Buch-Cover Kathedralen im Revier / Zechenlandschaft Ruhrgebiet von Rolf Arno Specht. Foto: Klartext Verlag
Buch-Cover Kathedralen im Revier / Zechenlandschaft Ruhrgebiet von Rolf Arno
Specht. Foto: Klartext Verlag

Für manche ist es bloß ein Stück Kohle, aber für die Bergleute war es die Welt!“

Am 21. Dezember 2018 war “Schicht im Schacht” – schloss die Zeche Prosper-Haniel in Bottrop im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen, nachdem die letzten 7 Kumpel aus 1.200 Metern Tiefe ein letztes Mal in ihrem Förderkorb hochgefahren sind, für immer ihre Pforten.

Es flossen zahlreiche Tränen beim Schlussakt, denn mit dieser Schließung ging ein riesengroßes Stück deutscher Geschichte zu Ende.

„Ohne diese Geschichte wäre das ganze Land und seine Entwicklung in den vergangenen zwei Jahrhunderten nicht denkbar.“, so Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der ein sieben Kilo-Stück Steinkohle – auch „Das schwarze Gold“ genannt – der Kumpel überreicht bekam.

Und so endete die Steinkohlenförderung im Ruhrgebiet. Eine jahrzehntelange Ära ist nur mehr Geschichte.

Der Klartext Verlag in Essen nahm sich dieser langen und ereignisreichen Epoche mit dem Almanach Kathedralen im Revier / Zechenlandschaft Ruhrgebiet an.

Zahlreiche Bauwerke wurden bereits abgerissen und sind somit komplett aus dem Wahrnehmungs- und Landschaftsbild, aber auch der Erinnerung, verschwunden. Viele wurden allerdings auch einer neuen Bestimmung zugeführt. Kultur, Freizeit, Wohnen, Gewerbe, Kreativwirtschaft, Gastronomie, Bürgerdienste, Sport und mehr – der Fantasie zur Neu- und Nachfolgenutzung sind hier kaum Grenzen gesetzt. Einige alte Zechen dienen heute bereits als Museen, andere wiederum stehen ungenutzt als Denkmal in den Städten, deren pulsierenden Herzschlag sie einst gebildet hatten.

„Die tiefen Wolken ziehen schnell, am Horizont steht Glut. In Deiner Seele scheint es hell, Dein Feuer macht mir Mut.“

Bergwerke waren einst die Keimzelle und das unermüdlich pulsierende Herz der Städte und Stadtteile im Ruhrgebiet. Der Steinkohlenbergbau prägte das Gesicht der Region mehr als ein Jahrhundert lang. Allein Essen, die einst größte Bergbaustadt Europas, zählte insgesamt 290 aktive Zechen. Die Fördertürme dienten den Arbeitgebern als repräsentative Wahrzeichen und stifteten darüber hinaus Identität. 2018 wird die letzte Steinkohlenzeche in Deutschland stillgelegt. Die Zeugnisse der schwerindustriellen Ära aber überdauern, sie sind vielfach und vielfältig. Die erhalten gebliebenen Fördergerüste und –türme sind zu stolzen Symbolen geworden – sie erinnern an die Produktionskraft der Vergangenheit und stehen gleichzeitig für den Wandel einer ganzen Region. Bei manchen ist es darüber hinaus gelungen, sie zu Leuchttürmen der Zukunft zu entwickeln. Paradebeispiel ist das Doppelbock-Fördergerüst von Zollverein Schacht XII, das Identifikationssymbol und prägendes Wahrzeichen des Ruhrgebiets ist!“, so Prof. Dr. Hans-Peter Noll, Vorstands-Mitglied der Stiftung Zollverein.

