote zu Wilhelm „Willi“ Kreuz.

J. R.:

Der Willi wollte nach der erfolgreichen Fußball-WM 1978 in Argentinien und seinen Jahren in Rotterdam nach Österreich zurück. Seine Töchter waren soweit groß und sollten österreichische Schulen besuchen. Unser Spieler-Trainer Ferdinand Milanovich kannte Willi Kreuz aus gemeinsamen Jugend-Tagen beim beim SV Donau Wien. Also holte quasi der Wiener Spezi seinen alten Kumpel am Flughafen Schwechat nach dem 3 : 2-Cordoba-Sieg gegen Deutschland ab mit einem unterschriftsreifen Vertrag in der Tasche. Mit diesem Schachzug konnten wir einige österreichische Vereine ausboten. Kreuz wurde VÖEST´ler und löste einen wahrhaften Zuschauer-Boom in Linz aus, den wir danach leider nie mehr wieder hatten. Im Schnitt kamen damals an die 10.000 Besucher, gegen den LASK und Austria Wien waren wir mit 26.000 Zuschauern ausverkauft, zu unseren Heimspielen.

Jene Streitmacht des SK VÖEST zog im Sommer 1973 los, um die österreichische Meisterwürde in die blaue Stahlstadt an die Donau nach Linz zu holen. Der Sportplatz im Werk, auf dem das Foto entstand, fiel 2004 der Abrissbirne zum Opfer. Heute steht dort die voestalpine-Stahlwelt.

oepb:

Und auch an Walter Schachner, der bei DSV Alpine Donawitz, dem kleinen Stahlbruder, unter Vertrag stand, waren Sie dran.

J. R.:

Aber hier mussten wir der Wiener Austria den Vorzug lassen. Josef Argauer erzählte mir in Wien anhand einer Bundesliga-Tagung, wie sie es angestellt hatten. „Um 3 in der Früh san die Gscherten wach worden.“ – Zitat Argauer. Da verstand ich: bei steirischem Bier und Wein wurde bis in die sinkende Nacht verhandelt und die Obersteirer, die uns konkurrenzmäßig nicht gerade wohl gesonnen waren, freuten sich, den aufstrebenden 21jährigen Team-Spieler nicht nach Linz zur ungeliebten VÖEST, sondern eben nach Wien verkauft zu haben.

oepb:

Schachner scorte für die Austria in 3 Jahren in sämtlichen Spielen 179 Tore. Eine unfassbare Quote. Er hätte mit Willi Kreuz bestimmt prima harmoniert.

J. R.:

Die Austria war in diesen Jahren in Österreich das Maß aller Dinge. Genau genommen konnte ihnen sportlich niemand das Wasser reichen. Wir versuchten es dennoch, mit dem Erfolg der Vizemeisterschaft 1979/80 … hinter der Austria.

oepb:

Es ist überliefert, dass Sie stets an Montagen die Sportredaktionen angerufen hatten, wenn die jeweilige SK VÖEST-Berichterstattung vom Wochenende nicht Ihren Beifall gefunden hatte. Mit den polternden Worten: „Rinner hier …“ taten Sie gerne Ihren Unmut kund.

J. R.:

Dazu muss ich ehrlich sagen, dass wir ein sehr gutes Verhältnis zu den Medien hatten. Leo Strasser von den OÖ-Nachrichten, als auch Karl Schatz vom OÖ-Tagblatt, oder Gunther Dressnandt von der Kronen-Zeitung waren uns sehr gewogen. Und gegen berechtige Kritik ist auch nichts einzuwenden. Wenn allerdings unsere Spieler verteufelt wurden, oder wenn ein gutes Spiel als jämmerlicher Hundskick hingestellt wurde, dann ließ ich mir das natürlich nicht gefallen. Und wenn die Leistung der Spieler nicht stimmte, dann übten wir an ihnen ohnehin auch Kritik, taten dies aber immer innerhalb des Werks, es drang nichts nach aussen.

oepb:

Werter Herr Rinner, was denken Sie, gäbe es den SK VÖEST heute noch, wo würde er stehen?

J. R.:

Eine gute Frage. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass wir ja im Laufe der Jahre immer schlechter wurden und auch der Abstieg in die 2. Liga (Anm.: 1988) folgte. Wäre es nach mir gegangen, hätte man den Verein nicht sang- und klanglos 1997 auflösen müssen, sondern hätte in der 1. OÖ-Landesliga unter dem Namen SK VÖEST mit Talenten weitergespielt. Wozu Werksteams fähig sind, sieht man doch in Eindhoven (Philips) oder Leverkusen (Bayer). Mir blutet heute noch das Herz, wenn ich sehe, was aus meinem SK VÖEST geworden ist. Wir waren Funktionäre mit Herzblut und Handschlag-Qualität. Dieser Ruf eilte uns voraus. Der Lauf der Zeit brachte mit sich, dass alles ein wenig anders wurde und auch der Fußball im Werk Linz seinen Stellenwert komplett verlor …

Bilder sagen mehr als Worte. Die Stehterrasse der Linzer Gugl bei einem Heimspiel des SK VÖEST in den 1970er Jahren. Kopf an Kopf reihten sich die Besuchermassen und der Stadionsprecher hatte alle Stimmbänder voll zu tun, die Leute aufzufordern, noch weiter nach unten nachzurücken, weil draussen vor den Toren noch tausende Besucher auf Einlass warteten. Heutzutage schier unglaublich.

oepb:

Abschließend vielleicht bitte noch eine nette story, die in Ihrem Gedächtnis verankert blieb.