„Eine Ehre ist es, lange Zeit erfolgreich zu bestehen. Die Zeiten sich halt ändern, und nun andere Fahnen wehen. Überhaupt gabst der Stadt ein völlig anderes Gesicht. Genaugenommen, ohne Dich, gäb´s diese Stadt wohl nicht.“

Architektur des Bergbaus

Industrielle Areale entstehen, werden genutzt und verschwinden wieder. Dies geschieht auf buchstäbliche Art und Weise. Sie entstehen, leben und verschwinden aber auch im kollektiven Bewusstsein einer Gesellschaft. Bergwerke mit ihrer markanten und oftmals imposanten Architektur veränderten ganze Landstriche tiefgreifend. Sie prägten das Lebensumfeld der dort angesiedelten Bevölkerung maßgeblich. Die unaufhaltsam näher rückende Abrissbirne beraubt schlussendlich diesen Mikrokosmos seines architektonischen Herzens. Zurück bleibt eine Hülle, die nur noch auf dem Luftbild erkennen lässt, wie einst die Keimzelle dieses Ortes gewesen sein könnte.

„Und wie die Erde weiterdreht, so sieht man es an Dir. Zu wissen dass es weitergeht, ja – das ist Dein Revier!“

Von der A2 aus gut zu sehen ist die letzte noch aktive Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. In diesem Fall die Schachtanlage Franz Haniel 1/2. Foto: Klartext Verlag / Rolf Arno Specht
Von der A2 aus gut zu sehen war die letzte noch aktive Zeche Prosper-Haniel in Bottrop. In diesem Fall die Schachtanlage Franz Haniel 1/2. Foto: Klartext Verlag / Rolf Arno Specht

Zechenlandschaft Ruhrgebiet

Die Montanindustrie hat im deutschen Ruhrgebiet vor allem zweierlei hinterlassen: die Mentalität der Menschen, die hier leben und jede Menge Industriearchitektur. Dem einen eine nutzlose Bauruine, dem anderen der Schlüssel zum Verständnis dieses Städtekonglomerats an den Flüssen Rhein und Ruhr.  Wie sagte einst Konrad Adenauer, Deutscher Bundeskanzler nach dem Zweiten Weltkrieg, so schön: „Wenn die Ruhr brennt, dann reicht das Wasser des Rheins nicht aus, um sie zu löschen!“ Und es brannte oftmals lichterloh im Revier. Personal-Abbau, Zechenschließungen, Streiks, Arbeitsplatz-Verluste und dergleichen führten die „malochenden Kumpels“ oftmals an den Rand der Verzweiflung. Die Art und Weise nun, wie wir mit diesen Hinterlassenschaften umgehen, sagt aber auch sehr viel über unsere Identität und unser gesellschaftliches Verständnis aus.

„Im Alten liegt das Neue schon, und wie bei einem Rad – ist hier noch keine Endstation. Für Dich zählt nur die Tat.“

Was war davor, was kommt danach

Was fällt uns außer Abriss und Museum ein? Sind wir in der Lage, diese Orte mit kulturellen und wirtschaftlichen Impulsen neu aufzuladen? Da werden die Vorteile des Nebeneinander von ländlichen und städtischen Strukturen entdeckt. Abraumhalden kultiviert, Kanäle zu Naherholungsgebieten, Events organisiert und die Tugenden der noch jungen Vergangenheit vom allgegenwärtigen Malochertum und harter Arbeit zur Tradition erklärt. „Form follows function“ war schon immer der Leitspruch im Revier. So etwas wie Bebauungspläne oder Stadtentwicklung gibt es seit verhältnismäßig kurzer Zeit. Strukturwandel war schon immer und zwar von Anfang an. Der bundesdeutschen Konsenskultur sei es gedankt, dass sich die Region seit der Krise in der Montanindustrie neu aufstellen und definieren konnte. Der Prozess des Umbruchs – den es übrigens immer gab – findet nach wie vor statt.

„Der alte Himmel färbt sich rot, als wär es ein Fanal. Der Abend riecht nach Erde, nach Arbeit, Schweiß und Stahl.“

In Bochum befindet sich auch das Deutsche Bergbau-Museum. Hier ein Blick auf die Zeche Carolinenglück Schacht 2/3 der Stadt. Foto: Klartext Verlag / Rolf Arno Specht
In Bochum befindet sich auch das Deutsche Bergbau-Museum. Hier ein Blick auf die Zeche Carolinenglück Schacht 2/3 der Stadt. Foto: Klartext Verlag / Rolf Arno Specht

Tagesabbruch

Unter Tage fährt man. Völlig einerlei, ob man sich mit dem Personenzug, dem Band oder zu Fuß fortbewegt. Das heißt dann eben „fußläufige Fahrung“ und aus. Die Sprache der Bergleute ist voller Vokabeln, die Uneingeweihten fremd sind. Klare Begrifflichkeiten sind in einer lebensfeindlichen Arbeitswelt mit Lärm, Staub, Enge und Temperaturen jenseits der 30 Grad das A und O. Den Begriff „Tagesabbruch“ gibt es nicht. Es würde aber in die Welt des Bergbaus passen, wenn der Tag sich nicht dem Ende neigte, die Sonne unterginge oder der Abend nahte, sondern der Tag ganz einfach abgebrochen würde. Schluss, aus vorbei.

„Definiere das Pendant von Tagebau“, beauftragt der Professor eine seiner Schülerinnen. Als diese erwartungsgemäß mit „Nachtbau“ antwortet, wird sie vom Pädagogen hochkantig aus dem Unterricht geworfen. Der Begriff „Untertagebau“ war dem Mädchen nicht geläufig.

Zur Kohle oder – Die Welt unter Tage

Die Arbeitswelt des Steinkohlenbergbaus stellt – für das deutsche Kohlen-Revier muss man hier fast schon stellte sagen – besondere Ansprüche an Menschen und Maschinen. Staub, Hitze und Enge sind dabei noch die technisch beherrschbarsten Parameter. Hinzu kommt eine ständige Explosionsgefahr. Der Mensch sollte wissen, dass Kohle nicht einfach nur ein brennbares Gestein ist. Sie ist vielmehr der Überrest dessen, was vor Jahrmillionen als Urwald auf der Erdoberfläche stand und unter ständiger Beigabe von Druck und Hitze den Prozess der Inkohlung durchlief. Über das, was da an chemischen Stoffen und Gasen entsteht, freut sich heute die Chemische Industrie. “Unter Tage” jedoch kann der kleinste Funke ausreichen, um eine verheerende Explosion auszulösen. Und da nützt es auch nichts, sich weit entfernt vom Unglücksort aufzuhalten. Denn die Druckwelle findet anders als an der Tagesoberfläche keinen Weg, ihre Zerstörungswut mit zunehmendem Radius zu verringern. Im Falle des Unglücks strebt die tödliche Welle mit unverminderter Wucht dem einzigen Ausweg zu, den sie hat: zum Schacht!

Schwarzes Gold ist das Herz der Nacht. Und so lang es schlägt, wird die Welt sich drehen, wird es weitergehen. Schwarzes Gold, Millionen Jahre alt, ist so kalt wie Eis, doch es brennt so heiß, wie der Sonnenschein!“frei nach dem österreichischen Schauspieler, Sänger und Entertainer Peter Alexander aus Wien.

Vielen dieser Fotos geht eine monatelange Recherche voraus. Den Verlauf der Sonne kann man berechnen, das Wetter jedoch nicht. Manche Schnappschüsse kann man abends nicht fotografieren, so wich der Fotograf auf den Tagesanbruch aus. Für manche Bilder hat man im Jahr nur eine einzige Chance. Was zählt sind Beharrlichkeit und Hoffnung. Beides Tugenden, die im Bergmannsgruß "Glück auf" ihren Niederschlag finden. Hier die Zeche Haus Aden, Schacht 2 in Bergkamen. Foto: Klartext Verlag / Rolf Arno Specht
Vielen dieser Fotos geht eine monatelange Recherche voraus. Den Verlauf der Sonne kann man berechnen, das Wetter jedoch nicht. Manche Schnappschüsse kann man abends nicht fotografieren, so wich der Fotograf auf den Tagesanbruch aus. Für manche Bilder hat man im Jahr nur eine einzige Chance. Was zählt sind Beharrlichkeit und Hoffnung. Beides Tugenden, die im
Bergmannsgruß “Glück auf” ihren Niederschlag finden. Hier die Zeche Haus Aden, Schacht 2 in Bergkamen. Foto: Klartext Verlag / Rolf Arno Specht