J. R.:

Ach, ich hätte noch eine Menge zu erzählen. Beispielsweise über den Augsburger Erwin Stahl – hier war leider nicht Nomen est omen – dem gleich in seinem ersten Spiel 1979, ausgerechnet dem Stadt-Derby gegen den LASK, ein herrliches Eigentor „gelang“. Leider half er uns nicht weiter und wir gaben ihn wieder ab. Aber im Großen und Ganzen hatten wir mit unseren Spieler-Verpflichtungen zu meiner Zeit sehr oft Glück gehabt. Die Sache mit Ove Flindt war auch ganz lustig, denn sein Transfer zu uns drohte zu platzen. Was war geschehen? Der übereifrig seinen Dienst versehende Werksposten bei der VÖEST-Einfahrt verwehrte dem Dänen den Zutritt mit der lakonischen Aussage, dass es einen momentanen Aufnahmestopp im Werk gibt. Und Fremdarbeiter werden ohnehin derzeit nicht genommen. Manager Othmar Bruckmüller telefonierte ganz aufgeregt von der gegenüberliegenden Shell-Tankstelle – Mobil-Telefone gab es im Jänner 1980 noch nicht – in mein Sekretariat und wir holten unsere gewünschte Neuverpflichtung quasi direkt vor Ort an der Pforte zum Werk persönlich ab. Das ganze war zeitlich sehr knapp, da das Ende der Transferzeit unmittelbar bevorstand. In negativer Erinnerung ist mir allerdings das Cup-Finale 1978 gegen Wacker Innsbruck.

Das Hinspiel in Linz (Anm.: zu dieser Zeit wurden die ÖFB-Cupfinal-Begegnungen noch in Hin- und Rückspiel ausgetragen) stand in einem seltsamen Licht. Es kursierte vor Spielbeginn das Gerücht, dass Teile der Tiroler Spieler das Match „verkaufen“ wollten. Ich hätte eines römischen Kaisers gleich von der Ehrentribüne aus nur ein Handzeichen geben müssen und einige Innsbrucker hätten dann wohl ihr Spiel eingestellt oder stümperhaft angelegt. Nein, nein, nicht mit mir, das war nie in unserem Sinn! Wir ließen uns auf diesen absolut unsportlichen Kuhhandel also nicht ein und so heißt eben der Pokalsieger 1978 Wacker Innsbruck nach einem 1 : 1-Remis in Linz und einer 1 : 2-Niederlage am Innsbrucker Tivoli aus unserer Sicht. Sie sehen also, Herr Aglas, dass sich diese Erzählungen noch stundenlang fortsetzen ließen …

Alles, was es im Leben zu erreichen gilt, fällt wohl leichter, wenn man dies
zu zweit versucht. Das Ehepaar Rinner war jahrzehntelang füreinander da und verkraftete somit auch den schmerzvollen Verlust des frühen und tragischen Ablebens der geliebten Tochter im Jahre 1975. Foto: © oepb

oepb:

Dem ist wahrlich nichts mehr hinzuzufügen. Sehr geehrter Herr Rinner, Sie werden im heurigen August 94 Jahre jung. An dieser Stelle meinen allerherzlichsten Glückwunsch an Ihre Gattin und Sie und noch viele schöne und lebensfrohe Momente in Ihrem Trauner Refugium.

J. R.:

Ich danke Ihnen vielmals, auch für das gute Gespräch. Mir ist wichtig, Erlebtes und Erfahrenes an die Nachwelt weiterzugeben und somit zu erhalten. Mit Fleiß und Elan ist vieles möglich im Leben und Niederlagen wird es immer geben. Die Kunst ist, nie liegen zu bleiben, sondern stets wieder aufzustehen. An dieser Stelle auch meinen aufrichtigen Dank an meine Gattin. Sie war all die Jahre hindurch sehr verständnisvoll, da ich ja oft nicht zu Hause war. Auch ihr gebührt riesengroßer Dank und Ankerkennung.

Quelle: Redaktion www.oepb.at

Mehr Geschichten vom SK VÖEST Linz bitte hier:

Storys über Johann Rinner zu finden hier:

Und über den ÖFB – wie gewohnt – bitte hier;

www.oefb.at

Erfahren Sie noch mehr über die Österreichische Fußball-Bundesliga bei uns bitte hier;

www.bundesliga.at

Weitere Geschichten des Autors rund um den verblichenen SK VÖEST:

www.oepb.at/fussball/neulich-in-der-voest.html

www.oepb.at/fussball/tagebuch-eines-fusball-fans.html

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