Schicht im Schacht

Kumpels (Arbeitskollegen, auf die man sich uneingeschränkt verlassen kann), Kohle (uraltes Sedimentgestein), Revier (Gegend, in der nach Kohle gegraben wurde), Knappe (ausgebildeter Bergmann), Bergmann (Berufsbezeichnung), Zeche (Bergwerk), Förderturm (Stahlkonstruktion, die über dem Schacht einer Tiefbauzeche steht), Glückauf (steinalter Bergmannsgruß, bedeutet Glückwünsche, um einen neuen Schacht aufzutun, oder aber um wieder heil aus dem Berg auszufahren), Förderkorb (Personen- oder Materiallift, um von unten wieder ganz nach oben zu gelangen), Taubenzucht (Ausgleichshobby zum schweren Bergmannsberuf), Fußball (die Menschen dort waren immer schon fußballverrückt, nicht erst seit Helmut Rahns (Rot-Weiß Essen) 3 : 2-Siegtreffer über Ungarn im WM-Finale 1954), Halde (wertloses Material, erstanden beim Abbau im Berg, wurde zu einem Hügel aufgeschüttet), Maloche (umgangssprachliche Bezeichnung für Arbeit), in den Berg einfahren (zur Arbeit in das Bergwerk gehen oder fahren), Häusken anne Ruhr (wenn du Geld hast, baust du dir ein Haus an der Ruhr) – dies alles sind Begriffe, die den Kohlenpott und seine Menschen ausmachen und durch die Jahrzehnte hin ausgemacht haben. Es ist so unglaublich wie wahr, dass nun 2018/19 wahrhaft „Schicht im Schacht“  war. Erst als der letzte Bergmann-Kumpel Ende 2018 aus der Zeche ausgefahren war, war sie vorbei, die Zeit, die Deutschland, gerade in den Wirtschaftswunderjahren nach dem verloren gegangenen Zweiten Weltkrieg geprägt hatte und die der deutschen Nation zum Aufschwung und Wohlstand verholfen hatte.

Kathedralen im Revier / Zechenlandschaft Ruhrgebiet

ist ein 176seitiger Farb-Prachtband, erschienen im Klartext-Verlag in Essen. Anhand unzähliger herrlicher Farbfotos wird diese Region quasi unsterblich. Autor Ralf Arno Specht erhielt mit 11 Jahren seine erste Kamera. Somit, so kann man wohl sagen, ist er seit 1980 als Fotograf im Ruhrgebiet aktiv und unnterwegs. Es hat etwas für sich, ganz und gar gedankenverloren an einem alten und verlassenen Förderturm zu stehen, der im Laufe der Zeit langsam aber sicher vor sich hinrostet, dabei an die Kumpels zu denken, die für ihr täglich Brot oftmals auch mit dem Leben bezahlen mussten. Oder aber den Sonnenuntergang zwischen stillgelegten Gleisanlagen und von der Natur zurückeroberten und wieder begrünten Kohlen-Halden zu betrachten. Und last but not least durch alte Zechensiedlungen zu streifen, eventuell in einer herrlichen schummrigen Kneipe abzusteigen, beim Wirt an der Theke ein Pils zu bestellen, über Fußball – no na – zu diskutieren und die Rechnung, die steht dann auf dem Bierdeckel drauf. Die Menschen im Revier sind freundlich, und waren dies auch immer. Wenn sie dich in ihr Herz geschlossen haben, dann kannst du von ihnen alles erwarten, auch – wenn du nie einer von ihnen sein wirst.

Rolf Arno Specht gelang eine aktuelle Bestandsaufnahme dessen, was es an Gerüsten und Türmen noch zu bestaunen gibt. Sein Werk ist aber allerdings auch eine gelungene und gemahnende Erinnerung an eine Zeit, die alsbald Geschichte sein wird. Eine Zeit, in der in Deutschland noch emsig malocht und die Kohle aus dem Berg “ausgefahren” wurde.

Quelle: oepb

„Glück auf!“
Das absolut empfehlenswerte Buch kann unter der
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